zum Hauptinhalt
Kriegsgebiet Libyen. Dutzende Milizen bekämpfen sich dort.
© Ismail Zitouny/Reuters

Vor der Friedenskonferenz in Berlin: Wie gefährlich ist der Libyen-Konflikt?

Libyen ist zum Schlachtfeld ausländischer Mächte geworden, es drohen syrische Verhältnisse. Deutschland will vermitteln. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wenige Tage vor der Berliner Friedenskonferenz für Libyen am Sonntag eskalieren die Spannungen in dem nordafrikanischen Land. Nach dem Scheitern von Gesprächen über einen Waffenstillstand drohen Auseinandersetzungen zwischen dem Nato-Mitglied Türkei und Rebellengeneral Chalifa Haftar.

Der verweigerte bei den Verhandlungen in Moskau die Unterschrift unter ein Waffenstillstandabkommen mit seinem Rivalen Fajis al Sarradsch, dem Chef der international anerkannten Regierung. Hauptgrund war wohl Haftars Widerstand gegen eine Rolle für die Türkei, Sarradschs wichtigstem Partner. Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte Haftar, die Türkei werde ihm eine „verdiente Lehre“ erteilen, wenn er Sarradschs Regierung weiter angreife. Bundeskanzlerin Angela Merkel hält dennoch an der Konferenz fest.

DER KONFLIKT
Auf den Sturz von Langzeit-Diktator Muammar al Gaddafi vor neun Jahren folgte in Libyen das Chaos; seit 2014 ist das rohstoffreiche Land zwischen zwei rivalisierenden Regierungen geteilt. Hinzu kommen Warlords und Clanchefs, die ihr Unwesen treiben. Das Fehlen einer staatlichen Zentralgewalt gab zudem Menschenschmugglern die Gelegenheit, sich in den Küstenregionen festzusetzen und im großen Stil ein Geschäft mit Flüchtlingen aus Afrika aufzuziehen, die nach Europa wollen.

Auch die Dschihadisten des „Islamischen Staats“ konnten die Anarchie nutzen, um sich zeitweise in Libyen festzusetzen. Sarradschs Einheitsregierung in Tripolis im Westen des Landes wird zwar von den UN als legitime Führung anerkannt, hat aber nur wenige Landesteile außerhalb der Hauptstadt unter Kontrolle und verfügt über keine eigene Armee. Stattdessen stützt sich Sarradsch auf diverse Milizen, die Geld für ihre Dienste fordern.

General Haftar will ganz Libyen unter seine Kontrolle bringen.
General Haftar will ganz Libyen unter seine Kontrolle bringen.
© Abdullah Doma/AFP

Sein Gegner General Haftar vertritt die Gegenregierung im Osten des Landes. Im vergangenen April begann seine Libysche Nationalarmee mit einer Großoffensive zur Einnahme der Hauptstadt Tripolis, nachdem sie vorher wichtige Ölquellen im Süden des Landes unter ihre Kontrolle gebracht hatte.

Zuletzt nahm Haftar vergangene Woche die wichtige Küstenstadt Sirte ein. Sein Angriff auf Tripolis ist allerdings in den Außenbezirken der Hauptstadt steckengeblieben. An seinem Ziel hält er dennoch fest: Er will das ganze Land unter seine Kontrolle bringen.

DIE UNTERSTÜTZER DER KONTRAHENTEN
Angefacht wird der Konflikt durch die Einmischung ausländischer Mächte, denen es um Macht, Einfluss und Libyens Ölvorräte geht – und die das Waffenembargo der UN ignorieren. Sarradsch kann sich auf die Türkei und das Emirat Katar stützen. Erdogan hatte kurz nach Neujahr den Beginn einer türkischen Truppenverlegung nach Libyen bekannt gegeben.

Syrische Rebellen, die von der Türkei bezahlt und ausgebildet werden, sollen ebenfalls auf Sarradschs Seite kämpfen. Die Regierung in Ankara steuert zudem Drohnen, Feuerwaffen, Munition und gepanzerte Fahrzeuge bei.

Haftar wiederum kann auf die Hilfe von Russland, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) setzen; Ägypten und die VAE sind regionalpolitische Rivalen der Türkei und Katars. Russische Söldner und sudanesische Kämpfer, die von den VAE bezahlt werden, hatten Haftar in jüngster Zeit einen militärischen Vorteil verschafft.

DIE INTERESSEN DER VERMITTLER
Obwohl sie auf gegnerischen Seiten des Konflikts stehen, hatten die Türkei und Russland vergangene Woche einen Waffenstillstand für Libyen gefordert. Die seit Sonntag geltende brüchige Feuerpause sollte bei den Moskauer Verhandlungen mit einer Vereinbarung gefestigt werden. Doch der Versuch scheiterte.

Erdogan und Kremlchef Wladimir Putin wollen mit ihrer Vermittlung die Rollen ihrer Länder in Nahost und ihren Einfluss auf die EU ausbauen: Sollten sie es schaffen, in Libyen zu Ordnungsmächten zu werden, könnten sie das EU-Flüchtlingsproblem bei anderen Themen als Hebel benutzen. Das Scheitern der Moskauer Gespräche zeigte jedoch, dass dies für Ankara und Moskau sehr schwierig ist.

