Kramp-Karrenbauer in Afghanistan: Besuch an einem schicksalsträchtigen Ort in der Kriegszone
Sandsäcke, Bunker, Lehmmauern: Erstmals hat eine Verteidigungsministerin das neue deutsche Camp in Kundus besucht. Dort ist der afghanische Krieg sehr nah.
„Wir haben den Unterschenkel sauber amputiert“, sagt der Oberststabsarzt. Es klingt fast geschäftsmäßig, aber die Fotos, die der Mediziner für den Besuch der Ministerin vorbereitet hat, sind Bilder aus dem Krieg. Kopfschuss. Bauchschuss. Ein Afghane ist auf eine Sprengfalle getreten, beide Beine enden in blutigen Fetzen.
Im Feldkrankenhaus von Kundus sind solche Bilder nicht die Regel, aber sie gehören doch zum Alltag. Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer die afghanische Realität kennenlernen wollte, ist sie im äußersten Außenposten der Bundeswehr richtig.
Für die Verteidigungsministerin ist der Hindukusch Neuland. Seit vier Tagen ist sie unterwegs. Im Kosovo hat sie der ältesten Bundeswehr-Mission eine Stippvisite abgestattet. Nach 20 Jahren sieht das KFOR-Lager in Pristina so aus, wie es heißt: „Film City“, eine gemütliche multinationale Kleinstadt mit Weihnachtsbeleuchtung. Der Einsatz, kann die Ministerin befriedigt feststellen, sei eine Erfolgsgeschichte. Doch so gefestigt ist selbst dieser Erfolg nicht, dass die Soldaten gehen könnten.
Fünf Flugstunden weiter im deutschen Feldlager Mazar-e-Sharif klingen die Erfolgsmeldungen sehr viel bescheidener. Kramp-Karrenbauer spricht Dienstagabend von „Fortschritten“, die man „nach vorne absichern“ müsse, weil sonst ein totaler Rückfall drohe.
Sie war gerade in Kabul. Präsident Aschraf Ghani hat sie empfangen – der Termin war ein Grund, die Reise nicht abzusagen, trotz der Krise der großen Koalition. Ghani preist das deutsche Engagement als „entscheidend“ dafür, dass eines Tages in seinem Land Frieden und Freiheit herrschen könnten.
„Du tötest den Taliban. Der Sohn des Taliban tötet dich.“
Aber in Kabul hat Kramp-Karrenbauer von der afghanischen Seite ebenso wie im Hauptquartier der internationalen Koalitionskräfte auch die Formel gehört, die nach 18 Jahren am Hindukusch die Lage beschreibt: „Strategisches Patt“. Keine Seite kann gewinnen, keine muss kapitulieren.
Oder, mit den Worten eines afghanischen Dolmetschers: „Du tötest den Taliban. Der Sohn des Taliban tötet dich. So geht es weiter.“ Alle hoffen auf die Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban. Aber die Taliban sind schwierig und Donald Trump auch. Bis auf Weiteres geht der Krieg weiter.
In Kundus ist er sehr nah, besonders für die afghanische Armee. Ihre Verluste sind hoch, die Taliban stark. 2013 hatte die Bundeswehr ihr Feldlager geräumt. Der Abzug aus dem schicksalsträchtigen Ort besiegelte das Ende des ISAF-Einsatzes und den Beginn der Mission „Resolute Support“. Seither fahren Deutsche keine Patrouillen mehr, sondern bleiben in den Lagern, die mit ihren Lehmmauern und Wachtürmen an alte Forts erinnern.
"Es kommt darauf an, dass das Ergebnis stimmt"
Doch 2016 kehrten die ersten Deutschen nach Kundus zurück – nicht ins alte Lager, sondern ins „Camp Pamir“ des afghanischen 217. Korps. Und seit März 2018 gibt es ein deutsches Lager im Lager, direkt neben dem der Amerikaner, ein Containerdorf mit Helikopter-Landeplatz, drei Fußballfelder groß.
Auf den Dächern liegen Sandsäcke. Überall stehen Beton-Halbschalen als Schutzbunker. Zuletzt feuerten die Taliban Ende August Mörserraketen auf das Camp. Neun Geschosse schlugen ein. Die Deutschen blieben unverletzt.
Kramp-Karrenbauers Besuch am Mittwoch ist der erste einer Verteidigungsministerin im neuen Kundus. Sie trifft die Notfallsanitäter, wirft einen Blick in die nagelneue Truppenküche und bekommt einen Einblick in die eigentliche Aufgabe der rund 100 deutschen Soldaten: Ausbildung und Training der Afghanen.
Die Regeln der deutschen Offiziersschulen funktionieren hier nicht
Hier wird Führungspersonal geschult, das im Lager gleich nebenan stationiert ist. Genauer gesagt: Hier versucht ein Dutzend deutscher Soldaten, sich mit Afghanen auf eine Methode zu einigen, wie man zum Beispiel einen Einsatz mit dem Blick auf das Morgen und Übermorgen führt und nicht nur aufs Heute.
Der „afghanische Weg“, sagt der Oberst, der die Gruppe leitet, folge nun mal nicht den Regeln deutscher Offiziersschulen. Aber egal: „Es kommt darauf an, dass das Ergebnis stimmt.“ Vor allem das menschliche. Ohne Vertrauen kein Lerneffekt. Und ohne viel Wiederholung kein nachhaltiger. „Das ist ein zartes Pflänzchen“, sagt ein Berater, der sich um das Soldwesen kümmert – kein unwichtiges Thema.
„Also“, schlussfolgert die Ministerin, „wird noch gebraucht.“ Für sie steht außer Frage, dass das Mandat verlängert werden muss. Geht es nach ihr, wird es sogar inhaltlich ausgeweitet. Dass die Deutschen in Kundus nur in Deckung gehen und auf die Amerikaner warten können, wenn die Taliban das Camp angreifen, findet Kramp-Karrenbauer unbefriedigend.
Sie will mit dem Bundestag über ein Mandat sprechen, das auch den Deutschen Gegenwehr erlaubt. Und sie hat eine konkrete Idee: Es spreche „sehr viel“ dafür, die neue Drohne Heron TP als bewaffnete Version zu beschaffen. Skeptikern in der Koalition hält die Ministerin entgegen: „Hier geht es immer um den Eigenschutz der Soldaten.“