Linksfraktion streitet über "Aufstehen": Sahra Wagenknecht und ihr Mann fürs Grobe
Die Linksfraktion des Bundestages streitet stundenlang um die Sammlungsbewegung ihrer Chefin Sahra Wagenknecht. Zum Ende der Sitzung kommt es zum Eklat.
Die Stimmung in der Linksfraktion des Bundestages war am Montagnachmittag nur mittelgut – schon bevor die Debatte über die Sammlungsbewegung "Aufstehen" richtig losging. Zur Diskussion stand zunächst ein Antrag "Wir unterstützen gesellschaftliche Bewegung gegen Abschottung und Rassismus", in dem sich die Abgeordneten für eine "neue, aktive Sichtbarkeit der ,Willkommenskultur'" aussprechen wollten. Solidarisch wollten sich die Linken demnach unter anderem zeigen mit Spontanprotesten gegen rassistische Hetze wie jüngst in Chemnitz, der Seenotrettung von Flüchtlingen unter der Losung #Seebrücke sowie auch einer antirassistischen Parade Ende September in Hamburg "gegen Abschiebung, Ausgrenzung und rechte Hetze".
Nicht alle in der Fraktion wollten das so klar formulieren. Einige plädierten für die Vertagung des Antrags. Als schließlich doch darüber abgestimmt wurde, verweigerte die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht die Zustimmung. Laut Teilnehmern sagte sie zur Begründung, jeder müsse individuell für sich entscheiden, ob er die Initiative gut finde oder nicht.
Das mag stimmen – und es stimmt auch wieder nicht. Denn die Bewegung "Aufstehen", maßgeblich initiiert von Wagenknecht und ihrem Ehemann, Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, steht auch für einen anderen Kurs in der Migrationspolitik, als ihn die Linke bisher verfolgt und programmatisch festgeschrieben hat. Die Bewegung will laut Bekundung von Wagenknecht AfD-Anhänger "zurückgewinnen". Und ist dezidiert gegen offene Grenzen.
Kipping warnt vor Vereinnahmung von rechts
Klar wurde in der zweieinhalbstündigen Diskussion zu diesem Thema: Vielen in der Fraktion ist die Sammlungsbewegung nach wie vor nicht geheuer, trotz Wagenknechts Beteuerung, mindestens vorerst solle keine neue Partei entstehen. Etwa 40 Wortmeldungen gab es, Wagenknecht selbst erläuterte ihre Pläne – und musste dann hören, dass doch sehr viele Abgeordnete noch Fragen haben.
Ex-Fraktionschef Gregor Gysi beispielsweise sprach gleich zu Beginn über die Spaltung der Linken in Europa und machte deutlich, dass eine solche Spaltung auch in Deutschland in der Luft liege. Parteichefin Katja Kipping warf Wagenknecht vor, sich bei ihren Aktivitäten nicht hinreichend genug gegen eine Vereinnahmung von rechts abzugrenzen. Ex-Parteichef Klaus Ernst sprach den Rollenkonflikt an: Wann ist Wagenknecht nun Vorsitzende der Fraktion, wann die Wortführerin von "Aufstehen"?
Um die angeblich zu schlechte Kommunikation des Vorhabens ging es. Einige hatten Fragen, weil sie befürchten, Mitarbeiter von Wagenknecht, andere Abgeordnete sowie auch die Fraktionspressestelle würden sich, womöglich in ihrer Dienstzeit, für die Sammlungsbewegung engagieren. Wagenknechts Ko-Chef Dietmar Bartsch konterte, Ressourcen der Fraktion stünden für das Projekt nicht zur Verfügung. Die Zahl der Kritiker unter den Rednern war Teilnehmern zufolge deutlich höher als die Zahl der Befürworter. Der Kreis um Bartsch habe sich in der Debatte sehr zurückgehalten, hieß es.
Eklat um Diether Dehm
"Relativ sachlich" sei die Diskussion verlaufen, heißt es aus der Fraktion. "Wesentlich friedlicher als befürchtet", meldet das Umfeld Wagenknechts. Einige Male musste Bartsch indes Sitzungsteilnehmer zur Ordnung rufen. Ganz zum Ende, als Wagenknecht schon weg war, gab es allerdings dann doch einen heftigen Eklat. Im Mittelpunkt stand der niedersächsische Abgeordnete Diether Dehm, ein Vertrauter der Fraktionsvorsitzenden, Strippenzieher und immer wieder auch Wagenknechts Mann fürs Grobe.
Teilnehmerinnen zufolge pöbelte Dehm schon während der Fraktionssitzung immer wieder dazwischen, wenn Frauen sprachen – etwa bei Vize-Fraktionschefin Caren Lay. Als die Sitzung sich gerade auflöste, kam es zur Konfrontation von Dehm mit der Mannheimer Abgeordneten Gökay Akbulut, die im Herbst erstmals ins Parlament eingezogen war. Dehm sagte ihr, wie von mehreren Teilnehmern bestätigt wird, ohne Wagenknecht wäre sie nicht im Bundestag.
"Mobbing und Sexismus in der Linksfraktion"
Zum weiteren Verlauf des lautstarken Streits gibt es unterschiedliche Darstellungen. Akbulut, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion, twitterte am Montagabend, sie sei "nach einem sachlichen Beitrag zur #Sammlungsbewegung" von Dehm "angegriffen" worden: "Ich solle dankbar sein, ohne S. Wagenknecht wäre ich nicht im Bundestag. Ich hätte nichts zu sagen!" Akbulut warf Dehm "Mobbing und Sexismus" vor.
