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Plakat für die französische Version des Filmes „Jud Süß“
© Bernd Weißbrod dpapicture-alliance/ dpa

Artikel 5 des Grundgesetzes: Wie gegen den „Jud Süß“-Regisseur ein bahnbrechendes Urteile erstritten wurde

Artikel 5 schützt die Freiheit von Meinung, Presse, Kunst und Wissenschaft. Deshalb durfte ein Senatsdirektor zum Boykott von Filmen aufrufen.

Zu beinahe jedem der Grundgesetz-Artikel hat das Gericht in der Geschichte bereits geurteilt, wir bringen Beispiele zu den ersten zehn – hier zu Artikel 5.

Artikel 5 garantiert dem Denken, nach außen dringen zu können. Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.

Der Fall und die Menschen

Erich Lüth, Senatsdirektor und Leiter der Staatlichen Pressestelle in Hamburg, legt sich mit dem Regisseur Veit Harlan an. Harlan ist in der Nazizeit als Regisseur des antisemitischen Films „Jud Süß“ bekannt geworden. Jetzt stellt er ein neues Werk vor. „Möge uns weiterer unabsehbarer Schaden vor der ganzen Welt erspart bleiben, der eintreten würde, indem man ausgerechnet ihn als Repräsentanten des deutschen Films herauszustellen sucht“, sagt Lüth bei einer Ansprache.

In einem offenen Brief, den er an die Presse verteilen lässt, wird er noch deutlicher: Ein Boykott des Films sei Pflicht für jeden „anständigen Deutschen“. Die Filmproduzenten klagen auf Unterlassung. Mit Erfolg. Lüth erhebt Verfassungsbeschwerde.

Die Entscheidung und die Folgen

Beschluss des Ersten Senats vom 15. Januar 1958, Az.: 1 BvR 400/51. Lüths Boykottaufruf steht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit. „Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat; in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt.“

Bis heute vielleicht das wichtigste Urteil in der Geschichte des Gerichts. Das Grundgesetz durchdringt alles, was in Deutschland Recht ist, und dies nicht nur mit seinen Buchstaben, sondern mit seiner Botschaft: Würde und individuelle Freiheit sind unbedingt zu respektieren.

Auch zu den weiteren neun Artikeln am Anfang des Grundgesetzes haben wir Fälle zusammengetragen:

Artikel 1: Wie ein Junkie-Polizist den Strafvollzug verändert hat
Artikel 2: Wie ein Adenauer-Kritiker die neue Passregelungen erwirkte
Artikel 3: Wie Vanja die Behörden auf das "dritte Geschlecht" gebracht hat
Artikel 4: Wie Anthroposophen die Pflicht zu Schul-Kruzifixen aushebelten
Artikel 6: Wie ein Vater erfolgreich einklagte, sein Kind nicht sehen zu müssen
Artikel 7: Wie eine Waldorfschule das Recht von Privatschulen stärkte
Artikel 8: Wie die Loveparade die Versammlungsfreiheit einklagen wollte – und scheiterte
Artikel 9: Wie Konrad Adenauer ein KPD-Verbot erwirkte
Artikel 10: Wie FDP-Politiker gegen die Vorratsdatenspeicherung kämpfen

Die deutsche Verfassung feiert am Donnerstag 70. Geburtstag. Der Erfolg des Grundgesetzes hängt eng mit der Arbeit des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zusammen. Wir haben Fälle zu den ersten zehn Artikeln zusammengetragen.

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