Merkel versus Seehofer: Richtlinienkompetenz gegen Parteiraison
Zwei Pressekonferenzen, zwei Sichtweisen. Merkel und Seehofer interpretieren die vorerst abschließende Einigung in der Asyl-Krise in der Union unterschiedlich.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) im Streit um die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der Grenze vor einem Alleingang gewarnt. Es sei eine "Frage der Richtlinienkompetenz", in anderen Staaten registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen, sagte Merkel am Montag in Berlin. Die Kanzlerin zog damit in dem Konflikt mit Seehofer eine klare rote Linie.
Merkel will in der Frage bis Monatsende auf europäischer Ebene im Gespräch mit anderen EU-Staaten nach Lösungen suchen. Seehofer ist mit dem Vorgehen einverstanden, will aber die von ihm geplanten Zurückweisungen bestimmter Flüchtlinge an der deutschen Grenze für "Anfang Juli" vorbereiten.
Die Kanzlerin beharrt darauf, dass es am Monatsende keinen "Automatismus" gebe. Im "Lichte des Erreichten" solle dann über das weitere Vorgehen entschieden werden, betonte Merkel. Sie sprach sich damit eindeutig gegen die Möglichkeit aus, dann bereits in anderen EU-Ländern registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen.
Wenn dies dennoch "in Kraft gesetzt" würde, "dann würde ich sagen, ist das eine Frage der Richtlinienkompetenz", sagte Merkel. Die "große Philosophie" laute, "dass nicht unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zulasten Dritter" gehandelt werde.
Seehofer: "Wir haben diese ganze Thematik Migration noch nicht wirklich im Griff"
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat indessen im Streit weiter eine harte Linie angekündigt. "Wir haben diese ganze Thematik Migration noch nicht wirklich im Griff", sagte Seehofer am Montag nach den Beratungen der Spitzengremien seiner Partei in München. Es habe zwar Verbesserungen gegeben, aber er können der Bevölkerung nicht sagen, dass "Rechtssicherheit gewährleistet" sei. "Hier müssen wir noch sehr viel arbeiten", sagte Seehofer.
Seehofer bestätigte im Grundsatz die Einigung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf das weitere Vorgehen im Asylstreit. Demnach soll Merkel bis Ende Juni Zeit bekommen, über eine europäische Lösung zu verhandeln.
Er sagte jedoch auch, dass er CDU und CSU in ihrem Flüchtlingsstreit "noch längst nicht überm Berg" sehe. Er bedaure sehr, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel nun gewährte Frist von zwei Wochen für so viel Fasziniation sorge, so Seehofer. Es gehe "nur vordergründig" um diese zwei Wochen - "in der Substanz" gehe es um die grundlegenden Fragen des Streits.
Seehofer will für Anfang Juli die von ihm geplanten Zurückweisungen bestimmter Flüchtlinge an der deutschen Grenze vorbereiten. Damit kann Merkel versuchen, auf dem EU-Gipfel Ende Juni eine europäische Asylreform durchzusetzen und damit ein von Seehofer geplantes einseitiges deutsches Vorgehen zu verhindern.
"Sofort" will Seehofer allerdings dafür sorgen, dass mit Einreisesperren belegte Menschen ab sofort nicht mehr nach Deutschland kommen können. Es sei "ein Skandal, wenn Menschen eine Einreisesperre haben und trotzdem in die Bundesrepublik einreisen", sagte er in München.
Obwohl die Pressekonferenzen von Merkel und Seehofer zeitgleich für 14 Uhr angekündigt waren, sprach Seehofer in München erst, nachdem Merkel ihr Statement in Berlin abgegeben hatte. (AFP, Tsp)