Bundeswehr im Ausland: Was bringen die weltweiten Einsätze der deutschen Armee?
Mehr als 3700 Bundeswehr-Angehörige sind auf Missionen im Ausland. Die Bilanz der Einsätze für 2019 fällt unterschiedlich aus.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer wollte es den Deutschen noch einmal ins Gedächtnis rufen: „Es gibt viele Zeiten im Jahr, wo man Heimweh hat“, sagte die CDU-Politikerin in der vergangenen Woche bei einem Truppenbesuch in Zypern. „Aber eine Zeit gibt es, da hat man besonders viel Heimweh, und das ist auch vollkommen gerechtfertigt, und das ist an Weihnachten.“
Kramp-Karrenbauer war am vergangenen Donnerstag auf die Mittelmeerinsel gereist. Dort beteiligen sich 120 deutsche Soldatinnen und Soldaten an der UN-Mission Unifil, die den Frieden zwischen Libanon und Israel sichern soll. Wie sie verbringen insgesamt mehr als 3700 Angehörige der deutschen Streitkräfte die Feiertage und den Jahreswechsel im Ausland. Hier eine Bilanz der Bundeswehreinsätze im Jahr 2019.
Wo ist die Bundeswehr aktiv?
Insgesamt gibt es derzeit 14 Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die größte Mission ist „Resolute Support“ in Afghanistan mit mehr als 1100 deutschen Soldaten. Ungefähr so viele sind auch im westafrikanischen Mali eingesetzt. 550 beteiligen sich an der Nato-Operation „Enhanced Forward Presence“, einer Übungs- und Ausbildungsmission im Baltikum. Für den internationalen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien und dem Irak sind derzeit rund 460 Bundeswehrsoldaten abgestellt, zur Feindaufklärung und Ausbildung einheimischer Truppen. Zu den kleineren Einsätzen der Bundeswehr zählt die EU-Anti-Piraten-Mission „Atalanta“ am Horn von Afrika. Dort sind 57 deutsche Soldaten abkommandiert. Einzelne Bundeswehrangehörige arbeiten außerdem unter UN-Kommando bei Beobachtermissionen, etwa in Marokko oder dem Sudan.
Welcher ist der schwierigste Einsatz?
Am gefährlichsten und kompliziertesten ist die Bundeswehr-Mission im westafrikanischen Mali. Wie ernst die Lage dort ist, zeigen viele Beispiele – etwa der Vorfall im 300-Einwohner-Ort Sobane-Ka an der Grenze zu Burkina Faso, wo Steppe und Wüste langsam ineinander übergehen. In einer Nacht im Juni attackierten Unbekannte das Dorf, stundenlang wüteten die Angreifer. Am nächsten Morgen waren mindestens 95 Menschen tot, darunter zwei Dutzend Kinder. Die Gewalttat war möglicherweise ein Racheakt der rivalisierenden Bevölkerungsgruppe der Fulani, die zuvor bei einem ähnlichen Attentat mehr als 150 Menschen verloren hatten.
Die Bundeswehr ist seit 2013 in dem Krisenstaat aktiv. Ihr Auftrag: Frieden schaffen. Doch sie kommt damit nicht voran, die Gewalt in Mali war 2019 so schlimm wie lange nicht. „Vom Ziel, dort für Stabilität zu sorgen, ist man nach wie vor weit entfernt“, sagt Hans-Georg Ehrhart vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. „Auch in diesem Jahr gab es eher Rück- als Fortschritte.“
Henning Otte, der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, gibt deshalb Durchhalteparolen aus: „Für alle Stabilisierungseinsätze gilt es, langfristig und nachhaltig zu handeln“, sagt er. „Erfolge stellen sich nur langsam ein, auf Rückschläge gilt es immer wieder neue Antworten zu finden.“ In Mali wird das zunehmend schwerer, das Land ist tief zerrissen im Konflikt zwischen Rebellen und Regierung, zwischen Islamisten, Kriminellen und Milizen.
Welches Ziel verfolgt die Bundeswehr in Mali?
Die Bundeswehr verfolgt zwei Ziele in dem Sahel-Staat: In der Hauptstadt Bamako bildet sie im Rahmen der EU-Mission EUTM einheimische Soldaten aus. Die sollen die eigene Regierung stärken und so für Stabilität sorgen. 2300 Einheimische haben in diesem Jahr Lehrgänge durchlaufen. Daneben betreibt die Bundeswehr im Norden des Landes für den UN-Einsatz Minusma ein Lager zur Feindbeobachtung. Beide Einsätze hat der Bundestag im Frühjahr bis Mai 2020 verlängert, für Gesamtkosten von rund 350 Millionen Euro. Zum Kämpfen sind die deutschen Soldaten nicht in Mali – was bei Bündnispartnern wie Frankreich inzwischen für Unmut sorgt.
Was fordern die Franzosen von Deutschland?
