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Linken-Politiker Klaus Ernst Anfang März beim politischen Aschermittwoch seiner Partei in Passau.
© Lino Mirgeler/dpa

Linken-Politiker Klaus Ernst: „Sahras Rückzug führt zu weniger Repression“

Wurde Sahra Wagenknecht aus dem Amt der Fraktionschefin gemobbt? „Das geht total an der Realität vorbei“, sagt Ex-Parteichef Klaus Ernst im Interview.

Herr Ernst, 2009 sagte Oskar Lafontaine, wie damals der „Stern“ berichtete, Sahra Wagenknecht sei „eine der begabtesten und intelligentesten Politikerinnen, die wir haben“. Aber er riet ihr auch: „Du musst lernen, Bündnisse zu schließen. Du bist zu viel für dich allein. Wenn du eine Partei führen willst, musst du auch mit Leuten reden, die du für Idioten hältst.“ Stimmt das bis heute?

Beides stimmt. Die Qualitäten von Sahra, hervorragende Auftritte in Talkshows, geschliffene Reden, sind das eine, was sie auszeichnet. Zum zweiten: Ich bedaure ihren Verzicht auf den Fraktionsvorsitz. Sie wird mit weniger Einfluss für ihre Positionen kämpfen können, die ich im Übrigen durchaus teile. Zum Beispiel ihre Ablehnung eines bedingungslosen Grundeinkommens, oder auch ihr vernünftiges Herangehen an Migrations- und Flüchtlingsfragen. Eine linke Partei muss im Kern immer eine Partei sein, die die Interessen der abhängig Beschäftigten in den Mittelpunkt stellt.

Sahra Wagenknecht wurde immer wieder vorgeworfen, sich nicht an die Programmatik der Partei zu halten, beispielsweise in der Flüchtlings-, aber auch in der Europapolitik. Was ist da dran?

Abweichende Positionen in einer Partei müssen möglich sein. Die Frage ist, wie Sahra ihre abweichenden Meinungen - nochmal: die ich teile - in die Debatte gebracht hat. An der Partei vorbei, ohne Diskussion im Parteivorstand über die Medien, das treibt die Genossinnen und Genossen verständlicherweise auf die Barrikaden. Die Art und Weise, wie Sahra Wagenknecht agierte, hat ein Klima erzeugt, das respektvolle und konstruktive Diskussionen erschwert hat. Das gilt auch für ihre Personalpolitik. Ein Beispiel: Als es etwa vor einem Jahr darum ging, ihre Vertraute Sevim Dagdelen als stellvertretende Fraktionsvorsitzende durchzusetzen, fiel die bei der ersten Wahl glatt durch. Daraufhin hat Sahra mit Rücktritt gedroht. Viele unserer Abgeordneten fühlten sich erpresst und wählten im zweiten Wahlgang Sevim. Das sind Methoden, eine Fraktion zu führen, die gehen nicht. Insofern hat Oskar Lafontaine recht: Sahra hätte durch Integration führen müssen. Auch mit Kompromissen, mit denen, die nicht ihrer Auffassung sind. Der Rückzug von Sahra Wagenknecht, so sehr ich ihn bedauere, birgt auch eine Chance: Diese Angst von vielen, sie müssten eine Position nur deshalb schlucken, weil Sahra sich sonst zurückziehen könnte, ist jetzt weg. Das wird zu freieren Diskussionen und zu weniger Repression in der Fraktion führen. Und das ist gut so.

Ist Sahra Wagenknecht überhaupt noch links?

Selbstverständlich ist Sahra links. Es ist konstituierende Bedingung für die Linke, dass sie sich um die abhängig Beschäftigten kümmert. Die Bessergestellten brauchen keine linke Partei. Der Schwerpunkt ist: Wie geht’s den Beschäftigten, den Rentnern, denen, die krank sind und den Familien. Eine linke Partei muss sich vor allem um die sogenannten kleinen Leute kümmern und dafür steht Sahra Wagenknecht.

Aus dem Umfeld von Wagenknecht ist der Vorwurf erhoben worden, sie sei aus dem Amt gemobbt worden. Sie selbst sagt dazu, für die Dinge die passiert sind, möge jeder seinen Begriff finden. Trifft der Mobbing-Vorwurf zu?

