Luisa Neubauers überraschender Debattenbeitrag: Kann es auch ohne einen höheren CO2-Preis auf Benzin und Diesel gehen?
Klimaschutz: Ja. Höherer Spritpreis: Lieber nicht. Wie das Thema spaltet und instrumentalisiert wird – und wie die „Klimakostenfalle“ gelöst werden könnte.
Auch bei Fridays for Future spüren sie, dass die Debatte auf die falsche Bahn gerät. „Die Menschen, die weit zur Arbeit pendeln und in schlecht sanierten Häusern leben, sind allzu oft eh die, die zu viel für ihre Miete zahlen, kaum Chance auf Bildungsaufstieg haben, vielleicht auf einen Therapieplatz warten“, sagt die Klimaaktivistin Luisa Neubauer im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
„Das Problem ist nicht der Klimaschutz, sondern unsoziale Politik.“ Wer jahrelange soziale Ungleichheit befördere und dann die soziale Frage als Vorwand missbrauche, um die Klimakrise nicht zu bewältigen, betreibe Heuchelei.
„Wir haben keine Zeit für die wilde Sucherei nach Ausflüchten, um den Klimaschutz bloß zu unterlassen. Die Vision sollte doch sein, Klimaschutz mit richtig guter Sozialpolitik zu verbinden.“
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Es ist im Prinzip eine der zentralen Fragen des Wahlkampfes. Wie kann mehr Klimaschutz so geschafft werden, dass der wirtschaftliche Kern Deutschlands nicht geschädigt wird, Arbeitsplätze erhalten bleiben - und durch die Kosten nicht gesellschaftliche Spaltungen verschärft werden?
Wie sieht aktuell die Stimmung in der Bevölkerung aus?
Es wird auch darum gehen, die Bürger auf dem Land, die zum Beispiel viel mehr auf das Auto angewiesen sind, „mitzunehmen“. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und ihre männliche Konkurrenten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) bekennen sich alle dazu, dass der Klimawandel menschengemacht ist und dass Deutschland spätestens in 23 Jahren und sechs Monaten klimaneutral sein soll, dass also unterm Strich – auch dank mehr Waldflächen und Mooren, die CO2 speichern - kein weiters Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen wird. Um dazu beizutragen, dass die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt wird.
Gleichzeitig wird aber von fast allen Parteien – in Ansätzen selbst den Grünen – versucht, die Belastungen nicht allzu groß erscheinen zu lassen. Letztlich ist das konsequent, will man Wahlen gewinnen.
Denn: Die Wählerinnen und Wähler sind zwar von der Bedrohung durch den Klimawandel weit überwiegend überzeugt und halten die Gefahren in der Tendenz sogar für unterschätzt.
Eine Mehrheit ist auch bereit, ganz konkret höhere Spritpreise in Kauf zu nehmen: Aber nur begrenzt. Das Motto lautet: Klimaschutz? Ja bitte. Höhere Kosten? Nur in engen Maßen. Dies sind die Kernergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Think-tanks Centrum für Europäische Politik (CEP), die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt.
Auf der einen Seite ist die Gefahr durch die Klimaerhitzung klar erkannt. Die Vorhersagen über den Klimawandel halten 52 Prozent der Bundesbürger für zuverlässig. 26 Prozent sind sogar der Meinung, die Warnungen seien untertrieben. 81 Prozent der AfD-Anhänger halten sie dagegen für übertrieben; aber nur 20 Prozent der Unions- und drei Prozent der Grünen-Anhänger.
Auf die Frage, ob der Klimawandel das „zur Zeit das größte Problem“ sei, antworten 38 Prozent mit ja und 62 Prozent mit nein. Besonders interessant an dieser Stelle: In Ostdeutschland ist der Wert mit 44 Prozent deutlich höher als im Westen (36 Prozent).
Auch die Altersverteilung ist überraschend. Während 37 Prozent der 18- bis 29-Jährigen zustimmten, waren es 45 Prozent der Bürgerinnen und Bürger über 60. Insgesamt lässt sich sagen: Die Deutschen nehmen die Klimaerwärmung sehr ernst.
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Und wie sieht es mit höheren Spritpreisen aus?
Steht eine konkrete Belastung im Raum, wandelt sich das Bild. Immerhin 57 Prozent der Befragten geben zwar an, für einen Liter Benzin oder Diesel mehr bezahlen zu wollen. 37 Prozent lehnen dies dagegen ab, der Rest der 1001 Befragten machte keine Angabe.
Unter denen, die eine Preiserhöhung akzeptieren würden, ist die Zahlungsbereitschaft aber nicht durch die Bank hoch. 22 Prozent der Befragten sagten, sie seien mit zehn Cent pro Liter einverstanden, 15 Prozent mit 20 Cent, neun Prozent mit 30 Cent und elf Prozent mit mehr als 30 Cent.
