Russlands Einfluss im Nahen Osten: An Putin führt kein Weg vorbei
Ob Syrien, Iran, Libyen oder Gaspipeline: Angela Merkel hat verstanden, dass Russland für Deutschland immer wichtiger wird. Ein Kommentar
Die Krim bleibt unter russischer Kontrolle. In Syrien hat Baschar al-Assad seine Macht mit Hilfe Wladimir Putins konsolidiert. Im Nahen Osten spielt Russland eine Schlüsselrolle. Der deutsche Energiebedarf wird bald auch durch Nord Stream 2 gedeckt.
Es fällt schwer, solche Sätze zu schreiben. Das Unumstößliche zu akzeptieren, kann wehtun. Doch manchmal kontrastiert die reale Welt mit der idealen Welt. Wenn Politiker das negieren, werden sie zu Utopisten. Insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik ist das Wünschenswerte oft nicht deckungsgleich mit dem Machbaren.
Fast vier Stunden lang hat Angela Merkel in Moskau mit Putin geredet. Strittige Themen wie der Mord an einem Georgier in Berlin wurden bewusst ausgeklammert. Die Gemeinsamkeiten überwogen. Beide Seiten bekannten sich zum Atomabkommen mit dem Iran sowie zur Ostseepipeline Nord Stream 2. Der russische Präsident unterstützte außerdem die Initiative der Bundesregierung, eine Konferenz in Berlin zum Libyen-Konflikt unter dem Schirm der Vereinten Nationen stattfinden zu lassen. Nach neun Monaten Bürgerkrieg schweigen seit Sonntag früh in Libyen die Waffen.
Neue deutsche Flexi-Politik
Was geht mit wem? Diese Kernfrage einer interessenorientierten Realpolitik hat in Deutschland zwei Axiome abgelöst, die noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammen und sich hartnäckig halten. Das erste lautet: Es darf keine Rivalität mit einer US-Regierung geben. Das zweite lautet: Russland ist im Regelfall der Gegner.
Denn spätestens mit dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident ist der Wert von Allianzen und internationalen Vereinbarungen rapide gesunken. Von Interessen geleitete Zweckbündnisse haben traditionelle Wertegemeinschaften ergänzt. Für Deutschland hat das zur Folge, dass die Bindung an Amerika und Nato als Fundament seiner Sicherheitspolitik partielle Diskrepanzen – wie über Nord Stream 2 und das Atomabkommen mit dem Iran – nicht ausschließt. „We agree to disagree“, heißt es im Englischen, wir stimmen überein, nicht übereinzustimmen. Eine solche Flexi-Politik auszuhalten, verursacht einigen Transatlantikern und Russland-Schmähern noch etwas Unbehagen. Ein Zurück jedoch in die alten Übersichtlichkeiten gibt es nicht.
Was geht mit wem?
An Russland führt kein Weg vorbei. Das hat Merkel mit ihrer Visite unterstrichen. Wer sonst soll in Syrien eine Stabilität herbeiführen, die es Bürgerkriegsflüchtlingen erlaubt, eines Tages in ihre Heimat zurückzukehren? Wer sonst hat größeren Einfluss auf das Regime in Teheran? Wer sonst kann auf Augenhöhe mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verhandeln, um eine langfristige Lösung für Libyen zu finden? Und dass ein Deutschland, das gleichzeitig aus Atom- und Kohleenergie aussteigt, seine Gasimporte steigern muss, mag man bedauern, ist aber, wie die Mehrheitsverhältnisse nun mal sind, nicht mehr rückgängig zu machen. In diesem Punkt darf Deutschland sich nicht scheuen, auch innerhalb der EU ein wenig unbeliebt zu sein.
Was geht mit wem? Die Einsicht, dass Deutschland in vielerlei Hinsicht eine Kooperation mit Russland braucht, verwandelt Putin nicht in einen Partner. Die Interessenkollisionen mit der US-Regierung wiederum machen aus Trump keinen grundsätzlichen Gegner. Auch in der realen Welt darf die ideale Welt mit ihren Werten und Traditionen nicht aus dem Blick geraten.