Ich halte diese Behauptung, der jetzt von einem Teil ihres Umfelds gestreut wird, für wirklich dreist. Mobbing gegen Sahra Wagenknecht? Das geht total an der Realität vorbei. Aber das ist genau der Stil, der in der Fraktion eingezogen ist. Jede Kritik, die an ihr geäußert wurde, wurde von ihrem Umfeld wahlweise als Mobbing oder als Majestätsbeleidigung betrachtet. So macht man eine Diskussionskultur einer Fraktion kaputt. Diejenigen, die die Mobbing-These jetzt in Umlauf bringen, haben nur das Ziel, den Parteivorstand zu beschädigen. Andere Meinungen als die von Sahra, sollen diskreditiert werden. Auch wenn ich inhaltlich oft einer Meinung mit Sahra Wagenknecht war, sage ich: Dieser Umgang mit anderen Meinungen ist nicht akzeptabel.

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht (links), Stellvertreterin Sevim Dagdelen im November 2018 bei einer "Aufstehen"-Veranstaltung in Bochum.
Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht (links), Stellvertreterin Sevim Dagdelen im November 2018 bei einer "Aufstehen"-Veranstaltung in Bochum.
© imago/Bettina Strenske

Jetzt gibt’s Leute in der Linken, die sagen: Wenn Sahra Wagenknecht sich aus der ersten Reihe zurückzieht, sollen die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger auch gehen. Gute Idee?

Völlig absurd. Ich wüsste auch nicht, warum. Die Parteiführung hat versucht, die Programmatik der Linken umzusetzen. Und das ist auch ihre Aufgabe. Die Leute, die jetzt den Rücktritt der Vorsitzenden fordern, müssen sich fragen lassen, was ihr Ziel ist. Wenn sie die Partei in eine Krise stürzen wollen, sind sie genau auf dem richtigen Weg. Positiv auf die Ergebnisse der anstehenden Wahlen wirkt sich das mit Sicherheit nicht aus.

Im Februar, als sich Sahra Wagenknecht schon krank ins Saarland abgemeldet hatte, hat ihr Amtsvorgänger Gregor Gysi gesagt, Wagenknecht müsse ihre Rolle in der Partei neu definieren. War das intrigant?

Das hat doch mit Intriganz nichts zu tun. Das ist eine Meinung von Gregor Gysi, und meine übrigens auch. Man kann als Fraktionsvorsitzende nicht gegen die Partei agieren. Es ging ja auch nicht nur um die Migration und den Umgang von Sahra Wagenknecht mit dem Parteivorstand. Dazu kam die Sache mit der linken Sammlungsbewegung. Mein Gott, wenn man so einen Alleingang macht, nie mit der Partei oder dem Parteivorstand darüber redet, und sich dann wundert, dass nicht automatisch alle hinter einem herlaufen, sondern es auch Kritik an dem Vorgehen gibt, dann ist das normal. Und kein Mobbing.

Wagenknecht zieht sich auch aus der Führung der von ihr und Lafontaine initiierten Sammlungsbewegung zurück. Ist „Aufstehen“ damit am Ende?

Eine Sammlungsbewegung, die funktioniert hat, haben wir initiiert, das war 2005 die WASG…

… aus der dann im Zusammenschluss mit der PDS die Linkspartei entstand…

Genau. Wir Initiatoren gehörten damals nicht zum Politik-Establishment. Uns kannte keiner. Wir gehörten zum mittleren Gewerkschafts-Management oder wie Herbert Schui damals zur Wissenschaft. Trotzdem interessierten sich Leute aus allen Milieus für das Projekt. Die Zustimmung war breit. Und das ist eben der Unterschied: Wenn jemand selbst zum Politik-Establishment gehört wie Sahra Wagenknecht und eindeutig parteipolitisch identifiziert wird, ist eine von ihr initiierte Bewegung von unten nicht glaubwürdig. Wenn man oben ist, kann man bestenfalls Bündnisse schließen. Insofern war dieses Wagenknecht-Lafontaine-Projekt Sammlungsbewegung von Anfang an zum Scheitern verurteilt – so sehr ich mir wünschen würde, dass die Menschen für vernünftige Renten, für auskömmlich Löhne und bezahlbaren Wohnraum aufstehen würden.