Die gezielte Jagd auf die islamistischen Terroristen im Land übernimmt vor allem die französische Armee. Die fühle sich von der Bundesrepublik dabei oft allein gelassen, sagt die Sicherheitsexpertin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik: „In Berlin wird der französische Einsatz in Mali manchmal als postkoloniales Abenteuer angesehen. Aus französischer Perspektive aber bekämpfen die Truppen dort nicht nur Terroristen, sondern sie schützen die Sicherheit ganz Europas.“ Deshalb werde Frankreich von den Deutschen im Mali-Einsatz im kommenden Jahr erneut mehr Kampfeswillen und vor allem Opferbereitschaft einfordern, ist Major sicher. 36 Franzosen sind in dem Einsatz bislang gefallen, 13 von ihnen starben allein im November bei einem Hubschrauberabsturz. Die Bundeswehr musste 2019 vier ihrer Soldaten wegen „Dienstunfällen“ nach Hause fliegen.
Der Konfliktforscher Ehrhart glaubt, die Militärmission in Westafrika sei insgesamt zum Scheitern verurteilt: „In Mali wird nicht die Ruhe einkehren, die man sich wünscht.“ Rebellengruppen und Islamisten seien zu flexibel und mobil in dem Land, das doppelt so groß ist wie Frankreich, die Hälfte davon Wüste. Auch die Konflikte zwischen Ackerbauern und Viehhaltern um das knappe Nutzland sind vielschichtig. „Bei den vielen strukturellen Problemen im Land, von der Armut über Korruption bis zur hohen Geburtenrate, kann man militärisch nur wenig ändern.“
Wie geht es in Afghanistan und dem Irak weiter?
Manche Experten vergleichen Mali inzwischen mit dem Dauer-Bürgerkriegsland Afghanistan. Dort ist die Bundeswehr seit 2001 aktiv – mit nur geringem Erfolg. „Dieses Jahr war eines der schlimmsten, was Tod und Gewalt in dem Land angeht“, sagt Ehrhart. Tatsächlich ist für 2019 die Liste der Gräueltaten in Afghanistan lang – von Bombenanschlägen bis hin zu Enthauptungen, auch im Distrikt Masar-i-Sharif, wo die Bundeswehr ihr größtes Feldlager „Camp Marmal“ betreibt.
Mehr als 1100 deutsche Soldaten sind in Afghanistan im Einsatz. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Beratung bei der Ausbildung einheimischer Sicherheitsleute. „In Afghanistan scheint sich unser jahrelanges Engagement zu lohnen“, bilanziert der CDU-Verteidigungssprecher Otte. Es zeige sich, „dass die afghanischen Sicherheitskräfte immer besser in der Lage sind, ihren Auftrag zu erfüllen“. Der Friedensforscher Ehrhart kontert: Viele einheimische Soldaten würden schnell getötet, andere quittierten den Dienst, manche liefen „mitsamt ihren Waffen zum Gegner über“.
Wie es in Afghanistan für die Bundeswehr weitergeht, hängt vor allem von den USA ab, die ein Drittel ihrer 12.000 Soldaten abziehen wollen. Ohne deren Schutz könnte Deutschland wohl kaum im Land bleiben. „Mit Blick auf Afghanistan war das Jahr 2019 vor allem von der Ratlosigkeit über die Amerikaner geprägt“, sagt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. „Wir wissen bis heute nicht, was die USA in Afghanistan vorhaben.“
Noch negativer fällt Nouripours Bilanz für den Bundeswehreinsatz im Irak aus: „Das Jahr 2019 war desaströs für den Irak.“ Im nordirakischen Erbil und nahe der Hauptstadt Bagdad bildet Deutschland einheimische Sicherheitskräfte aus. Die setze die irakische Regierung mitunter gegen die eigene Bevölkerung ein, lasse sie auf friedliche Demonstranten schießen, kritisiert Nouripour: „Das sind Sicherheitsleute, die mit deutscher Hilfe ausgebildet wurden.“ Das zeige, wie wenig die von Deutschland gewünschten Reformen des irakischen Sicherheitsapparats funktionierten, meint der Grünen-Politiker. „Für mich drängt sich damit die Frage auf, wie lange wir das noch mitmachen wollen.“
Wo gibt es Fortschritte?
Einen Lichtblick in den Auslandseinsätzen stellt die EU-Mission „Atalanta“ dar, der Kampf gegen die Piraterie am Horn von Afrika. Knapp 60 Bundeswehrsoldaten beteiligen sich daran, stationiert sind sie in Djibouti. Ein Seeaufklärungsflugzeug hilft bei der Überwachung der Küste vor Somalia, insgesamt ein Einsatzgebiet mit einer Ausdehnung von 8,7 Millionen Quadratkilometern. Der Grund für die Entsendung der deutschen Soldaten im Jahr 2011 war ein Angriff von somalischen Freibeutern auf ein Schiff des UN-Welternährungsprogramms. Mehr als 170 solcher Attacken gab es damals jährlich. Heute sind die Piraten kaum noch aktiv. Keiner ihrer Angriffe war erfolgreich in diesem Jahr.
Der Sicherheitsexperte Ehrhart sagt: „,Atalanta‘ war nur einer von verschiedenen Faktoren für den Rückgang der Piraterie am Horn von Afrika. Viele Piraten haben sich andere Tätigkeiten gesucht, im Schmuggel oder Menschenhandel etwa.“ Der Grünen-Politiker Nouripour lobt den Einsatz: „Die Mission ist ein Erfolg“, sagt er. Allerdings seien nur die „Symptome der Piraterie“ verschwunden. „Die Ursachen allerdings, wie die Müllverklappung im Meer oder die Überfischung, sind nach wie vor da.“