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In Bayern soll ab kommender Woche die Außengastronomie wieder öffnen.
© dpa/Tom Weller

Deutschland macht Gastro und Hotels wieder auf: Wie die Länder öffnen wollen – und welche Zweifel es gibt

Eigentlich gibt es einen Plan für Öffnungen. Doch einige Länder gehen eigene Wege. Modellprojekte machen Gastronomie und Urlaub wieder möglich.

Jeder macht jetzt sein Ding. Zwar gibt es einen Anfang März vereinbarten Stufenplan von Bund und Ländern und eigentlich bräuchte es eine neue Runde mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), um eine koordinierte Linie zu verabreden. Aber nach den jüngsten Dissonanzen und weil da wieder von Erwartungen überfrachtet würde, werden jetzt erst einmal von Schleswig-Holstein bis Bayern die Modellprojekte weiter ausgedehnt, vor allem der Tourismus wird rascher wiederbelebt als gedacht.

„Eine Abstimmung wäre sicher nicht schlecht“, heißt es in einer Staatskanzlei. Aber es ginge auch so. Ab dem 17. Mai dürfen gegen das Coronavirus Geimpfte, Genesene und Getestete landesweit in Schleswig-Holstein wieder übernachten.

Niedersachsen erlaubt von der kommenden Woche an in allen Gebieten mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter 100 eine Öffnung des Tourismus - bis Ende Mai aber auf Einwohner Niedersachsens beschränkt. Mecklenburg-Vorpommern ist da rigider: Seit Mittwoch dürfen vollständig Geimpfte aus anderen Bundesländern als Tagestouristen kommen oder ihre Zweitwohnung aufsuchen.

Ansonsten gilt der Lockdown bis 22. Mai, erst ab einer Inzidenz von nur noch 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen soll es an der Ostseeküste Modellprojekte für größere Tourismusöffnungen geben. In Bayern soll dagegen Urlaub zu Beginn der Pfingstferien ab 21. Mai in Regionen mit niedrigen Corona-Infektionszahlen (unter Inzidenz 100) wieder möglich sein, mit Öffnung von Hotels, Ferienwohnungen und Campingplätzen.

Normalität - aber nicht ohne neue Probleme

Und da es plötzlich beim Programm „Deutschland öffnet wieder“ so schnell geht, tauchen neue Probleme auf. Der Impfstoff von Astrazeneca hat nun einen schweren Stand, weil zwischen Erst- und Zweitimpfung zwölf Wochen liegen, zu lange für die, die im Juni oder Juli in den Urlaub wollen.

Daher will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Abstand auf vier Wochen verkürzen. Und etwa in Niedersachsen werden schon bald Klagen von Geimpften erwartet, dass sie auch wieder drinnen in Restaurants speisen dürfen, nicht nur draußen.

Doch wie sehen die Hoteliers und Gastronomen vor Ort die Lage? Schon seit 1. Mai begrüßt die Nordseeinsel Sylt – da sie Teil der Modellregion Nordfriesland ist - wieder viele Urlauber – und das kommt sehr gut an. Auf der Insel herrsche „pure Freude”, berichtet der stellvertretende Vorsitzende der Dehoga auf Sylt, Raphael Ipsen. „Das ist teilweise hochemotional. Die Menschen freuen, sich dass sie ihren Jobs wieder nachgehen dürfen, wieder Gastgeber sein dürfen. Die Gäste freuen sich, wieder ein Stück Normalität zu erleben.

Strandkörbe auf Sylt: In der Modellregion kann seit 1. Mai wieder Urlaub gemacht werden.
Strandkörbe auf Sylt: In der Modellregion kann seit 1. Mai wieder Urlaub gemacht werden.
© dpa-tmn

Vor allem Gäste, die in ihren Regionen sehr große Beschränkungen hatten, empfinden das jetzt hier als große Freiheit.“, so Ipsen zum Tagesspiegel. Momentan liege die Auslastung in der Hotellerie demnach bei 70- 80 Prozent, Tendenz nach oben. Bei den Apartments seien es eher 60-65 Prozent.

