Artikel 3 des Grundgesetzes: Wie Vanja die Behörden auf das „dritte Geschlecht“ gebracht hat
Artikel 3 stellt alle Menschen gleich, er soll Diskriminierung verhindern. Deshalb reicht nun Standesämtern die Unterscheidung „männlich/weiblich“ nicht mehr.
Zu beinahe jedem der Grundgesetz-Artikel hat das Gericht in der Geschichte bereits geurteilt, wir bringen Beispiele zu den ersten zehn – hier zu Artikel 3.
Artikel 3 stellt alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Niemand darf benachteiligt werden, weil er ein bestimmtes Geschlecht, einen anderen Glauben oder eine andere Herkunft hat.
Der Fall und die Menschen
Im Gerichtsbeschluss heißt er „K.“, der Öffentlichkeit wird er als Vanja bekannt. Früher lebte er als Frau, mittlerweile zieht er ein männliches Bild von sich vor.
Aber es gibt eben auch Weibliches. Vanja will es nicht verstecken, er fordert ein „Ende der Unsichtbarkeit“ für Intersexuelle, Menschen, die sich biologisch nicht klar einem Geschlecht zuordnen lassen. Unter Vorlage einer Chromosomenanalyse beantragt Vanja beim Standesamt, ihre Geschlechtsangabe „weiblich“ zu streichen und stattdessen „inter/divers“ einzutragen. Erfolglos, wie zunächst seine Klagen. Es folgt eine Verfassungsbeschwerde.
Die Entscheidung und die Folgen
Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2017 Az.: 1 BvR 2019/16. Die geschlechtliche Identität zählt zur Persönlichkeit eines Menschen, und zwar auch dann, wenn sie sich weder den Kategorien weiblich noch männlich zuordnen lassen. Sind Geschlechtsangaben verpflichtend, stellt es eine verbotene Diskriminierung dar, Personen nur darauf zu beschränken.
Deutschland muss sein Personenstandsrecht um ein „drittes Geschlecht“ erweitern. Überall werden Konsequenzen diskutiert, von der Stellenanzeige bis zum Toilettenbesuch. Dabei ist die Klage ein eher symbolisch-politischer Akt. Betroffene entscheiden sich meist für ein Leben entweder als Mann oder Frau.
Auch zu den weiteren neun Artikeln am Anfang des Grundgesetzes haben wir Fälle zusammengetragen:
Artikel 1: Wie ein Junkie-Polizist den Strafvollzug verändert hat
Artikel 2: Wie ein Adenauer-Kritiker die neue Passregelungen erwirkte
Artikel 4: Wie Anthroposophen die Pflicht zu Schul-Kruzifixen aushebelten
Artikel 5: Wie gegen den „Jud Süß"-Regisseur ein bahnbrechendes Urteile erstritten wurde
Artikel 6: Wie ein Vater erfolgreich einklagte, sein Kind nicht sehen zu müssen
Artikel 7: Wie eine Waldorfschule das Recht von Privatschulen stärkte
Artikel 8: Wie die Loveparade die Versammlungsfreiheit einklagen wollte – und scheiterte
Artikel 9: Wie Konrad Adenauer ein KPD-Verbot erwirkte
Artikel 10: Wie FDP-Politiker gegen die Vorratsdatenspeicherung kämpfen
Die deutsche Verfassung feiert am Donnerstag 70. Geburtstag. Der Erfolg des Grundgesetzes hängt eng mit der Arbeit des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zusammen. Wir haben Fälle zu den ersten zehn Artikeln zusammengetragen.