Linkspartei: So hat Wagenknecht neue Energie für Querschüsse
Sahra Wagenknecht zieht sich aus der ersten Reihe der Politik zurück. Ihre Linkspartei nervt sie vermutlich weiter. Ein Kommentar.
Sahra Wagenknecht hat sich übernommen, dramatisch verschätzt – und das wird noch nachwirken. Es war nur der erste Aufschlag, dass sich die Linken-Fraktionschef am Wochenende aus der ersten Reihe der von ihr und ihrem Ehemann Oskar Lafontaine initiierten Sammlungsbewegung zurückzieht und das Feld einer vermeintlichen "Basis" überlässt. Am Montag folgte der zweite Streich: Auch den Fraktionsvorsitz will sie im Herbst abgeben, wie sie auf den Tag genau 20 Jahre bekanntgab, nachdem ihr heutiger Mann Oskar Lafontaine die Ämter des SPD-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers niederlegte. Stress und Überlastung nennt sie zur Begründung.
Auch wenn Wagenknecht versichert, "selbstverständlich" weiter politisch aktiv zu bleiben: Sie hat das Spiel mit der Möglichkeit, ihre eigene Partei zu verlassen und eine neue namens "Aufstehen" anzuführen, verloren. Denn darum ging es ja heimlich immer: dass "Aufstehen"-Aktivisten einmal bei Wahlen antreten. Für Wagenknecht war das innerparteiliches Drohpotenzial, um ihre eigene Agenda durchzusetzen - und die ihres Gatten womöglich gleich mit.
Als Oskar Lafontaine am Wochenende den Rückzug seiner Frau aus der ersten Reihe von "Aufstehen" bewertete, sagte er: "Obwohl uns das finanziell und organisatorisch geholfen hätte und wir gute Umfrageergebnisse hatten, haben wir dem Drängen vieler Mitglieder, zur Europawahl anzutreten, nicht nachgegeben, weil wir keine Aufspaltung des linken Lagers wollen." Dabei steht die polarisierende Politikerin Wagenknecht genau für diese Aufspaltung des linken Lagers.
Mit Hass-Tiraden gegen SPD und Grüne hat sie immer wieder Misstrauen geschürt. Und versöhnliche Worte von ihr sind nicht einmal überliefert, nachdem sich die SPD vorsichtig von Gerhard Schröder und seiner Agenda 2010 emanzipierte. Mit den #r2g-Netzwerken, die nach wie vor die Vision eines rot-rot-grünen Regierungsbündnisses im Bund verfolgen, hatte die bekannteste Linken-Politikerin nie etwas am Hut.
Sammlungsbewegung - das war immer auch das Projekt des alten Kämpen Lafontaine. Der Saarländer hadert schon eine ganze Weile mit der Partei, die er 2005 gemeinsam mit Gregor Gysi aus der Taufe gehoben hatte. Als Lafontaine im November 2017 mit der "Saarbrücker Zeitung" erstmals öffentlich über die Idee sprach, sagte er, er stelle sich manchmal die Frage, ob er innerhalb der SPD mehr hätte bewirken können. "Aber das ist vergossene Milch." Etwas Neues sollte her, die Sammlungsbewegung als Variante des ziemlich abwegigen Lafontaine-Vorhabens, SPD und Linke irgendwann doch noch einmal zu vereinen. Wer Lafontaine für seine Pläne kritisierte, wurde von ihm als "Trottel" abgekanzelt.
"Aufstehen", das ist nicht nur ein Ego-Projekt von Wagenknecht und Lafontaine. Sondern auch eine Mogelpackung, in mehrerer Hinsicht. Zum einen, weil es die angeblich 170.000 Unterstützer nie gab. Formell Mitglied kann in der Organisation sowieso niemand werden. "Unterstützer", das waren Leute, die sich in eine Mailingliste eingetragen haben, weil sie Informationen wollten - und nicht immer gleich, weil sie mit der Initiative sympathisierten. Die tatsächlichen Auftritte dagegen waren eher kläglich, wie der Soziologe und Protestforscher Dieter Rucht feststellte.
Bewegung? Ein Euphemismus
Und Bewegung? Der Duden definiert: "politisch, historisch bedeutendes gemeinsames (geistiges oder weltanschauliches) Bestreben einer großen Gruppe". Für das Lafontaine-Wagenknecht-Projekt ein Euphemismus: Von oben gestartet war "Aufstehen" nie eine Basis-Initiative. Unter aktiven Politikern von SPD und Grünen war die Resonanz praktisch gleich Null. Und in der Linkspartei, die sich von ihrer Frontfrau vorgeführt fühlte, sorgte die Initiative vor allem für Ärger.
Und jetzt, Erleichterung in der Linken nach dem Doppel-Rückzug? In der eigenen Partei war die Nachsicht mit Wagenknecht geschwunden. Um des innerparteilichen Friedens willen hatte die Bundestagsfraktion im Januar einen Aufstand gegen ihre Vorsitzende abgeblasen. Die Vorbehalte, weil sich Wagenknecht wenig um Beschlüsse und Programm der Partei schert und stattdessen als Anwältin von Wutbürgern agiert, aber bestanden fort. Keiner wollte sich vorstellen, dass die Spitzen-Linke zur braven Parteisoldatin mutiert. Auch jetzt ist das fraglich. Gut möglich, dass Wagenknecht nun ohne die Bürde von Spitzenämtern ihr Talent für Querschüsse eher noch schärft.