Facebook-Gruppe: Unter Rassisten: So diskutieren AfD-Politiker im Netz
In einer rechtsradikalen Facebook-Gruppe haben sich fast 50 Abgeordnete der AfD aus Bundestag und Landtagen vernetzt. Die Partei geht auf Distanz.
Es ist kein Ausrutscher: Anfang November postete ein langjähriger Mitarbeiter einer Bäckerei aus dem hessischen Wetzlar in der geschlossenen Facebook-Gruppe "Die Patrioten" eine Fotomontage von Anne Frank auf einer Pizzaschachtel, versehen mit der Aufschrift: "Die Ofenfrische, locker und knusprig zugleich" sowie "Neu, feurig scharf". Die Frankfurter Jüdin hatte den Holocaust nicht überlebt, sie starb im Konzentrationslager Bergen-Belsen.
Den Mann kostete das, wie der Hessische Rundfunk berichtet, inzwischen den Job, Facebook blockierte den Urheber des Postings. Und die Staatsanwaltschaft Limburg leitete Ermittlungen wegen der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ein.
Und ins Visier gerät erneut eine Facebook-Gruppe, die bereits eine Rolle spielte, als die Satire-Partei "Die Partei" wenige Wochen vor der Bundestagswahl 31 geschlossene Facebook-Gruppen kaperte. Nun wurde bekannt: In der Gruppe "Die Patrioten" (Selbstdarstellung: "Gemeinschaft aller Patrioten und Heimat liebenden...") haben sich gemeinsam mit NPD-Leuten und anderen Neonazis, Rassisten und Fremdenhassern fast 50 Mandatsträger der AfD vernetzt, 15 aus dem Bundestag und 33 aus den Landtagen. Eine erste Übersicht dazu veröffentlichte der Blogger Frank Stollberg am Wochenende auf Facebook.
Dem Tagesspiegel vorliegende Dokumente belegen, dass mindestens 14 dieser Abgeordneten aus Bundestag und Landtagen in der Gruppe eigene Beiträge gepostet oder Beiträge anderer Nutzer kommentiert haben - mithin bei ihnen davon auszugehen ist, dass sie wissen, in welcher Art und Weise in der Gruppe diskutiert wird. Das betrifft etwa die Bundestagsabgeordneten Jens Maier aus Sachsen, Enrico Komning aus Mecklenburg-Vorpommern und Volker Münz aus Baden-Württemberg.
Der am 24. September in den Bundestag gewählte NRW-Landesvorsitzende Martin Renner ist aktives Mitglied der Gruppe, auch die schleswig-holsteinische Landeschefin Doris von Sayn-Wittgenstein, Abgeordnete im Kieler Landtag. Gunnar Lindemann, seit einem Jahr Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, kritisierte beispielsweise in einem Post im Juni 2016 die Stationierung von Nato-Soldaten im Osten: "Die illegalen Migranten kommen aus dem Süden. Nicht aus Moskau." Im Februar 2017 trat auch Sven Tritschler, einer der Vorsitzenden der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative", der Gruppe bei.
Stimmung machten Abgeordnete in der Facebook-Gruppe immer wieder gegen die frühere AfD-Vorsitzende Frauke Petry, die der Partei inzwischen den Rücken gekehrt hat. Nach der Brandrede des thüringischen AfD-Chefs Björn Höcke im Januar im Dresdner Brauhaus Watzke empörte sich Jürgen Pohl aus Thüringen, inzwischen Mitglied des Bundestages, Petry schreibe "lang und breit über B. Höcke. Nichts über unsere Einheit, die wir im politischen Kampf brauchen. Wir müssen ihr schreiben, was wir von diesen spalterischen Tendenzen halten." Nach der Bundestagswahl kommentierte der thüringische Landtagsabgeordnete Thomas Rudy den Petry-Rückzug mit den Worten: "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert."
Das klingt harmlos im Vergleich zu fast allem, was sonst in der Facebook-Gruppe "Die Patrioten" gepostet und kommentiert wird. Zwar rufen die Administratoren dazu auf, "keine NS-Bilder" zu veröffentlichen und auf Aufrufe zur Gewalt und auf verfassungsfeindliche Äußerungen zu verzichten. Dieser Appell aber verhallt bei den aktuell fast 30.000 Mitgliedern der Gruppe weitgehend ungehört.
Beleidigung und Volksverhetzung
Beleidigung, Volksverhetzung und Menschenverachtung sind an der Tagesordnung. Als dieser Tage in der Gruppe ein Zeitungsbericht verlinkt wurde, in dem Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) über die Schändung jüdischer Friedhöfe berichtet, kommentierte ein Nutzer: "Das DDR-Miststück soll ihre vorlaute Fresse halten." Regelmäßig geht es gegen Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik: "Rein in die Zwangsjacke und fertig!!!". Die Kanzlerin müsse "wegen Hochverrat" angeklagt werden, heißt es, sie sei eine "Verbrecherin", die "das deutsche Volk ausrotten" wolle.
Nähe zu AfD-Positionen bezeugen viele Nutzer. Sie äußern beispielsweise Verständnis für den Wechsel von Parteichef Jörg Meuthen ins Europaparlament. Oder begrüßen den Antrag der AfD im Bundestag, mit dem Assad-Regime in Damaskus über die Rückführung von Flüchtlingen zu verhandeln: "richtige Maßnahme".
