Priorisierung aufgehoben: Bund und Länder geben Astrazeneca für alle frei
Wer will, kann sich ab sofort den Corona-Impfstoff von Astrazeneca spritzen lassen. Zudem gibt es die Aussicht auf Impfungen für Jugendliche ab 12 Jahren.
Impfwillige können sich künftig ohne Rücksicht auf die gültige Vorrangliste gegen Corona impfen lassen - wenn sie sich mit ihrem Arzt für Astrazeneca entscheiden. Das beschlossen die Gesundheitsminister von Bund und Ländern, wie der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag in Berlin mitteilte.
Demnach wird die Priorisierung bei diesem Impfstoff sofort aufgehoben. Ärztinnen und Ärzte in Praxen könnten nun entscheiden, wer wann mit dem Impfen drankomme und ob das Präparat von Astrazeneca das passende sei, so Spahn.
Derzeit sind 7,1 Millionen oder 8,6 Prozent der Bundesbürger voll geimpft. Fast jeder Dritte hat mindestens eine Spritze bekommen: 30,6 Prozent. Bis Ende August sollen auch alle 12- bis 18-Jährigen ein Impfangebot erhalten. Voraussetzung ist, dass der Impfstoff von Biontech/Pfizer wie erwartet im Juni ab 12 zugelassen wird, wie Spahn weiter ankündigte. Heute ist er erst ab 16 zugelassen.
Zudem solle das Intervall zwischen Erst- und Zweitimpfung mit Astrazeneca – derzeit zwölf Wochen – flexibler gehandhabt werden können.
Gegen das Präparat des britisch-schwedischen Pharmakonzerns gibt es teils erhebliche Vorbehalte. Es wird nach dem Auftreten von Blutgerinnseln im Gehirn bei jüngeren Geimpften nur noch für über 60-Jährige eingesetzt. Andererseits gibt es viele Jüngere, die sich gerne damit impfen lassen würden, aber in der Impf-Reihenfolge noch nicht dran sind.
Was bedeutet das?
Was eine Aufhebung der Astrazeneca-Priorisierung bedeutet, zeigt sich am Beispiel Berlin. In der Hauptstadt hat der Senat dafür gesorgt, dass der umstrittene Impfstoff an alle verimpft werden darf. Viele Menschen bemühen sich seitdem um einen raschen Termin für die Immunisierung in einer Praxis.
Dabei werden oft nicht nur die eigenen Ärzte kontaktiert, sondern es werden Dutzende Mediziner im gesamten Stadtgebiet angerufen oder angemailt. Das sorgt bei den Berlinern, die Absage um Absage erhalten, für Frust und in den Praxen für erhebliche Probleme.
Um Impfwilligen, gerade auch Menschen ohne eigenen Hausarzt, dennoch bei der Terminsuche zu helfen, hat die KV Berlin nun eine Liste mit Praxen herausgegeben, die angeben, auch Nicht-Bestandspatienten mit Astrazeneca zu impfen und sich bereit erklärt haben, dass ihre Daten veröffentlicht werden. Sie ist auf der Website der KV im Bereich „Für Patienten“ zu finden.
Bis Ende Juni soll die Hauptstadt insgesamt 3,2 Millionen Impfdosen erhalten. Davon seien laut Senat bis Ende März 760.000 Dosen geliefert worden. Von April bis Juni sollen 2,4 Millionen Impfdosen nach Berlin gehen. Davon entfielen 1,1 Millionen Dosen auf die Praxen für ihre Patienten.
Die geplante Befreiung Geimpfter und Genesener von den Beschränkungen soll am Donnerstagmittag die nächste Hürde nehmen. Der Bundestag befasst sich dann mit einer von der Bundesregierung in einem beschleunigten Verfahren auf den Weg gebrachten Verordnung und stimmt auch gleich ab. Billigt das Parlament die Neuregelungen, soll sie der Bundesrat am Freitag besiegeln.
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Demnach sollen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen für vollständig Geimpfte und Genesene wegfallen. Sie sollen zudem negativ Getesteten gleichgestellt werden und bräuchten für Geschäfte oder beim Friseur keinen Corona-Test mehr.
Nun werden zunehmend weitere Lockerungen auch für negativ Getestete gefordert, etwa bei den Kontaktbeschränkungen. „Viele Menschen konnten sich wegen Impfstoffmangel noch nicht impfen lassen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wir werden den Menschen kaum vermitteln können, dass sich nur Geimpfte und Genesene unbegrenzt und unbeschwert an einem Sommerabend im Park oder zum Abendessen zu Hause treffen können.“
Für Getestete gelten bereits weitgehende Lockerungen beim Einkaufen, Besuch von Kultureinrichtungen und Sporttreiben. Allerdings geben negative Schnelltests wegen der Fehleranfälligkeit weit weniger Sicherheit vor einer Virusübertragung als ein voller Impfschutz.
Mit Blick auf die geplanten Ausnahmen für Geimpfte und Genesene forderte der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, Länder, Kommunen und Pflege-Einrichtungen auf, die vor Ort geltenden Regelungen an die Bundesverordnung anzupassen.
„Jetzt müssen die Besuchsverbote und Kontaktbeschränkungen für geimpfte Heimbewohner aufgehoben werden“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Donnerstag). Dennoch sieht die Stiftung Patientenschutz für Heimbewohner noch viele Fragen offen, wie Vorstand Eugen Brysch dem RND sagte.
EU-weiter digitaler Impfnachweis noch im Juni geplant
Noch nicht abschließend gelöst ist der sichere Nachweis einer vollständigen Impfung, um von den Corona-Beschränkungen ausgenommen zu werden. „Fälschungssicherheit ist mit Blick auf den geplanten digitalen Impfnachweis natürlich ein wichtiger Aspekt“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, dem RND. „Die Verantwortung dafür kann allerdings unter keinen Umständen einfach den Hausarztpraxen zugeschoben werden.“ Sie hätten bereits mit der Patientenversorgung viel zu tun.
Deutschland will gemeinsam mit der EU noch im Juni einen digitalen Corona-Impfnachweis einführen. Bei bereits vorher vollständig Geimpften soll der Impfstatus aus dem analogen Impfpass übertragen werden. Jedoch sind bereits gefälschte Impfpässe im Umlauf.
Erste Fälschungen des „gelben Heftes“, des analoge Impfausweises, tauchen vermehrt auf dem Schwarzmarkt auf. In Berlin entdeckten Polizisten Dutzende dieser kleinen gelben Hefte in der Wohnung eines 27-jährigen Berliners. Sie alle erwiesen sich als gefälscht. Zuletzt waren auch in anderen Bundesländern Blanko-Impfbücher mit solchen Einträgen aufgetaucht. Auch der geplante europäische Corona-Impfnachweis lässt sich Medienberichten zufolge leicht fälschen.
Derweil haben Gegner der bundesweiten nächtlichen Ausgangsbeschränkungen am Mittwochabend einen Dämpfer hinnehmen müssen: Das Bundesverfassungsgericht hält ihre Klagen nicht für eilbedürftig und lehnte die Eilanträge ab.
„Damit ist nicht entschieden, dass die Ausgangsbeschränkung mit dem Grundgesetz vereinbar ist“, teilte das Gericht in Karlsruhe mit. Dies müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Die Beschränkung sei zwar ein tiefer Eingriff in die Lebensverhältnisse, andererseits diene sie „einem grundsätzlich legitimen Zweck“, nämlich dem Infektionsschutz, und sei nicht offensichtlich unangemessen. (dpa)