Zu Jahresbeginn hatte sich durch die Einführung eines nationalen Emissionspreises Benzin bereits um rund sieben Cent und Diesel um gut acht Cent verteuert. Die Grünen streben bis 2023 eine Erhöhung um insgesamt 16 Cent durch den höheren CO2-Preis an, Union und SPD um 15 Cent bis 2025.
Dass gerade der Spritpreis Abwehrreaktionen hervorruft, ist auch Fridays for Future inzwischen bewusst.
Es ist Neubauer, die auf Ökonomen verweist, die vorschlagen, Sprit vom CO2 Preis befreien. „Benzin und Diesel werden ohnehin schon sehr hoch besteuert und man kann argumentieren, dass ein CO2 Preis auf Benzin Menschen kaum vom Autofahren abhält, aber überproportional viel Aggressionspotential mit sich bringt. Es ist alles nicht schwarz und weiß“, betont Neubauer im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
[Das gesamte Interview mit Neubauer lesen Abonnenten von T+ hier: Kein Klima-Aufschlag beim Sprit :„CO2-Preis auf Benzin hat überproportional viel Aggressionspotential“]
Das lässt aufhorchen, zumal etwa Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bei zu hohen Spritpreisen vor einer Gelbwestenbewegung in Frankreich warnt. Und hier gibt es auch einen anderen Ost-West-Unterschied: 45 Prozent der Ostdeutschen sagen, sie wollten nichts bezahlen, aber nur 36 Prozent der Westdeutschen.
73 Prozent der Arbeiter in ganz Deutschland sind nicht bereit, Preiserhöhungen für den Klimaschutz zu akzeptieren, aber nur 43 Prozent der Selbstständigen, 42 Prozent der Angestellten und 23 Prozent der Beamten. Auch hier sticht die AfD heraus, wo 85 Prozent keine Bereitschaft für teureren Diesel und teureres Benzin zeigen.
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Kann der CO2-Preis für den Spritbereich ausgenommen werden?
Theoretisch ist das möglich und wird, wie Neubauer sagt, auch diskutiert. Andreas Graf von der Denkfabrik Agora Energiewende verweist darauf, dass derzeit neue CO2-Grenzwerte für Autos in der EU in Brüssel beraten werden.
Wenn man weniger über den Verbrauch von Brennstoffen und mit der Lenkungswirkung über den Preis mache, gebe es noch diesen Hebel: Wenn die Grenzwerte bis 2030 stärker als um die geplanten 60 Prozent reduziert werden, würde dies schneller zum Aus für Verbrenner führen; ab 2035 sollen nur noch CO2-freie Autos in der EU zugelassen werden.
Bei den Kraftstoffpreisen trifft man eben unmittelbar den Verbraucher, denn über den Preis wird ein sparsamer Verbrauch erzwungen. Setzt man vor allem bei den Grenzwerten an, sind es die Automobilhersteller und die Zulieferer, die noch schneller umstellen müssen – wobei es Ökonomen gibt, die darauf verweisen, dass die Kosten über höhere Autopreise letztlich doch beim Verbraucher landen.
Um gerade die besonders klimaschädlichen Wagen aus dem Markt zu bekommen, verweist Graf auf das Bonus-Malus-System bei der Zulassung von Gebraucht- und Neuwagen. Es könne noch stärker versucht werden, über die KfZ-Steuer hier eine Lenkungswirkung zu erzielen. Die politischen Verschärfungen und Rahmenbedingungen wie eine Kaufprämie von bis zu 9000 Euro haben bereits die Zahl der Elektroautos auf eine Million anschwellen lassen.
Es braucht wohl auch keine nationalen Verbrenner-Verbote, der Markt regelt das: Audi will von 2025 an keine neuen Verbrenner-Modelle auf den Markt bringen, VW ab 2035 keine mehr in Europa verkaufen.
Die größten Herausforderungen sind der Flugverkehr und die Industrie, daher pumpt die Regierung Milliarden in die Wasserstofftechnologie, damit, oder mit synthetischen Kraftstoffen sollen Flugzeuge künftig fliegen, ebenso sollen die Hochöfen in Stahlwerken mit Wasserstoff betrieben werden.
Im Verkehr setzen SPD und Grüne zudem als ergänzende Maßnahme auf ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen, die Linke ist für 120 km/h, Laschet ist dagegen. FDP-Chef Christian Lindner mahnt, statt immer über Verbrennerverbote und Tempolimits zu diskutieren, an einem anderen Punkt anzusetzen. „Es geht nicht um den Motor, sondern um den Kraftstoff, den er verbrennt. Ich wäre offen für eine Debatte, ab wann fossiler Kraftstoff verboten wird“, sagte er der „Zeit“. Er macht sich für eine stärkere Förderung synthetischer Kraftstoffe stark.
Aber auch Heizen wird teurer, wie soll verhindert werden, dass Klimaschutz nur etwas für den dicken Geldbeutel wird?
Die Union und die SPD haben die Preisfrage offensiv gespielt, die Grünen bekommen bisher kaum kommuniziert, dass sie umfangreiche Ausgleichsmechanismen planen.
