Auch bei älteren Frauen?: Kontroverse über neue Daten zu sehr seltener Nebenwirkung
Eine Studie aus Deutschland legt nahe, dass auch Frauen über 60 nach Astrazenea-Impfung Sinusvenen-Thrombose bekommen können.
Laut den Ergebnissen einer Datenerhebung könnte die Wahrscheinlichkeit, nach einer Impfung mit dem Präparat der Firma Astrazeneca eine Hirnvenenthrombose zu erleiden, auch bei älteren Frauen erhöht sein. Zu dieser Schlussforderung gelangen Tobias Kurth, Direktor des Instituts für Public Health an der Charité-Universitätsmedizin, und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Erhebung geschah unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Allerdings wurde die Auswertung noch nicht von Fachleuten begutachtet und auch noch nicht in einem Fachmagazin veröffentlicht.
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Das Team hatte demnach neurologische Abteilungen und Kliniken in ganz Deutschland befragt. Die Rate von Hirnvenenthrombosen nach einer Astrazeneca-Impfung sei insgesamt mehr als neunmal höher als nach einer Impfung mit einem mRNA-Impfstoff wie von Biontech/Pfizer oder Moderna. Dabei sei die Rate bei Frauen im Vergleich zu jener bei Männern mehr als dreimal erhöht gewesen. Das Magazin "Der Spiegel" berichtete auf seiner Website.
Neuigkeitswert hat vor allem, dass auch Frauen über 60 Jahre im Vergleich zu Männern und im Vergleich zu gesunden Nichtgeimpften überdurchschnittlich oft von der Erkrankung betroffen zu sein scheinen. Das könnte der Empfehlung, das Präparat Über-60-Jährigen Männern und Frauen zu spritzen, entgegenstehen.
Aktuell wird der Impfstoff von Astrazeneca in Deutschland für Menschen ab 60 Jahren empfohlen. Jüngeren kann der Impfstoff auf deren Wunsch hin und nach eingehender Beratung verabreicht werden.
Solche Thrombosen nach einer Impfung seien aber insgesamt sehr selten, gemessen an der Anzahl der Impfungen, betonten die beteiligten Forscherinnen und Forscher. Insgesamt hätten die Kliniken 45 Fälle von Hirnvenenthrombosen gemeldet, die sich in einem Zeitraum von 31 Tagen nach einer Impfung ereignet hätten.
Risiko im Promillebereich
In Relation zu mehreren Millionen in Deutschland verimpften Dosen läge das Risiko für eine solche Komplikation selbst bei den Personengruppen, die eher betroffen sind, damit im Promillebereich. Anschaulich wird dies auch in der von den Forschern verwendeten Darstellung: Würde man 100.000 Menschen ein Jahr lang beobachten, käme es laut den Daten bei 18 dieser Personen zu einer Hirnvenenthrombose. Nur knapp zwei Drittel davon würden dann zudem die molekularen Symptome zeigen, die dem Stand der Forschung nach auf einen tatsächlichen Zusammenhang mit der Impfung hinweisen würden.
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Auch 17 Fälle, in denen Betroffene unter anderem Schlaganfälle oder Hirnblutungen erlitten, meldeten die Kliniken. Bei diesen Erkrankungen, die ebenso wie Hirnvenenthrombosen auch spontan und mit anderen Ursachen als einer Impfung auftreten können, ist ein Zusammenhang mit dem Impfstoff bislang gar nicht nachgewiesen.
Die Studienautoren weisen laut dem Bericht zudem darauf hin, dass Thrombosen im Zusammenhang mit der Impfung – ebenfalls sehr selten - auch an anderen Stellen im Körper auftreten können. Zudem spreche die Datengrundlage dafür, dass die tatsächliche Anzahl der Sinusvenenthrombosen und anderer Komplikationen höher sein könnte als es die Ergebnisse widerspiegeln.
Grund für diese Hypothese ist unter anderem, dass nicht alle neurologischen Abteilungen die Anfrage der Forscher beantwortet haben, und dass Patienten auch möglicherweise gar nicht neurologisch behandelt wurden und deshalb ihre Fälle nicht in die Daten eingingen.
"Die Daten zeigen, dass auch ältere Frauen ein erhöhtes Risiko einer Hirnvenenthrombose nach Gabe des Astrazeneca-Vakzins haben", sagte Tobias Kurth, dem "Spiegel". Er rief die Entscheidungsträger dazu auf, rasch über mögliche Auswirkungen für die geltenden Impf-Empfehlungen zu beraten.
Thromboserisiko bei Covid-19 um ein Vielfaches höher
Als gesichert gilt auf der anderen Seite, dass eine Erkrankung an Covid-19 das Risiko für Hirnvenenthrombosen, andere Thrombosen und andere lebensgefährliche Komplikationen um ein Vielfaches mehr erhöht als eine Impfung.
Neben der noch fehlenden routinemäßigen Begutachtung durch unabhängige, an der Studie nicht beteiligte Fachleute gibt es noch andere Gründe, die nun publik gewordenen Daten zumindest mit Zurückhaltung zu betrachten. Rüdiger von Kries, Kinderarzt aus München und Mitglied er ständigen Impfkommission etwa äußerte gegenüber dem Magazin Zweifel an den Schlussfolgerungen.
So seien die Meldungen von Hirnvenenthrombosen und anderer Thrombosen nach AstraZeneca-Impfung stark zurückgegangen, seit die Altersempfehlung geändert worden sei. „Würde es vermehrt Fälle bei über 60-jährigen Frauen geben, müssten wir die sehen", so von Kries. Dazu kommt, dass gerade die erhöhte Aufmerksamkeit für mögliche solche Fälle auch die Dunkelziffer der nicht erkannten Erkrankungen deutlich gesenkt haben dürfte. Es wäre also eigentlich mit mehr solchen Meldungen zu rechnen gewesen.
Der Präsident des für die Zulassung von Impfstoffen zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, teile dem Tagesspiegel kürzlich im Zusammenhang mit einer anderen Fragestellung mit: „Wir erfahren durch die millionenfachen Impfungen und die strikte Nebenwirkungsbeobachtung des Paul-Ehrlich-Instituts und der anderen Arzneimittelbehörden in Europa und weltweit sehr schnell auch von sehr seltenen Nebenwirkungen.“
Kurths Team wertete auch Daten zu anderen Impfstoffen und Hirnvenenthrombosen aus. Demnach gibt es bei den Vakzinen, die auf mRNA-Technologie basieren - also jenen von Biontech und Moderna - keine signifikante Erhöhung der Anzahl solcher Fälle. Das muss aber auch nicht bedeuten, dass diese Impfstoffe insgesamt sicherer sind, denn auch andere Nebenwirkungen sind nicht ausgeschlossen, ebenso andere mögliche Langzeit-Konsequenzen. Allerdings gibt es darauf, dass dies in bedeutendem, den Sinn der Impfung auch nur ansatzweise infrage stellendem Maße der Fall sein könnte, bislang keine Hinweise. (mit AFP)
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