Friedensplan für den Jemen: Warum die Saudis eine Waffenruhe vorschlagen
Das Königreich Saudi-Arabien will sich vom Jemenkrieg befreien und legt jetzt einen Friedensplan vor. Findet der Dauerkonflikt nun doch ein Ende?
Prinz Mohammed bin Salman war sich seiner Sache sicher. Nur zwei Monate nach seiner Ernennung zum saudischen Verteidigungsminister gab der damals 29-Jährige den Befehl zum Angriff auf die Huthi-Rebellen im südlichen Nachbarland Jemen.
MBS, wie der heutige Thronfolger von Saudi-Arabien genannt wird, wollte mit einem raschen Sieg dem Rivalen Iran als Schutzmacht der Huthis eine Niederlage beibringen und sich als Feldherr beweisen.
Doch daraus wurde nichts. Seit Beginn des Krieges am 26. März 2015 sind mehr als 100.000 Menschen getötet worden, Millionen leiden unter Hunger und Krankheit – und die Huthis sind stärker als vor sechs Jahren.
Nun hat Saudi-Arabien einen neuen Friedensplan vorgelegt. Die Huthis lehnten die Vorschläge zwar umgehend ab. Doch die USA, die Vereinten Nationen und der regionale Vermittler Oman sehen trotzdem eine Chance für Verhandlungen.
Was Saudi-Arabien vorschlägt
Riad will mit dem Plan aus einer verfahrenen Lage herauskommen. Die Huthis haben im Jemen die Hauptstadt Sanaa und große Teile des Nordwestens unter Kontrolle, greifen saudische Ölanlagen mit Drohnen und Raketen an und haben eine Offensive auf die ölreiche Stadt Marib gestartet. Die von Saudi-Arabien geführte Militärallianz unterstützt die international anerkannte jemenitische Regierung, fliegt Luftangriffen auf Sanaa und sperrt Flug- und Seehäfen, um den Huthis den Nachschub abzuschneiden.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Der Friedensplan könne die Spirale der Gewalt beenden, sagte der saudische Außenminister Faisal bin Farhan al Saud bei der Vorstellung der Vorschläge. Zum Plan gehören eine umfassende Waffenruhe und die Aufhebung der Sperre des Flughafens von Sanaa für einige Versorgungsflüge.
Die saudische Blockade des von den Huthis kontrollierten Seehafens von Hodeidah soll ebenfalls gelockert werden. Über den kommen die meisten Hilfslieferungen ins Land. Diese und ähnliche Vorschläge wurden bereits im vergangenen Jahr diskutiert.
Was für den Friedensplan spricht
Grund für die neue Bewegung an der diplomatischen Front sind internationale Veränderungen und der Kriegsverlauf im Jemen selbst. Der neue US-Präsident Joe Biden ist ein erklärter Gegner des Krieges. Dieser sei eine „humanitäre und strategische Katastrophe“ und müsse umgehend beendet werden, sagt Biden.
Schon kurz nach seinem Amtsantritt stellte Washington die militärische Unterstützung für die saudische Offensive ein – ein klarer Bruch mit der Politik von Bidens Vorgänger Donald Trump. Riad gerät damit mehr denn je in die Defensive. Saudi-Arabien dringt auch deshalb auf ein baldiges Ende der Kämpfe, weil ein Einmarsch der Huthis in die Öl-Stadt Marib den Krieg für die Rebellen entscheiden könnte.
Die aufständischen Huthis lehnen die neue Initiative der Saudis mit dem Argument ab, der Plan wärme lediglich alte Vorschläge auf. Alle Flug- und Seehäfen müssten komplett freigegeben werden. Allerdings haben Luftangriffe den Rebellen in jüngster Zeit schwere Verluste beigebracht. Unter Vermittlung des jemenitischen Nachbarn Oman verhandeln die Huthis seit etwa einem Monat mit dem US-Jemenbeauftragten Timothy Lenderking.
