Fotobuch der Potsdamer Schlösserstiftung: Astronomisches vor dem Orangerieschloss
Rund 20 000 Fotos besitzt die Schlösserstiftung in ihrer Glasplattennegativsammlung. Jürgen Becher, Chef der Doku-Abteilung, hat diesen Schätzen jetzt ein Buch gewidmet – als Vorbote einer Ausstellung.
Potsdam - Ernst, aber auch ein bisschen stolz blicken die beiden Herren in die Kamera. Ihre grob gewebten Arbeitshemden sind, wie zu jener Zeit üblich, züchtig bis zum obersten Knopf geschlossen, die Schnäuzer akkurat getrimmt. Die Männer posieren in luftiger Höhe im Innern einer gewaltigen goldenen Krone.
Entstanden ist das Foto um 1910, und es zeigt zwei Handwerker bei Restaurierungsarbeiten an besagter Krone, die nicht irgendeine ist: Sie ziert die Spitze des Neuen Palais' im Park Sanssouci, direkt unter ihr befinden sich die vergoldeten Skulpturen der „drei Grazien“. Die Aufnahme ist eine von rund 20.000 sogenannten Glasplattennegativen – Fotoplatten mit einer auf Glas aufgetragenen Fotoemulsion – im Besitz der Schlösserstiftung, die zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und den 1980er- Jahren entstanden sind.
Bechers Buch heißt "Das gläserne Gedächtnis"
Jürgen Becher, der Leiter des Dokumentations- und Informationszentrums der Stiftung, hat dieser beeindruckenden Sammlung jetzt ein eigenes Buch gewidmet, in dem eine Auswahl dieser fotografischen Kostbarkeiten präsentiert wird. „Das gläserne Gedächtnis“ ist das mit Unterstützung der Stiftung „Pro Sanssouci“ entstandene Werk überschrieben, und der Titel ist treffend gewählt.
Denn die Sammlung dokumentiert über mehr als 100 Jahre hinweg die Entwicklung des heutigen preußischen Welterbes von der Zeit, als die Hohenzollern noch fest im herrschaftlichen Sattel saßen, über die Periode nach ihrer Abdankung und der Gründung der ersten Schlösserverwaltung, die Nazizeit und die Zerstörungen und unwiederbringlichen Verluste nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zu Restaurierungs- und Wiederaufbaumaßnahmen in der Nachkriegszeit.
Ausstellung in Römischen Bädern
Das Buch ist Vorbote einer Ausstellung, die voraussichtlich von April bis Ostern 2021 in den Römischen Bädern im Park Sanssouci gezeigt werden soll. „Wir wollen damit die Negativsammlung als den kulturellen Schatz präsentieren, der sie ist“, sagt Becher. Rund 110 ausgewählte Fotografien sollen in der Schau gezeigt werden.
Für die Stiftung besonders bedeutend ist jener Teil des Konvoluts, der aus der Zeit vor 1945 stammt, zeigt er doch „die preußischen Schlösser und Gärten noch in ihrer Gesamtheit“, wie Becher in seinem Buch schreibt. Als Quelle für Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten sind sie „von unschätzbarem Wert“. Und auch für die Verlustkataloge. Von manch zumeist nach dem Krieg verschollenem Kunstwerk weiß die Stiftung nur, weil es noch auf einem Foto abgebildet ist.
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Die "verlorenen Schlösser"
Das Reich der ersten preußischen Schlösserverwaltung nach der Abdankung der Hohenzollern umfasste Ende der 1920er-Jahre weitaus mehr als heute. Ein verheerender Weltkrieg und die daraus resultierende Neuaufteilung Europas ließen nicht nur die Zuständigkeiten, sondern auch die Immobilien selbst zahlenmäßig schrumpfen. Den „verlorenen Schlössern“, die nach 1945 in andere Obhut kamen, widmet Becher ein eigenes Kapitel.