Genossen Gregor Gysi, Katja Kipping auf dem Linken-Europaparteitag im Februar in Bonn.
Genossen Gregor Gysi, Katja Kipping auf dem Linken-Europaparteitag im Februar in Bonn.
© imago/Sepp Spiegl

Im Hintergrund agierte bei „Aufstehen“ immer Oskar Lafontaine. War das ein Problem?

Es war nicht das Problem, dass auch Oskar bei „Aufstehen“ dabei war. Das Problem war, eine Bewegung von unten nicht von oben initiieren zu wollen. Ich bedaure sehr, dass Sahra und Oskar das nicht erkannt haben. Ich schätze beide als kluge politische Analytiker. Aber beim Projekt Sammlungsbewegung haben beide die Lage  vollkommen falsch eingeschätzt. Jetzt ist die gute Idee auf längere Sicht verbrannt.

Wagenknecht hat seit Ende vergangenen Jahres, auch wieder gemeinsam mit Lafontaine, versucht, die Gelbwesten-Protestbewegung nach Deutschland zu tragen. Auch das ging schief. Warum?

Weil es in Frankreich ein anderes politisches System gibt, ein klassisches Mehrheitswahlrecht. Ein großer Teil der Bürger in Frankreich ist deshalb parlamentarisch kaum vertreten. Im Gegensatz zu Deutschland, wo über ein Verhältniswahlrecht die Minderheit besser parlamentarisch vertreten ist. In Frankreich bleibt den Menschen, so wie die Regierung Macron agiert, gar nichts anderes übrig als dass sie sich auf der Straße massiv gegen das wehren, was von oben kommt. In Deutschland finden die Auseinandersetzungen eher parlamentarisch statt. Der Unmut entlädt sich nur selten auf der Straße. Deshalb ist es eine Fehleinschätzung zu glauben, die Gelbwesten-Bewegung lasse sich eins zu eins auf die Bundesrepublik übertragen. Obwohl ich mir auch das wünschen würde, allerdings gewaltfrei.

Haben Wagenknecht und Lafontaine das Gefühl für die Stimmungen im Volk verloren?

Ich bedaure, dass Oskar und Sahra das nicht berücksichtigt haben. Oskars Einschätzungen in unserer gemeinsamen Zeit im Bundestag waren immer treffsicher und eine Bereicherung der Debatte.

Soll die Fraktion künftig von Dietmar Bartsch allein geführt werden?

Das wird schon deshalb nicht gehen, weil sich die Frauen nicht die Butter vom Brot nehmen lassen werden. Und es wäre auch nicht gut.

2012 sind Sie nach heftigen Debatten um die Führung nach zweijähriger Amtszeit als Parteichef abgetreten. Droht der Linkspartei eine neue Führungskrise?

Das glaube ich nicht. Wir haben zwei Parteivorsitzende, einen funktionierenden Parteivorstand. Wir haben eine in Sachfragen fleißig arbeitende Fraktion. Es mangelte leider bisher an gegenseitiger Wertschätzung. In der könnte die Arbeit künftig sogar besser laufen, wenn man sich jetzt auf die Gemeinsamkeiten besinnt.

Über die Erkrankung von Wagenknecht haben wir jetzt noch nicht gesprochen. Wird Politikern insgesamt zu viel zugemutet?

Keiner von uns wird gezwungen zu tun, was er macht. Natürlich ist die Arbeit als Spitzenpolitiker eine Dauerbelastung, ich habe das ja auch selbst erlebt. Partei- oder Fraktionsvorsitzender, da ist die Belastung schon sehr hoch. Jeder muss sich selbst fragen, wie belastbar er ist. Aber man macht das freiwillig. Deswegen habe ich einen Heidenrespekt, wenn Sahra Wagenknecht nun sagt, es sei für sie der Punkt erreicht, an dem es ihr zu viel wird. Und sie ist nicht die erste in der Politik, die entscheidet: Hoppla, ruinieren muss ich mich nun auch nicht. 

Klaus Ernst (64) ist seit 2005 Bundestagsabgeordneter der Linken. Der Gewerkschaftsfunktionär aus Schweinfurt war 2005 maßgeblich an der Gründung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) beteiligt, aus der im Zusammenschluss mit der PDS die Linkspartei entstand. Von 2010 bis 2012 war er Parteichef der Linken, lange Jahre auch enger Vertrauter des früheren Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine. Seit Januar 2018 ist Ernst Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Bundestag. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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