Urlaub nicht ohne Tests und Kontaktbeschränkungen

Über Himmelfahrt gebe es auf Sylt fast eine Komplettauslastung. Auch die Inseln Amrum, Föhr und Pellworm, sowie das Nordseebad Sankt Peter-Ording empfangen wieder Gäste. Doch auch auf den Urlaubsinseln gelten weiterhin strenge Regeln. So müssen Touristen bei ihrer Anreise einen negativen Corona-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Vor Ort muss außerdem alle 48 Stunden weiter getestet werden. Dazu wurden viele neue Schnelltest-Zentren errichtet.

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Wer im Urlaub mal wieder ausgiebig in einem Restaurant essen gehen möchte, braucht einen negativen Test, der höchstens 24 Stunden alt ist. Nur Kinder unter sechs Jahren und vollständig Geimpfte sind von der Testpflicht ausgenommen. Übernachtungen sind zudem generell auf fünf Personen aus zwei Haushalten beschränkt, Kontaktverfolgungen erfolgen über die Luca App.

„Der Vorteil ist: jeder weiß hier im Vorhinein, worauf er sich einlässt.“, so Ipsen  „Von Tag zu Tag wird es runder”. Auch der große Ansturm sei bislang ausgeblieben, die Insel nicht überlaufen. Nur bei der Anreise komme es teilweise zu größerem Andrang, aber das ist die Insel ja immerhin schon aus den Jahren vor der Pandemie gewohnt.

Nach rund sechs Monaten Pause sind am vergangenen Samstag die ersten Urlauber auf Sylt angekommen.
Nach rund sechs Monaten Pause sind am vergangenen Samstag die ersten Urlauber auf Sylt angekommen.
© Lea Pischel/dpa

Freiheit unter Vorbehalt

Die neu gewonnene Freiheit steht allerdings unter Vorbehalt. Gesundheitsamt und Mediziner haben täglich das Inzidenz-Geschehen an Nord- und Ostsee im Blick. Sollte die Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen bei über 100 liegen, wird das Projekt gestoppt und Touristen müssten wieder abreisen.

Bei einer stabilen Infektionslage bleibt das Modellprojekt bis zum 31. Mai bestehen – eine Verlängerung ist wahrscheinlich. Denn pünktlich zu Pfingsten, ab dem 17. Mai, will Schleswig-Holstein ja seine Corona-Maßnahmen insgesamt lockern. „Voraussetzung dafür ist, dass die Zahlen weiter stabil bleiben oder sogar sinken”, so der Ministerpräsident Daniel Günther.

Auch Bayern will wieder lockern, bei den Leuten steigt die Vorfreude

Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der sich immer als wichtigster Mitspieler in Merkels Teams „Umsicht und Vorsicht“ inszeniert hat, lockert die Zügel. Unter anderem die Außengastronomie kann ab kommender Woche öffnen. Hotels dann rund zehn Tage später. Etwas Perspektive, nachdem das Oktoberfest im Herbst auch dieses Jahr ausfallen muss.

Doch jetzt heißt es erst mal: allmähliches Frühlingserwachen. So etwa im Landkreis Starnberg, wo die 7-Tage-Inzidenz mit 67 aktuell deutlich unter dem kritischen Kennwert 100 liegt. Der Biergarten des berühmten Klosters Andechs bereitet sich schon darauf vor, Gästen wieder ihr Andechser Helles zum „Schmankerl Teller“ zu servieren – aber noch nicht ab kommender Woche.

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Im Kloster Andechs rechnet man damit, am 22. Mai, also am Pfingstsamstag, öffnen zu können. „Bei uns geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, sagt Pressesprecher Martin Glaab dem Tagesspiegel.