Russlands Präsident Putin und sein türkischer Amtskollege Erdogan wollen ihren Einfluss geltend machen.
Russlands Präsident Putin und sein türkischer Amtskollege Erdogan wollen ihren Einfluss geltend machen.
© Sergey Guneev/Sputnik/AFP

Die Türkei möchte mit ihrem Engagement in Libyen zudem ihre Position in einem Streit mit ihren Nachbarn um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer stärken. Nicht zuletzt spielt die regionalpolitische Auseinandersetzung mit den Vereinigten Emiraten eine Rolle. Haftar wirft Sarradsch ebenso wie der Türkei vor, mit der islamistischen Muslimbruderschaft und Dschihadisten zu kooperieren.

DEUTSCHLANDS ROLLE
Für diesen Sonntag hat die Kanzlerin zum großen Libyen-Gipfel nach Berlin geladen. Denn die Bundesregierung unterstützt seit September 2019 die Friedensbemühungen des UN-Sondergesandten Ghassan Salamé. An dem „Berliner Prozess“ sind die Staaten beteiligt, die in den Konflikt in Libyen involviert sind, sowie die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates.

Nach Berlin eingeladen wurden also die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Italien, die Türkei, die VAE, Ägypten, Algerien und die Republik Kongo.

In mehreren Treffen bereiteten Diplomaten dieser Staaten den geplanten Gipfel vor. Zunächst zielten die Verhandlungen darauf ab, die an dem Konflikt beteiligten ausländischen Staaten dazu zu bewegen, ihre Unterstützung für die Konfliktparteien einzustellen und keine Waffen mehr zu liefern. So sollten die Kämpfe gestoppt, der Weg für einen Friedensprozess eröffnet werden.

Bundesaußenminister Maas hofft auf ein Ende der Spannungen in Libyen.
Bundesaußenminister Maas hofft auf ein Ende der Spannungen in Libyen.
© imago images/Xinhua

An den bisherigen Gesprächen waren die Konfliktparteien selbst nicht beteiligt. Das soll sich beim Treffen in Berlin nun ändern. Die Bundesregierung lud auch Sarradsch und Haftar ein. Kanzlerin Angela Merkel sagte in Moskau, Libyen solle künftig ein „souveränes, friedliches Land“ sein. „Es geht um Nichteinmischung.“ Doch genau da liegt für die UN und ihre deutschen Unterstützer das größte Problem: Staaten, die aus geopolitischen Erwägungen in Libyen intervenieren, sollen nun von diesem Kurs abgebracht werden.

DAS DILEMMA DER EUROPÄER
Auch die Europäische Union wird auf der Libyen-Konferenz vertreten sein. Doch mit einer Stimme wird sie dort nicht sprechen. Frankreich und Italien stehen im Libyen-Konflikt auf verschiedenen Seiten. Während die einstige Kolonialmacht Italien die international anerkannte Regierung stützt, gilt die Regierung in Paris als Unterstützer Haftars.

Im Sommer 2019 wurde bekannt, dass der Berufsmilitär über Waffen aus Frankreich verfügt. Paris bestritt aber, gegen das Waffenembargo verstoßen zu haben. Wenn die Bundesregierung ihre Vermittlerrolle ernst nimmt, könnte sie also bei Frankreich anfangen.

DIE NOT DER FLÜCHTLINGE
Dass sich die EU und Deutschland um Stabilität in Libyen bemühen, kommt nicht von ungefähr. Der zerfallende Staat ist das Haupttransitland für Menschen, die versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Halbwegs geordnete Verhältnisse könnten sie womöglich von ihrer lebensgefährlichen Überfahrt abhalten. Denn viele der etwa 650.000 Migranten und Flüchtlinge – sie stammen zumeist aus Niger, Ägypten, Sudan, dem Tschad und Nigeria – gehen nach Libyen, um dort einen Job zu finden.

Allerdings warten eben auch Tausende auf die Chance, in ein Boot Richtung Europa zu steigen. Fast täglich kommen bei der Überfahrt Menschen ums Leben, zu Dutzenden und zu Hunderten. Helfer versuchen zwar, möglichst viele vor dem Ertrinken zu retten. Dennoch bleibt die Route übers Meer eine zumeist tödliche.

Tausende Migranten werden in Libyen gegen ihren Willen in Internierungslagern festgehalten.
Tausende Migranten werden in Libyen gegen ihren Willen in Internierungslagern festgehalten.
© Hans Lucas/imago images

Hinzu kommt: Libyens Küstenwache – die von der Europäischen Union mit Millionen finanziert wird – fängt Flüchtlinge oft ab und bringt die Menschen zurück in das nordafrikanische Land. Für die Betroffenen ist das fatal. Denn sie landen in der Regel in offiziellen und inoffiziellen Internierungslagern, die von kriminellen Menschenhändlern betrieben werden.

Rund 5000 Frauen und Männer sollen dort gegen ihren Willen festgehalten werden. Wer in die Fänge der Schlepper gerät und sich nicht freikaufen kann, der wird gefoltert, sexuell misshandelt, erpresst oder sogar getötet. Gegen diese grauenvollen Zustände hat die EU bislang kaum etwas unternommen.

Zur Startseite