Start-up aus Potsdam entwickelt innovative Schlafsäcke: Heiße Füße für Mücken
Drei Gründerinnen aus Potsdam haben lästigem Ungeziefer den Kampf angesagt. Sie produzieren Schlafsäcke, die abweisend auf Insekten wirken. Auch gegen die Verbreitung des Zika-Virus in Südamerika könnte das helfen.
Potsdam - Wer öfter mal zelten geht oder an lauen Sommernächten in einem Park ein Open-Air-Kino besucht, kennt das Problem. Schnell hat man sich eine Zecke eingefangen und Schnaken fallen ohnehin über einen her. Mückensprays helfen da nur kurzzeitig. Ein Start-up aus Potsdam hat nun Textilien entwickelt, die mit einem Insektizid behandelt sind und abweisend auf Insekten wirken. Das Unternehmen Permetex will jetzt von der Nische in die große Produktion einsteigen.
„Es ist wie bei der Hand auf der glühenden Herdplatte“, sagt Ellen Wölk und zeigt auf den Herd in ihrer Küche. Das Insekt verspüre Schmerzen und ziehe sich zurück, der Stich bleibe aus. Die Küche ist derzeit noch das Büro der Firma. Hier – an einem langen, mit Unterlagen bedeckten Tisch mit bequemer Bank und Blick zum Hinterhof in Babelsberg – entstanden die ersten Ideen für die Internetseite und den Online-Shop. Denn bislang sind die Produkte nur hier zu erwerben.
Die Insekten vermeiden jeden weiteren Kontakt
So wie ein Herd wirken auch die Schlafsäcke, Kissenbezüge und Decken auf Insekten aller Art, die von Wölk, ihrer Schwester Maren Wölk und der dritten Co-Geschäftsführerin Marili Werle hergestellt werden. Die Berührung mit dem Wirkstoff löst bei Insekten „heiße Füße“ (Hot-Feet-Effect) aus, sie vermeiden jeden weiteren Kontakt.
Die Stoffe bestehen aus Baumwolle und Polyester und sind mit Permethrin behandelt. Der Wirkstoff ist in Deutschland als Arzneimittel gegen Krätze zugelassen, er hilft auch gegen Läuse. Insekten nehmen das Nervengift über die Körperoberfläche auf, es verteilt sich im ganzen Insektenkörper, bis die Mücke oder Wanze oder Zecke stirbt.
Durch ein spezielles Verfahren wird das Insekten abweisende Permethrin in einer Co-Polymer-Verbindung mit den Fasern des Stoffes verbunden. Der Hautkontakt werde auf ein Minimum reduziert, der Wirkstoff sei nicht sichtbar und geruchslos, sagt Wölk. Anders sei es bei den herkömmlichen Verfahren, in denen Stoffe mit Insektiziden imprägniert oder getränkt werden. Dort werde der Wirkstoff oberflächlich aufgetragen, es werde eine hohe Konzentration benötigt und die Wirksamkeit lasse nach wenigen Wäschen nach.
Bis zu 70 Mal könnten die Decken nach dem neuen patentierten Verfahren nun gewaschen werden, ohne dass die Wirkung gegen Insekten nachlasse, sagte Wölk. Das habe unter anderem ein Test des Bundesinstituts für Risikobewertung bestätigt. Permethrin sei ein von der Weltgesundheitsorganisation empfohlener Wirkstoff für Katastrophen- und Krisengebiete und werde etwa auch vom Militär verwendet. Eine Gesundheitsgefahr durch Permethrin bestehe dem Bundesamt für Risikobewertung zufolge bei fachgerechte Anwendung nicht.
Existenzgründer stehen noch ganz am Anfang
Erst im vergangenen Jahr hat das Frauentrio eine GmbH gegründet. Bislang gibt es die Produkte in zwei Farben, blau und weiß. „Wir stehen ganz am Anfang“, sagt Wölk. „Wir überlegten, welche Farben schön aussehen. Ein großer blauer Müllsack war in der Küche schnell gefunden – und eine Tomate.“ Die Tomate wurde Vorlage für die Farbe des Reißverschlusses an den Schlafsäcken, die für rund 130 Euro zu kaufen sind.
Auf die Idee mit dem Chemie-Produkt als Insektenschutz kamen die Jungunternehmerinnen nicht von selbst. Freunde hätten schon einmal versucht, die Idee umzusetzen, sagt die 34-Jährige, die gemeinsam mit ihrer Schwester eine Eventagentur in Potsdam betreibt und schon einige Erfahrung in Sachen Selbständigkeit mitbringt. Die Freunde hatten zu wenig Zeit für die Umsetzung, weshalb das Trio nun einen neuen Anlauf macht. Natürlich seien die Ideengeber an einem möglichen Erfolg beteiligt, so Wölk.
Schlafsäcke für Katastrophenhelfer
Die Einsatzmöglichkeiten für die Decken und Schlafsäcke sind vielfältig. So könnten sie beispielsweise für Hilfseinsätze in Afrika oder wie aktuell bei der Bekämpfung der Zika-Epidemie in Südamerika eingesetzt werden. Ein mückenfreier Schlafsack reduziert schließlich die Gefahr, gestochen zu werden – und damit die Wahrscheinlichkeit einer übertragenen Krankheit. In Brasilien finden im Sommer die olympischen Spiele statt. Auch das sei ein interessanter Markt, sagt Wölk. Sie könne sich vorstellen, für Sportler und Besucher geeignete, nicht so dick isolierte Schlafsäcke anzufertigen. Ob das Potsdamer Unternehmen bis dahin Kontakte etwa zum Deutschen Olympischen Sportbund herstellen kann, ist aber fraglich. Weitere Einsatzmöglichkeiten wären Hotels. Dort seien ja vor allem die Matratzen gefährdet, sagt Wölk. Man könne also eine Art Überzug produzieren gegen Bettwanzen oder Läuse.
In den kommenden Monaten wollen die Geschäftsfrauen sich auf das Marketing und die PR konzentrieren. Bislang sind die Produkte nur im Online-Shop zu erwerben. Hergestellt werden sie in einer Näherei in Berlin-Pankow. Auch die Wirtschaftsförderer der Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) glauben an den Erfolg von Permetex. So begleitete die ZAB das Unternehmen 2015 in der Gründungsphase und half bei der Erstellung eines Businessplans.
Man werde die GmbH nicht im Regen stehen lassen, sagt ZAB-Sprecher Alexander Gallrein. So könnten Kontakte zur Investitionsbank des Landes Brandenburg oder der Bürgschaftsbank hergestellt werden. Laut Wölk läuft bereits ein Kreditantrag. Auch bei Gewerbeimmobilien für eine Produktion könne man helfen, sagt Gallrein. Oder an einer Reise nach Kolumbien im Juni teilnehmen, um Auslandskontakte in Sachen Zika-Virus zu knüpfen. Dies sei aber wohl noch zu früh, sagt Ellen Wölk. Und widmet sich wieder den Unterlagen auf ihrem Frühstückstisch.
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Stefan Engelbrecht
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