[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]
Bedeutsam ist deshalb vor allem der Zeitpunkt der saudischen Vorschläge: Der Plan kommt zu einer Phase, in der die Konfliktparteien hinter verschlossenen Türen bereits miteinander reden. Seine Gruppe stehe im direkten Kontakt mit Saudi-Arabien und Oman, sagte ein Sprecher der Huthis der Nachrichtenagentur AP. US-Außenamtssprecherin Jalina Porter bestätigte laufende Gespräche hinter den Kulissen.
Ein sofortiges Ende der Gewalt erwartet dennoch niemand. Immerhin werde verhandelt, schrieb Peter Salisbury von der Denkfabrik International Crisis Group auf Twitter. Der saudische Plan lässt Salisbury zufolge erkennen, worüber bei den Kontakten gesprochen wird: die Aufhebung der Luft- und Seeblockade als Voraussetzung für weitere Schritte.
Was gegen einen Erfolg der saudischen Initiative spricht
Es gab allerdings schon etliche Versuche, den Dauerkonflikt im Armenhaus der arabischen Welt mit politischen Mitteln zu lösen. Vor allem die Vereinten Nationen habe sich oft darum bemüht. Doch die Diplomatie ist bislang immer gescheitert. Kaum war etwas vereinbart, wurde es schon wieder gebrochen.
Dieses Mal könnte am Ende ebenfalls wieder alles beim Alten bleiben: Krieg, Armut, Hunger. Das liegt nicht zuletzt an den Erfolgen der Huthis. Ihnen ist es in den vergangenen Jahren nicht nur gelungen, der saudischen Allianz zu trotzen, sondern kontinuierlich ihre Macht auszubauen – mit Gewalt und nicht über den Verhandlungsweg, wie Jemen-Expertin Annelle Sheline von der US-Denkfabrik Quincy-Institut analysiert.
Auch im Moment sehen sich die Aufständischen im Vorteil. Sie fühlen sich durch Bidens Kurswechsel ermutigt, weil Riad dadurch militärisch geschwächt wird. Genau darauf haben die Huthis gewartet. Sie wollen den Preis für eine Einigung auf dem Schlachtfeld in die Höhe treiben und sehen jetzt eine gute Chance, dass ihr Kriegsgegner sich als Verlierer zurückzieht. Einen Tag nach Vorlage des saudischen Plans griffen die Huthi-Milizen einen Flughafen in Saudi-Arabien mit Drohnen an.
Ein Abzug der Saudis wäre auch ganz im Interesse der Iraner. Sie haben die Huthis aus- und aufgerüstet, um dem Erzrivalen Saudi-Arabien in ihrem „Hinterhof“ eine krachende Niederlage beizubringen. Genau diesen Gesichtsverlust will die Golfmonarchie aber mit allen Mitteln verhindern. Ein Rückzug in Schimpf und Schande kommt für das Königshaus und den ehrgeizigen Kronprinzen bin Salman nicht in Frage.
Diese Machtkämpfe werden auf dem Rücken der Jemeniten ausgetragen. Die Lage im Land gilt als weltweit größte humanitäre Katastrophe. Millionen Kinder, Frauen und Männer leiden extreme Not, sind zu Geflüchteten geworden. Die andauernde Gewalt hat dazu geführt, dass der Hunger allgegenwärtig ist. Allein 400.000 Kinder unter fünf Jahren sind Save the Children zufolge lebensgefährlich unterernährt.
Auf medizinische Hilfe können die verarmten Familien kaum hoffen. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen, die wenigen noch offenen Kliniken sind völlig überlastet. Es mangelt an Medikamenten und Ärzten. Und das zu einer Zeit, in der das Coronavirus den Jemen mit voller Wucht trifft. Wer dort an Covid erkrankt, hat wenig Chancen die Krankheit zu überstehen. Die Sterblichkeitsrate ist eine der höchsten der Welt.