Landesparteitag in Berlin: Wie die AfD Kritik für sich zu nutzen versucht
Wird die AfD in Berlin tatsächlich ausgegrenzt, wie sie es immer wieder behauptet? Oder begibt sie sich gezielt in die Opferrolle? Eine Analyse
Die Berliner AfD, die an diesem Wochenende ihren Landesparteitag abhält, ist viel damit beschäftigt, sich zu wehren – auch immer wieder juristisch. Derzeit läuft ein Organstreitverfahren gegen den Justizsenator, der habe seine Neutralität nicht ausreichend gewahrt, als er angekündigt hatte, Aussagen von AfD-Mitgliedern im Wahlkampf zu beobachten. Als der Intendant des Friedrichstadtpalastes, Berndt Schmidt, AfD-Wähler auslud, machte die Partei daraus eine Werbeaktion und verloste Tickets an bekennende Parteifreunde. Nun kommt ein weiterer Fall hinzu, in dem die Partei Gerichte anrufen will, weil sie sich ungerecht behandelt fühlt. Es ist das ewige Spiel, das die Öffentlichkeit auch in Berlin immer wieder bewegt: Wird die AfD tatsächlich ausgegrenzt, oder begibt sie sich gezielt in die Opferrolle, um Aufmerksamkeit zu bekommen?
Im neuesten Fall geht es um die Verleihung des Silvio-Meier-Preises. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg möchte am 21. November die Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“ ehren. Der Preis ist nach dem damals 27-jährigen linken Aktivisten benannt, der 1992 in Friedrichshain von jugendlichen Neonazis erstochen wurde. Lange wurde der politische Hintergrund der Tat geleugnet. Mit der Auszeichnung wolle das Bezirksamt „klare Position gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Ausgrenzung, Diskriminierung“ beziehen. Für die AfD aber bezieht das Bezirksamt ganz klar Stellung – und zwar gegen sie.
Fakt ist, besucht man die Homepage der Initiative, steht dort „Stoppt die AfD“. Erklärt wird, warum die Partei rassistisch sei, warum „AfD wählen, Nazis wählen“ heiße. Die Partei fühlt sich beleidigt, will Anzeige erstatten. Doch bevor sie das tut, macht der am Wochenende im Amt bestätigte Landesparteichef Georg Pazderski erstmal eine Pressekonferenz.
„Der Rechtsstaat ist neutral - aber keine leere Hülle“
Das hat System. Wer häufiger mit der AfD zu tun hat, kennt die Sätze, die Pazderski dort abspult. Mantra artig wiederholt er sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Er zählt die linksextremistischen Angriffe auf, denen Mitglieder seiner Partei immer wieder ausgesetzt sind: Ein Angriff gegen ein Mitglied Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Neukölln, dann der Angriff mit Steinen und mit Farbe gefüllten Flaschen gegen sein, Pazderskis, Haus Anfang Oktober. Das demolierte Auto des AfD-Bezirksvorsitzenden von Spandau, eine eingetretene Haustür des innenpolitischen Sprechers der AfD-Fraktion. Mit der Initiative habe das direkt nichts zu tun, gibt Pazderski zu, aber die habe Unterstützer aus der linksextremistischen Szene und „man gibt solchen Leuten eine Rechtfertigung“, sagt er. Und dann wiederholt er erneut, dass der Innensenator Andreas Geisel (SPD) in einer Parlamentsdebatte gesagt hatte, wer austeile, müsse auch einstecken können. Dass Geisel im gleichen Satz noch gesagt hatte, Gewalt könne niemals ein Argument im politischen Meinungsaustausch sein, lässt Pazderski wie immer unerwähnt.
Für die AfD ist klar: Linksextremisten fühlten sich in ihrer Gewalt bestätigt, weil staatliche Stellen wie das Bezirksamt sich gegen Rechtsextremismus stellen. Und mit der Auszeichnung der Initiative, die sich gegen die AfD richtet, verletze der Bezirk sein Neutralitätsgebot.
Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder hingegen sagt: „Der Rechtsstaat ist neutral. Aber er ist keine ideologisch neutrale, leere Hülle“, denn im Grundgesetz sei die wehrhafte liberale Demokratie als Grundwert verankert. „Wenn eine Partei diese Grundwerte angreift, dann werden häufiger Institutionen geehrt, die sich gegen diese Partei positionieren.“ Problematisch sähe er es, wenn das Bezirksamt die Initiative ehrte, weil sie gegen die AfD sei. Doch das tut das Bezirksamt laut Jury-Mitglied und BVV-Vorsteherin Kristine Jaath nicht. Man habe abgewogen, „ein Bündnis auszuzeichnen, das sich konkret mit der Politik einer Partei auseinandersetzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass das Engagement gegen Rassismus auch in dieser Form ehrenwert ist.“
„Einzelne Aspekte des Rechts werden von der AfD instrumentalisiert“
Dass die AfD eine Anzeige wegen Beleidigung erstatten möchte, weil die Initiative schreibt „Die AfD ist rassistisch“ und dann ausführt, dass sie gegen Flüchtlinge, Migranten und Muslime hetze, ist für den Strafrechtsprofessor Martin Heger von der Berliner Humboldt Universität „heiße Luft“. Denn die Initiative bewerte damit politische Aussagen der AfD, das sei klar von der Meinungsfreiheit gedeckt. Für Heger ist offensichtlich, dass dies einer der Fälle ist, in denen sich die AfD als Opfer darstelle. Sobald Ermittlungen aufgrund aussichtsloser Strafanzeigen von der Staatsanwaltschaft eingestellt würden, könne die AfD behaupten, die Justiz sei auf dem linken Auge blind. „Hier werden einzelne Aspekte des Rechts von der AfD instrumentalisiert“, sagt Heger.
Es ist vielleicht der neueste Fall in Berlin, in dem es um die Frage „Opfer oder Opferrolle“ geht, doch es ist lange nicht der einzige – und wird nicht der letzte sein. Die AfD auszugrenzen kann auch ins Gegenteil des damit Bezweckten umschlagen. Dann ist sie Opfer - und Wähler solidarisieren sich mit ihr. So habe Theater-Intendant Schmidt der AfD erst recht Aufmerksamkeit verschafft, sagt Politologe Koschmieder „und den Graben vertieft“, indem er die Wähler ausgeladen habe. Das helfe in Koschmieders Augen der Demokratie ebenso wenig, wie zu sagen, wer die AfD wähle, wähle Nazis.
Da das Erfolgsmodell der AfD darauf basiere, sich als Opfer zu stilisieren, könne man überlegen, ihr dafür nicht so viele Möglichkeiten zu geben. Also überlegen, ob das Bezirksamt beispielsweise den Preis nicht an eine Initiative vergeben sollte, die sich so offen gegen die AfD richtet. „Das ist aber eine strategische Frage. Und ich glaube ja, dass die AfD ohnehin immer eine Möglichkeit finden wird, sich als Opfer zu inszenieren – egal, wie sich Demokraten verhalten.“ Denn klar ist, von jedem unfair wirkenden Angriff gegen die AfD profitiert sie – das weiß auch ihr Landeschef, Pazderski: „Der Wähler merkt, dass da etwas nicht richtig funktioniert. Das nutzt uns auch, das gibt Sympathiepunkte.“