Konflikt zwischen CDU und CSU: Merkel gegen Seehofer: Zerrüttung über 14 Jahre
Die beiden eint eine lange Geschichte der Auseinandersetzung. Am erstaunlichsten ist fast, dass Angela Merkel und Horst Seehofer immer noch zusammenarbeiten.
Rede, Widerrede, Anschuldigung, Verteidigung. Seit ein paar Wochen wird die deutsche Innenpolitik dominiert vom Streit zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Innenminister Horst Seehofer (CSU). Und mit jedem Schlagabtausch wird die Gangart härter.
Er will bestimmte Flüchtlinge an der Grenze abweisen, sie lehnt das ab. Aus den Unionsparteien ist zu hören, dass der Konflikt auch deshalb so eskaliert, weil die beiden persönlich nicht mehr miteinander können. Erst am Freitag spottete Seehofer in der „Passauer Neuen Presse“, Merkel würde „aus einer Mickey Maus ein Monster“ machen und warnte die Kanzlerin davor, ihn bei einem Alleingang zu entlassen: „Wenn man mit dieser Begründung einen Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung. Wo sind wir denn?“
Vielleicht müsste die Frage aber lauten: Wie sind wir hier hingekommen? Die Entfremdung begann nicht erst vor ein paar Wochen, und auch nicht mit der Flüchtlingskrise 2015, sondern schon vor 14 Jahren
22. November 2004: Merkel ist Oppositionsführerin, Edmund Stoiber CSU-Chef, Seehofer Vize-Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag. Das Kabinett Schröder II regiert Deutschland. An diesem Tag verliert Horst Seehofer einen Machtkampf mit Merkel und tritt von seinem Amt zurück. Die CDU/CSU hatte zuvor einen Kompromiss zur Gesundheitsreform verabschiedet, enthalten war darin auch die Kopfpauschale, die der damalige Gesundheits- und Sozialexperte Seehofer vehement ablehnte.
22. November 2005: Obwohl Merkel sich sträubt, wird Seehofer auf drängen Stoibers in ihrem erstem Kabinett Landwirtschaftsminister. Er selbst spottet über den Posten: „Ich bin Minister für Bananen und Kartoffeln.“
4. September 2015: Angela Merkel öffnet die deutschen Grenzen für die Flüchtlinge, die über Ungarn und Österreich nach Bayern kommen. Sie informiert Horst Seehofer per SMS, der gerade in seinem Ferienhaus im Altmühltal war. Er reagiert nicht.
12. September 2015: „Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel auf die Flasche zu kriegen“, sagt Seehofer über Merkels Entscheidung in der Woche zuvor.
9. Oktober 2015: Nach Merkels „Wir schaffen das“-Politik der vergangenen Wochen fordert Seehofer eine Obergrenze: „Einfach zu sagen, es gibt keine Obergrenze, einfach zu sagen, in unserer Zeit können wir sowieso 3000 Kilometer Grenzen nicht mehr schützen, das ist eine Kapitulation des Staates vor der Realität.“
20. November 2015: „Jetzt will ich dir einfach meine Überzeugung sagen, damit die Standpunkte klar sind“, beginnt Seehofer eine 13-minütige Standpauke auf dem CSU-Parteitag, in der er sich gegen ihre Flüchtlingspolitik stellt. Merkel steht die gesamte Zeit wie ein Schulmädchen neben ihm auf der Bühne.
9. Februar 2016: „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts“, poltert der CSU-Chef. In seiner Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik bedient er sich einem Vokabular, dass sonst für die Beschreibung von Diktaturen vorbehalten ist.
7. Mai 2016: Seehofer will, sollte sich die CDU nicht den Vorstellungen der CSU im Bezug Renten- und Zinspolitik beugen, einen eigen Wahlkampf machen – und zwar explizit gegen Angela Merkel.
4. November 2016: Merkel nimmt nach der Demütigung im Vorjahr erstmals nicht am CSU-Parteitag Teil.
6. Februar 2017: Um bei der Bundestagswahl gut abzuschneiden, schließen die Unionsparteien einen Burgfrieden. „Wir ziehen gemeinsam in diesen Wahlkampf“, sagt der bayerische Ministerpräsident. „Ich meine, Gemeinsamkeit ist schon ein hohes Gut in der Wahrnehmung der Menschen“, sagt Merkel. Genau darum geht es eigentlich. Nicht um Frieden, sondern um die Wahl. Das Thema Obergrenze wird ausgeklammert. Reizworte aus der Flüchtlingsdebatte wie „begrenzen“ oder „reduzieren“ kommen in der „Münchner Erklärung“ nicht mehr vor.
15. März 2018: Seehofer sagt der „Bild“: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Merkel hatte in den Jahren zuvor immer wieder das Gegenteil betont.
21. März 2018: Die Bundeskanzlerin widerspricht ihrem Innenminister öffentlich in ihrer Regierungserklärung. Der Islam sei „inzwischen ein Teil Deutschlands geworden“.
11. Juni 2018: Seehofer verschiebt die Vorstellung seines Masterplan zu Migration und Asyl wegen Differenzen mit Merkel. Er sei nicht bereit „einen halben Plan mit faulen Kompromissen zu veröffentlichen“. Der Hauptkonfliktpunkt: Seehofer möchte Migranten, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert sind, dort schon Asyl beantragt haben oder deren Antrag schon abgelehnt wurde, direkt an der Grenze zurückweisen. Merkel plädiert für eine europäische Lösung.
14. Juni 2018: Wenn sie nicht will, macht er es selbst. Seehofer droht Merkel mit einem Alleingang in der Asylpolitik per Ministerentscheid.
17. Juni 2018: „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten.“ Mit diesem Satz zitiert die Welt den Innenminister. Er bestreitet, dass dieser Satz so gefallen ist.
18. Juni 2018: Merkel warnt Seehofer vor einem Alleingang und beruft sich auf ihre grundgesetzlich verbriefte Richtlinienkompetenz. Seehofer gibt Merkel 14 Tage Zeit, um eine europäische Lösung zu finden.
20. Juni 2018: Einen Tag nach dem Besuch des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron bei Merkel in Meseberg kritisiert Seehofer die Bundeskanzlerin erneut. Diesmal geht es um Wirtschaftspolitik. Die Kanzlerin habe die Vereinbarungen zur Eurozonen-Reform, die sie mit Macron getroffen habe, vorher nicht abgesprochen. Es sei „kein guter Stil“, die CSU nicht zu beteiligen, sagt Seehofer.