In welcher Weise sich die Diskussionen in der Gruppe hochschaukeln, zeigt der Thread, in dem die Anne-Frank-Verunglimpfung gepostet wurde. Zunächst hatte ein Nutzer ein Bild eines küssenden Paares eingestellt, junge weiße Frau, dunkelhäutiger Mann, dazu die Frage "#Fachkraft und ??? Eure Meinung!" Die kam dann unverblümt in Dutzenden von Kommentaren: "Negernutte", "Pfui Deibel", "Abartig", "Widerlich". Die Frau sei eine "Verräterin der weißen Rasse", ihr wird Aids herbeigewünscht. Eine Frau schrieb: "Die gehört samt dem Affen in den Urwald gebracht." Der Thread ist inzwischen gelöscht.
AfD-Sprecher: Viele unbewusst Mitglied
Der AfD ist das Engagement ihrer Mandatsträger in der Facebook-Gruppe inzwischen zumindest teilweise unangenehm. Die geschlossenen Facebook-Gruppen seien generell ein "heikles Thema", heißt es aus der baden-württembergischen Landtagsfraktion. AfD-Sprecher Christian Lüth versichert, die Gruppe "Die Patrioten" spiele "keinerlei Rolle für die Meinungsbildung innerhalb der Partei". Er sagt weiter, "viele der Mandatsträger wissen nicht einmal, dass sie dazu gehören oder sind unbewusst und daher auch inaktiv dort Mitglied, einige bereits dort wieder ausgetreten".
Auch der sachsen-anhaltinische AfD-Landeschef André Poggenburg, der selbst - ebenso wie weitere fünf Landtagsabgeordnete aus seinem Bundesland - zu der Gruppe gehörte, sagt, die Gruppe spiele für die parlamentarische Arbeit oder die innerfraktionelle Meinungsbildung keinerlei Rolle. "Es ist ein grundsätzliches Problem bei Facebook, dass jeder zu solchen Gruppen einfach hinzugefügt werden kann, ohne dass man dieses bestätigen müsste." Auch ihm sei es so ergangen. Das Anne-Frank-Posting nennt er "unannehmbar" und "nicht akzeptabel". Poggenburg zum Tagesspiegel: "Wenn solcherlei Postings, selbst wenn es nur vereinzelt der Fall sein sollte, in einer Facebook-Gruppe auftauchen, finden diese selbstverständlich nicht die Zustimmung der AfD. Deshalb werde ich den Abgeordneten in meiner Fraktion auch nahelegen, diese Gruppe ebenfalls zu verlassen, sofern sie dieser auch hinzugefügt wurden."
Es gibt aber auch weit weniger kritische Reaktionen aus der Partei. "Welche Vernetzung und Diskussion von Thomas Rudy in der geschlossenen Gruppe stattfindet, ist der Fraktion unbekannt", wiegelt ein Sprecher der thüringischen AfD-Landtagsfraktion ab. Thorsten Elsholtz, Sprecher der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, erklärt: "Diese Gruppe war mir bislang nicht bekannt und wird von der Fraktion nicht genutzt. Entsprechend hat sie auch keinerlei Bedeutung für unsere Arbeit." Auf die Vernetzung des Abgeordneten Linnemann in der Gruppe geht Elsholtz nicht ein.
Beteiligt an den Diskussionen in der Gruppe "Die Patrioten" hat sich auch der brandenburgische Landtagsabgeordnete Andreas Galau. Ein Sprecher der Landtagsfraktion sagt dazu, angesichts der großen Zahl von Mitgliedern in der Gruppe sehe sich "Herr Galau außerstande, jeden Beitrag in dieser Gruppe zu beobachten oder gar eine politische Haftung dafür zu übernehmen. Er sieht darüber hinaus keinen Grund, aus etwaigen Facebook-Gruppen auszutreten und somit als Abgeordneter auf politische Informationsquellen zu verzichten, nur weil einzelne Nutzer in diversen Gruppen sich möglicherweise extremistisch oder auf andere Weise grenzwertig äußern." Eine Grenze wäre für ihn "lediglich erreicht, wenn die gesamte Gruppe sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet". Galau selbst habe sich im Übrigen in der besagten Gruppe in keinem einzigen Beitrag indiskutabel geäußert, betont der Fraktionssprecher.
Linke: AfD ist Heimstatt von Menschenverachtung
Für die Linke im Bundestag ist die Vernetzung von AfD-Politikern in der Facebook-Gruppe empörend. "Wir können nicht hinnehmen, dass kurz vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht AfD-Abgeordnete dabei zuschauen, wie die Opfer der Shoa verhöhnt werden", sagt deren thüringische Abgeordnete Martina Renner. "Dass sich rund 50 AfD-Abgeordnete im Internet dort politisch zu Hause fühlen, wo Anne Frank und mit ihr alle Holocaust-Opfer aufs Schändlichste verhöhnt werden, zeigt einmal mehr, dass die AfD keine normale Partei ist, sondern Heimstatt von Menschenverachtung. Wenn am 9. November, dem Jahrestag des Beginns der systematischen Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden, diese und andere Äußerungen der AfD, seien sie rassistisch, antisemitisch oder nationalistisch weiter als diskussionswürdig hingenommen werden, verlieren wir mehr als Glaubwürdigkeit in die Demokratie, wir verlieren auch die Achtung vor den Opfern des Nationalsozialismus.“
Über den Umgang mit der AfD debattierten auch der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) und der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler im Rahmen einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sie warnten davor, die Existenz der AfD zu skandalisieren.