USA erklären Huthis zu Terroristen: Jemens nächster Alptraum
Präsident Trump setzt die aufständischen Huthis auf die Terrorliste. Hilfsorganisationen warnen vor katastrophalen Folgen für die Menschen im Jemen.
Seit mehr als sechs Jahren herrscht Bürgerkrieg im Jemen, seit fünf Jahren mischt Saudi-Arabien in dem Konflikt mit, der das ärmste Land der arabischen Welt verwüstet und mehr als Hunderttausend Menschen getötet hat. Jetzt könnte alles noch schlimmer werden. Um dem künftigen US-Präsidenten Joe Biden Steine in den Weg zu legen, hat die scheidende Trump-Regierung in Washington die aufständischen Huthi-Rebellen im Jemen zur Terrororganisation erklärt.
Damit soll es Biden erschwert werden, einen Ausgleich mit dem Iran zu suchen, dem wichtigsten Unterstützer der Huthis. Hilfsorganisationen befürchten eine Katastrophe. Denn wegen der Entscheidung der USA drohen ihnen künftig Strafen, wenn sie mit den Huthis die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten in den Machtbereich der Rebellen vereinbaren.
„Wir haben seit Wochen davor gewarnt, dass die Folgen katastrophal sein können“, sagt Janti Soeripto, Präsidentin von Save the Children. Etwas vorsichtiger formuliert es Annabel Symington vom Welternährungsprogramm. Die Konsequenzen könne man noch nicht absehen. „Wichtig ist allerdings auf jeden Fall der ungehinderte Zugang zu den Bedürftigen.“
Schon jetzt sind 80 Prozent der 30 Millionen Bewohner des Jemen auf Hilfslieferungen angewiesen. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte kürzlich, im Armenhaus der arabischen Welt drohe die weltweit schlimmste Hungersnot seit Jahrzehnten.
Trump will seinen Nachfolger Biden auf eine harte Linie gegen den Iran festlegen
Die beteiligten Staaten sollten alles unterlassen, was die Lage weiter verschlimmere. Doch in der Nacht zum Montag tat der scheidende Außenminister Michael Pompeo das Gegenteil. Die Huthis seien für viele Terroranschläge sowie Angriffe in Saudi-Arabien und auf die internationale Schifffahrt verantwortlich, teilte Pompeo mit. Abdul Malik al Huthi, Anführer der Rebellen, und zwei andere führende Mitglieder wurden ebenfalls offiziell zu Terroristen erklärt.
Dass die Huthis – auf ihrer Flagge steht „Gott ist groß, Tod Amerika, Tod Israel, Fluch auf die Juden“ – brutale Gewalt anwenden und Zivilisten nicht schonen, ist bekannt, hätte aber schon viel früher dazu führen können, dass die USA die Rebellen offiziell als Terrorgruppe einstufen.
Dass Pompeo dies erst jetzt tut und einen Tag vor Bidens Amtsantritt am 20. Januar in Kraft setzen will, gehört zur Strategie der Trump-Regierung, den neuen Präsidenten auf eine harte Linie in der Iran-Politik festzulegen.
„Trump hinterlässt bewusst viele Baustellen für Biden, um ihm die Hände zu binden“, sagt Dirk Kunze, Regionaldirektor der Friedrich-Naumann-Stiftung für Nahost und Nordafrika. „Biden muss vieles erst einmal abräumen, um mit dem Iran Gespräche aufnehmen zu können.“ Selbst in Trumps Republikanischer Partei in Washington regt sich Unmut. Pompeos Entscheidung werde den Jemen noch weiter destabilisieren, kritisierte Senator Todd Young.
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Die Huthis, die gegen die saudisch unterstützte Regierung von Präsident Abd Rabbu Mansur Hadi kämpfen, kontrollieren die Hauptstadt Sanaa und große Gebiete im Norden und im Westen des Jemen. Eine von Saudi-Arabien angeführte Allianz hat es seit 2015 trotz militärischer Überlegenheit nicht geschafft, die Huthis zu besiegen. Präsident Trump hatte sich im Jemen-Krieg hinter Saudi-Arabien gestellt und Waffen an das Königreich geliefert.
Die Saudis wissen nicht, wie sie sich aus dem Krieg zurückziehen können
Aber Biden will die Golfmonarchie dazu bewegen, den Konflikt zu beenden. Das wird für die künftige US-Regierung nun noch schwerer, als es ohnehin schon gewesen wäre. Nicht zuletzt, weil die Saudis nicht wissen, wie sie ohne Gesichtsverlust den Rückzug antreten können. Der Krieg könnte jetzt sogar noch eskalieren. Nach Pompeos Ankündigung erklärten die Rebellen, sie behielten sich das Recht vor, auf den Beschluss zu „antworten“.
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Für den Jemen dürfte sich die jüngste Entwicklung als weitere Katastrophe erweisen. Die Lage der Menschen verschärft sich mit jedem Tag, weil das Land auch ökonomisch am Boden liegt. Die Infrastruktur und landwirtschaftliche Flächen sind zerstört, staatliche Dienstleistungen gibt es nicht mehr.
Zudem steigen die Preise für Lebensmittel und Treibstoff rasant, während der Rial als Landeswährung rapide an Wert verliert. Einen Job zu ergattern, ist fast unmöglich.
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Besonders fatale Folgen hat der Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Seit Jahren wütet im Jemen die Cholera. Nun breitet sich Covid-19 rasant aus. Wer sich infiziert, hat kaum Chancen zu genesen. Die Menschen sind entkräftet, Kliniken wollen keine Corona-Patienten aufnehmen. So sterben viele Jemeniten einsam in ihren Dörfern.
Covid-19 breitet sich rasant aus
Millionen Kinder kämpfen ebenfalls ums Überleben. Von einer normalen Kindheit kann keine Rede sein. Das Elend und die Armut sind so groß, dass viele Mädchen und Jungen zum Familieneinkommen beitragen müssen. An einen regelmäßigen Schulbesuch ist unter derartigen Bedingungen nicht zu denken.
Dann ist da noch der allgegenwärtige Hunger. Schätzungen zufolge leiden 1,7 Millionen Kinder unter fünf Jahren an akuter Mangelernährung, für fast 360.000 ist die Not sogar lebensbedrohlich. Insgesamt sind nach Angaben des Welternährungsprogramms fünf Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen.
Das führt dazu, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung oft nicht weiß, woher ihre nächste Mahlzeit kommen soll. Xavier Joubert, Landesdirektor für Save the Children im Jemen, befürchtet das Schlimmste: „Die tödliche Kombination aus Krieg, Hunger und Krankheit bringt jeden Tag Tausende von Kindern dem Tod näher.“ Der Jemen – ein Albtraum.