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Und der Biergarten Andechs wird wohl nicht der einzige sein, der sich mit dem schnellen Öffnen schwertut, vermutet Glaab. Denn der Landkreis musste erst einen Antrag auf Öffnung beim Bayerischen Staatsministerium stellen. Die Genehmigung steht noch aus.

Leere Stühle am Platz der Einheit in Potsdam: In Brandenburg bleibt man vorsichtig.
Leere Stühle am Platz der Einheit in Potsdam: In Brandenburg bleibt man vorsichtig.
© Ottmar Winter PNN

Die Euphorie lassen sich viele dadurch trotzdem nicht nehmen. „In Starnberg spürt man die Vorfreude bei den Menschen“, erzählt Christoph Winkelkötter, Geschäftsführer der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung im Landkreis Starnberg. Auch die Buchungsanfragen für Hotels und Ferienwohnungen seien zuletzt deutlich gestiegen. Vorfreunde beobachte er auch bei den Gastronomen im Landkreis, viele würden sich schon seit Wochen vorbereiten.

Der Einsatz der Luca-App zur Nachverfolgung von Kontakten würde vorbereitet, dafür druckten Restaurantbesitzer Plakate mit QR-Codes aus und hätten auch schon analoge Schlüssel zum Einloggen erhalten. Auch die Theater im Landkreis würden jetzt in Hochtouren an Produktionen arbeiten, um für schnelle Öffnungen und ein Aufleben der Kultur vorbereitet zu sein. Kinos rechneten Ende Mai oder Anfang Juni damit, wieder Zuschauer:innen bespielen zu können – schließlich müssten erst Filme angemietet werden, das dauere.

Gastronomen bleiben skeptisch, die Wissenschaft ebenso

So groß die Freude auch ist, die Skepsis ist nicht ganz vom Tisch. „Gerade einige Gastronomen haben Angst, dass die Inzidenz bald wieder über 100 steigt und sie wieder schließen müssen.“ Diese Ungewissheit mache es schwierig, mit dem Personal zu planen.

Viele Saisonmitarbeitenden oder Mini-Jober:innen würden deshalb vermutlich erst mal nicht angestellt werden können. Die in Aussicht gestellten Öffnungen begeistern also nicht alle Gastronomen – das ist über die Bundesländer hinweg zu beobachten.

Rafael Mikolajczyk, Epidemiologe am Universitätsklinikum Halle glaubt, dass derzeit nur geringe Lockerungen möglich sind – auch in Kreisen mit niedriger Inzidenz. „Die Kontakteinschränkungen sind weiterhin sehr wichtig, um die Epidemie zu kontrollieren“, sagt er, „bei starken Lockerungen ist zu erwarten, dass die Infektionszahlen wieder schnell steigen – schneller als die Durchimpfungsquote.“ Auch Gastronomen fürchten einen solchen Anstieg.

Im oberbayerischen Kloster Andechs bereitet man sich schon wieder auf Gäste vor.
Im oberbayerischen Kloster Andechs bereitet man sich schon wieder auf Gäste vor.
© Peter Kneffel/dpa

„Für mich und unsere Mitarbeiter wäre es äußerst frustrierend, wenn wir ein oder zwei Wochen nach Eröffnung wieder schließen müssten, weil die Inzidenz über 100 steigt“, sagt Mario Klade, der das Restaurant am Pfingstberg in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam betreibt.

Er fordert, dass die Servicemitarbeiter in der Gastronomie vor den Lockerungen priorisiert geimpft werden sollten. „Wir wollen den Gästen einen sicheren und sorgenfreien Restaurantbesuch ermöglichen“, sagt Klade im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Gleichzeitig bezweifelt er, dass eine reine Öffnung der Außengastronomie Rechnungen und Personalkosten bezahlen kann. Er hat sein Restaurant bereits mit Luftreinigern ausgestattet und würde sich wünschen, dass Gäste bei schlechtem Wetter auch drinnen „essen, trinken, quatschen und lachen“ können.

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