Horst Seehofer gegen Angela Merkel: Der Eklat von München
Beim CSU-Parteitag gehen Angela Merkel und Horst Seehofer keinen Millimeter aufeinander zu. Manche der Sätze des CSU-Parteichefs klingen wie eine Drohung an die Bundeskanzlerin.
Sie schenkt ihnen nichts. Keinen Millimeter. Keinen halben Satz. Angela Merkel steht neben dem Podium des CSU-Parteitags. Sie hat jetzt zwanzig Minuten über die Flüchtlingskrise gesprochen, über ihren Weg, so wie die ganzen letzten Wochen. Obergrenzen? Nicht einseitig und nicht national. „Abschottung und Nichtstun sind keine Lösung im 21. Jahrhundert.“
Die CDU-Chefin blickt in erstarrte Gesichter. Irgendwo im Saal plätschert versehentlicher Höflichkeitsapplaus. Horst Seehofer hat die Rede mit verschränkten Armen verfolgt. Er steht auf und geht langsam, sehr langsam hoch zu der Frau im roten Blazer auf dem Podium. Der CSU-Chef weiß, dass er jetzt nur noch eine Möglichkeit hat. Er löst den offenen Eklat aus: „Es geht nicht ohne Begrenzung.“
Hinterher fragen sich aufgewühlte CSU-Spitzenleute, was da passiert ist. Sicher, der Parteitag hat kurz vor dem traditionellen Gastauftritt der CDU-Vorsitzenden einen Antrag verabschiedet, in dem ein Kapitel überschrieben ist mit dem Satz: „Wir brauchen eine Obergrenze.“ Konkret gefordert wird aber bloß „ein Kontingent für Bürgerkriegsflüchtlinge“ nach den „leistbaren Möglichkeiten“. Was „leistbar“ ist, bleibt offen.
Das wäre ohne allzu große Verrenkungen mit Merkels Plan von Kontingentabsprachen zwischen der Türkei und Europa zu vereinbaren. Und so war es ja auch gedacht gemäß dem alten CSU-Rezept: Scharf reden, konziliant handeln.
Auch der Streit mit Markus Söder ist noch nicht erledigt
Am Mittag steht Seehofer vor einer Kamerabatterie am Halleneingang. Der CSU-Chef sagt, dass die Basis so denke wie die CSU und die CSU wie die Basis. Das zweite Asylpaket sei ja ein Erfolg. „Aber es fehlt halt die zentrale Antwort, die Begrenzung generell.“ Dann fragt noch jemand nach dem Streit mit Markus Söder. Der bayerische Finanzminister hat bekanntlich für großes Aufsehen gesorgt, weil er aus dem Terror von Paris den Schluss gezogen hat, dass jetzt Schluss sein müsse mit Flüchtlingen, die einfach so über die Grenze kommen.
Seehofer hat ihn scharf zurechtgewiesen mit dem zutreffenden Vorwurf, dem Minister gehe es bloß um sich selbst. Jetzt sagt er, damit sei die Sache erledigt. Söder sagt wenig später auch, dass die Sache erledigt sei. Das ist sie aber nicht. Der Mann, der Seehofer verdrängen will, hängt während Merkels Rede geringschätzig in seinem Stuhl. Söder begrenzt durch schiere Existenz den Spielraum des CSU-Chefs.
Groß ist der allerdings sowieso nicht. Mitleid dafür ist nicht angebracht, Seehofer hat vom ersten Tag an Merkel für ihr „freundliches Gesicht“ gegenüber den Flüchtlingen persönlich attackiert. Seit er sich mit ihr auf die Nicht-ganz-Transitzonen verständigt hat, redet er milder. Seinen Parteitagsdelegierten ist das entgangen oder egal. Als die Kanzlerin kommt, überdeckt wummernde Musik im Klatschrhythmus, dass der Begrüßungsapplaus eher mager ist. Ein junger Mann hält zwei Pappen hoch. „Merkel“ steht auf der einen, „raus“ auf der anderen.
Seehofer bringt seinen Gast auf die Bühne. Wer Merkels Gesicht aus der Nähe sieht, ahnt schon, was kommt. Merkel redet, als nähme sie die eisige Stimmung nicht wahr, die ihr mit jedem Satz mehr aus dem Saal entgegenschlägt. Es gehe nicht nur um nationale Interessen, es gehe um die Zukunft Europas. Das ist ihr Dreh- und Angelpunkt: Wenn das stärkste Land Europas die Grenzen wieder hochzieht, dann ist dieses Europa am Ende. Sie zitiert sogar Helmut Kohl: „Deutschland ist unser Vaterland, Europa ist unsere Zukunft.“
Ihr Weg sei schwierig, ja. „Ich möchte das mit Ihnen lösen“, schließt die CDU-Chefin, „und natürlich mit Horst Seehofer – zum Wohle unseres Landes, aber auch zum Wohle Europas, auch als Beitrag zum Besseren in der Welt.“ Es gibt höflich langen, aber dünnen Applaus. Keiner steht auf, wie das sonst zum Ritual gehört; auch nicht vorne in den Präsidiumsbänken.
Seehofer versucht zu retten, sich und die Situation. Er dankt der „sehr verehrten Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela“ fürs Kommen. Er gratuliert zu zehn Jahren Kanzlerschaft, „sehr gute für unser Vaterland“. Da applaudiert auch der Saal einmal herzlich. Er erinnert daran, dass man „auch in der Zuwanderungsfrage einiges gemeinsam auf den Weg gebracht“ habe. Vom Westbalkan zum Beispiel seien im November noch ganze 18 Asylbewerber registriert worden. „Danke für diese Gemeinsamkeit!“, sagt er. Nur diesen einen Punkt gebe es, „den du kennst“. Ohne Obergrenzen gehe es nicht.
Seehofer droht: "Wir sehen uns zu diesem Punkt wieder."
Seehofer sagt noch ganz viele Sätze, viele davon klingen für sich genommen hart, ja wie eine Drohung: „Wir sehen uns zu diesem Punkt wieder.“ Aber der ganze Mann da oben auf dem Podium fleht fast um ein bisschen Entgegenkommen. „Wir sind Schwesterparteien!“, sagt er. Und dass er „diese große Bitte und Forderung“ habe, die „Hoffnung im Herzen“, dass man auch über die Obergrenzen noch einmal reden könne miteinander. „Wir werden uns noch irgendwie verständigen.“
Merkel steht die ganze Zeit neben ihm. Die Kanzlerin ist ja deutlich kleiner als der CSU-Chef, sie muss zu ihm hochgucken. Ihre Nase wirkt deshalb noch trotziger erhoben, als sie vielleicht gemeint ist. Die Merkel-Raute wechselt zu verschränkten Armen. Dann kriegt sie noch schnell einen Blumenstrauß und Schokolade – und tritt dann an der Präsidiumsbank vorbei ab durch den Seiteneingang.
Später folgt ein Festakt „70 Jahre CSU“. Der Saal ist halb leer, die Leute haben anderes zu bereden jetzt. So hören sie nicht, wie der Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber den Vorsitzenden Seehofer als christsozialen Luther lobt: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Das stimmt, er konnte nicht anders. Aber Merkel, das sollte man nicht vergessen bei alledem, hat demnächst auch einen Parteitag. Zweimal Luther in einer Münchner Messehalle – es konnte vielleicht von vornherein nicht gut gehen.