Allen dreien gemein ist, dass sie mit den Einnahmen aus dem CO2-Preis Entlastungen in einer Größenordnung von bis zu 300 Euro im Jahr für einen normalen Haushalt beim Strompreis schaffen wollen. Die Union setzt zudem auf eine höhere Pendlerpauschale, die aber dem Arbeitslosen, der trotzdem auf dem Land zum Einkaufen und Arzt muss, wenig nützt.
Die Grünen wollen anders als die Union Pro-Kopf-Rückerstattungen an die Bürger über ein Energiegeld. Aber ein goldenes Konzept hat noch niemand – und beim Energiegeld stellt sich die Frage, ob damit dann nicht Städte, die ÖPNV oder das Fahrrad nutzen nicht viel besser wegkommen als Pendler mit weiten Strecken.
Beim Thema Heizkosten haben CDU/CSU im Bundestag blockiert, dass höhere Belastungen bei den Nebenkosten wegen des steigenden CO2-Preises 50:50 zwischen Vermietern und Mietern aufgeteilt werden, nun sollen es die Mieter alleine tragen.
Hinsichtlich innerdeutscher Flugreisen wollen alle weniger Flüge. Die Linke ist am konkretesten, will ein Verbot von Flügen zu Zielorten, die per Zug in bis zu 5 Stunden erreichbar und nicht weiter als 500 Kilometer entfernt sind; für den ländlichen Raum will die Partei flächendeckend Bürgerbusse, Anruf-Sammeltaxis oder Rufbussysteme.
Die Linke will am stärksten untere Einkommen beim Klimaschutz schonen – mit einem 365-Euro ÖPNV-Jahresticket (das schrittweise kostenlos werden soll), einer Sozial-Bahncard - und die Pendlerpauschale soll in ein soziales Mobilitätsgeld umgebaut werden – es soll auch hier mehr nach unten umverteilt werden.
Woran krankt die Debatte oft?
SPD-Kandidat Scholz betont, dass auch für ärmere Bürger zum Beispiel die Flüge erschwinglich sein müssten, er sieht die Debatte auch deshalb auf der schiefen Bahn, weil es zu viel um „Verzichtsideologie“ gehe.
„Es ist eine elitäre Haltung, wenn diejenigen, die finanziell abgesichert sind und sich ein neues Auto und teure Flüge leisten können, denen, die das nicht so einfach können, Verzicht predigen.“ Und ein Argument, gerade der AfD, ist immer wieder, was könne Deutschland schon mit einem Anteil von zwei Prozent an den weltweiten Emissionen machen.
Daher kommt es auch auf eine echte Allianz der Klimavorreiter an. Damit nicht Deutschland mit viel Zähneklappern vorankommt, aber weltweit hunderte schon geplante Kohlekraftwerke noch in Betrieb gehen, sieht Scholz nur einen Ausweg: Die Technologiesprünge, die sich jetzt schon zeigen, gerade auch bei Wind- und Solarenergie, bei Speichertechnologien, E- Autos und grünem Wasserstoff, müssen schneller noch größer werden.
Wo fehlt die Ehrlichkeit?
Es gibt viele Reden, aber wenig Klarheit – auch der Ausbau der erneuerbaren Energie kommt in Deutschland zu langsam voran, die Windräder und Abstände zu Wohnsiedlungen sind besonders umstritten.
Luisa Neubauer – selbst Grünen-Mitglied - betont mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das mehr Klimaschutzmaßnahmen zum Schutze künftiger Generationen angemahnt hat: Es sei überstürzt eine notdürftige Absichtserklärung, das reformierte Klimagesetz, von der großen Koalition angekündigt worden.
„Und im Anschluss wurde sich hoch engagiert gegen wissenschaftliche Erkenntnisse und notwendige Klimaschutzmaßnahmen ausgesprochen.“ Das sei bislang ein Wahlkampf, der unterschwellig gegen den Klimaschutz läuft. „Ich finde das verstörend“, sagt Neubauer.
Einer ihrer Gegner, mit dem sie sich auch öffentlich schon häufiger gezofft hat, ist Unions-Kanzlerkandidat Laschet. Neubauer wirft ihm vor, „dass ihm die Interessen der fossilen Industrie am wichtigsten sind“.
Die gerade beschlossene Windkraft-Abstandsregel von 1000 Metern zu Wohngebieten in Nordrhein-Westfalen spreche da Bände. „Ich würde nicht so offensiv mit Herrn Laschet diskutieren, wenn sein Desinteresse an echten Klimaschutz nicht so offensichtlich wäre.“
Er kann sich immerhin vorstellen, dass die Kohlekraftwerke im Westen früher als geplant vom Netz gehen, aber nicht im Osten, den Menschen dort sei ein verlässlicher Strukturwandel zugesagt worden.
In der „Zeit“ platzte Laschet richtig der Kragen zuletzt: „An allem, was schiefläuft, bin ich schuld (…). Der grüne Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer schiebt mir bei Twitter die Schuld für die Hitzetoten in Kanada zu – das ist doch irre. Leute, fahrt mal runter.“