Zaklin Nastic aus Hamburg entgegnete, ebenfalls auf Twitter: "Ich war Zeugin mit weiteren Fraktionsmitgliedern. Was du schreibst stimmt nur in einer Hinsicht, dass Diether dir zugerufen hat, ,ohne Sahra wärest du nicht im Bundestag'. Danach bist du zu ihm gelaufen, hast ihn beschimpft als Dreck und Scheißkerl. Das ist Verleumdung und Rufmord." Akbulut wiederum entgegnete an die Adresse von Nastic: "Ja klar, du kannst ihn ja als deinen lieben Freund ja nur verteidigen. Ich habe ihm gesagt, dass er seinen Dreck überall verbreiten kann, aber nicht so mit mir umgehen kann."
Michel Brandt aus Karlsruhe, Initiator des Anti-Rassismus-Antrags, kommentierte den Vorgang mit den Worten: "Wer Diether nicht passt, wird von Diether gemobbt. Irgendwann reicht es wirklich." Dazu das Hashtag #solimitgökay. Jan Böhmermann spottete auf Twitter über den Streit in der Linksfraktion: "Im Namen des Volkes: Sahra und Diether sind unschuldig!"
Dehm weist die Vorwürfe zurück
Dehm weist die Vorwürfe zurück. Auf Tagesspiegel-Anfrage ließ er wissen: "Mein Zwischenruf erfolgte nach mehreren Angriffen auf die abwesende Sahra Wagenknecht - nach deren angekündigtem Verlassen des Fraktionssaals für eine öffentliche Veranstaltung, dem sie viereinhalb Stunden zuvor aktiv beigewohnt hatte. Er lautete wörtlich: 'Ohne Sahra wärest Du wahrscheinlich nicht im Bundestag.'" Er habe damit auf den "aufopfernden" Bundestagswahlkampf von Wagenknecht und Bartsch anspielen wollen.
"Etwas anderes habe ich nicht gesagt", versicherte Dehm. "Auch nicht nach der Sitzung, wo die Kollegin Gökay Akbulut mir recht hitzig ihre andere Sicht zu erläutern suchte. Dabei standen zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die auch alle gehört haben, dass ich nichts sexistisches, rassistisches, mobbendes, bedrohliches oder auch nur ähnliches gegen die Kollegin geäußert habe. Schon gar nicht, sie habe ,nichts zu sagen'."
Rücktrittsforderung an NRW-Abgeordneten Movassat
Erst am Wochenende war Dehm beim Pressefest der Zeitung "Unsere Zeit" (UZ) aufgetreten, Organ der vom Verfassungsschutz beobachteten DKP. Allgemein gilt Dehm in der Fraktion als weitgehend beratungsresistent, auch wenn es um die Empfehlungen von Genossinnen und Genossen geht. Nach Tagesspiegel-Informationen war für diesen Mittwoch ein klärendes Gespräch zwischen Akbulut, Dehm und Linken-Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte geplant. Zu den Ergebnissen wollte der Linken-Parlamentsgeschäftsführer nichts sagen. "Selbstverständlich wird Jan Korte über ein vertrauliches Gespräch nicht mit Ihnen sprechen", teilte sein Sprecher mit.
Ärger hatte es auch um ein Tagesspiegel-Interview mit Niema Movassat zur Sammlungsbewegung gegeben. Dehm forderte anschließend auf Facebook, der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete solle sein Mandat zurückgeben. Movassat hatte erklärt: "Sahra Wagenknecht muss sich entscheiden: Wem fühlt sie sich mehr verpflichtet? Ihrer Fraktion und der Partei oder der Sammlungsbewegung? Davon hängt alles andere ab." Das von Dehm geteilte Posting mit der Rücktrittsforderung ist auf seiner Facebook-Seite inzwischen nicht mehr zu finden, es gibt jedoch Screenshots.
Die stellvertretende Linken-Vorsitzende Martina Renner kommentierte auf Twitter: Movassat, sei "Ziel eines widerlichen rassistischen Shitstorms auf Facebook". Grund hierfür seien seine kritischen Aussagen über "Aufstehen" in einem Interview des Tagesspiegels. "Ich finde es ist Zeit klar zu sagen: Diskussion ja, Hetze nein! #SolimitNiema".
Parteivorstand distanziert sich von "Aufstehen"
Der Linke-Parteivorstand hatte sich am Wochenende mit der Sammlungsbewegung befasst – und war auf Distanz gegangen. "Aufstehen" sei kein Projekt der Linkspartei, "sondern ein Projekt von Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und weiteren Einzelpersonen", heißt es in dem Papier, das Linken-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler am Sonntag auf seiner Facebookseite öffentlich machte. Verärgert zeigen sich die Genossen laut einem Bericht des "Neuen Deutschlands" darüber, dass sowohl Ziele als auch Implikationen der Sammlungsbewegung "zu keinem Zeitpunkt in den Gremien der Partei zur Diskussion gestellt" wurden. "Dies entspricht nicht unserem Verständnis von einer demokratischen Mitgliederpartei."