Dazu gehören etwa die Anlagen der sogenannten Rheinprovinz, die überwiegend die heutigen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz umfasste, darunter die Schlösser Stolzenfels, Burg Sooneck und Schloss Augustusburg, sowie diverse Schlösser in Hessen wie Wilhelmsthal bei Calden oder Wilhelmshöhe bei Kassel. Darüber hinaus finden sich in dem Buch ebenso bedrückende wie beeindruckende Aufnahmen von im Krieg zerstörten Schlössern wie jenem in Königsberg (heute Kaliningrad) und den Stadtschlössern in Potsdam und Berlin.
Die Fotos von Schlössern in den zuletzt genannten Städten sind es denn auch, die den weitaus größten Teil der Sammlung ausmachen. Allein von Schloss Charlottenburg existieren mehr als 1100 vor 1945 entstandene Fotos, vom Neuen Palais etwa 1000 und von Schloss Sanssouci rund 700, die meisten davon sind Innenaufnahmen.
Nicht nur "tote Gebäude"
Was die Bilder sowohl für den Experten als auch den Laien gleichermaßen faszinierend macht, ist die Tatsache, dass die Motive oft nicht nur „tote“ Gebäude zeigen, sondern Restaurierungsmaßnahmen, Umgestaltungen von Gartenanlagen oder bauliche Veränderungen abbilden. Für kunstgeschichtlich interessierte Potsdamer beispielsweise bieten sich somit neue, bislang so nicht gesehene Ansichten von eigentlich bekannten Gebäuden und Gartenanlagen.
So dokumentiert die Sammlung etwa die Bauphasen bei der Errichtung des Marstalls an den Communs des Neuen Palais' zur Zeit Wilhelms II. Heute befindet sich in dem repräsentativen Haus das Auditorium Maximum der Universität Potsdam. Eine Luftaufnahme, datiert auf etwa 1925, wiederum zeigt das Marmorpalais nebst zugefrorenem Heiligem See und eine bis auf wenige Villen noch völlig unbebaute Berliner Vorstadt.
Womöglich ist dieses Foto sogar bereits vor 1910 entstanden. Das habe ein Hinweis eines Kollegen ergeben, sagt Becher. Oft sei die Datierung extrem schwierig, weil die Fotosammlung leider kaum dokumentiert worden sei und das wenige Vorhandene, ebenso wie ein großer Teil der Sammlung selbst, im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.
Fotografiert wurde nur für Schlossführer
Becher lässt vor allem die Fotos wirken, die Textkapitel sind knapp und kompakt gehalten, was ihren Grad an Informativität keinesfalls schmälert. So erfährt man beispielsweise den Grund, warum es Hunderte von Fotos vom Neuen Palais, Schloss Charlottenburg oder Sanssouci gibt, aber kaum welche etwa vom Schloss Cecilienhof.
Denn Aufnahmen wurden, zumindest bis 1945, vor allem dort gemacht, wo sie für die Herausgabe von Schlossführern oder Sammlungskatalogen benötigt wurden. Cecilienhof hingegen war bekanntlich bis Kriegsende noch Heimstatt des Kronprinzen und wurde erst 1945 von den Sowjets enteignet.
Beute vom Boxeraufstand
Eine aus Potsdamer Sicht besonders schöne Aufnahme findet sich, leider relativ kleinformatig, auf der Rückseite des Buchcovers. Es zeigt eine riesige Armillarsphäre, ein astronomisches Gerät zur Darstellung von Himmelskörpern, das von zwei gewaltigen chinesischen Drachen flankiert wird. Gemeinsam mit anderen astronomischen Instrumenten steht es auf der Grünfläche vor dem Orangerieschloss, bewundernde Blicke von Familien in zeitgenössischer Tracht auf sich ziehend.
Gemacht wurde die Aufnahme wohl um 1910 und sie illustriert eine Episode der deutschen Kolonialgeschichte in Fernost. Denn laut Becher hatten kaiserliche Truppen die Instrumente nach der Niederschlagung des Boxeraufstands im Jahre 1901 aus dem Observatorium in Peking geraubt. Die Geräte standen wohl bis nach dem Ersten Weltkrieg vor der Orangerie und wurden erst danach als Folge des Versailler Vertrags zurückgegeben – der genaue Zeitpunkt ist unklar.
Auch, um mehr Informationen zu bekommen, hat Becher das Buch geschrieben. „Natürlich“, sagt er, „hoffen wir auf Hinweise“.
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