Wirtschaftsminister Altmaier im Interview: „Klimaschutz darf keine Frage des dicken Geldbeutels werden“
Peter Altmaier über Bismarcks Corona-Lehren, das drohende Karriereende, steigende Benzinpreise - und warum für ihn die Grünen keine Volkspartei sind.
Herr Minister, wir sehen hinter Ihnen eine opulente Bücherwand, Sie haben viele Bücher von Otto von Bismarck, er war ja quasi Ihr Vorgänger als preußischer Handelsminister. Ein Porträt hängt in Ihrem Büro. Welche Lehren würde Bismarck aus der Corona-Pandemie ziehen?
Er würde sich genau anschauen, was gut und was schlecht funktioniert hat und dann daraus Schlüsse ziehen für künftige Pandemien und entsprechend handeln. Hervorragend war, dass unser Gesundheitssystem auch in den schwierigsten Momenten der Pandemie funktioniert hat und dadurch zehntausende Leben gerettet werden konnten.
Sehr gut war auch die Bereitschaft der allermeisten, sich an die Regeln zu halten. Die Abstimmung zwischen Bund und Ländern im Hinblick auf die Lockdown-Beschlüsse war nicht immer gut. Deshalb muss sie schnell und grundlegend verbessert werden.
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Sie sagen, die Bund-Länder-Runden seien quasi „ein Erbstück aus der Bismarck-Zeit“. Braucht es nicht als Lehre eine große Staatsreform und mehr Durchgriffsrechte für den Bund?
Ralph Brinkhaus hat das als erster vorgeschlagen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dieses Thema sofort nach der Bundestagswahl anpacken und lösen müssen. Es geht nicht darum, den Föderalismus abzuschaffen und alles dem Bund zu übertragen. Aber es stellt sich die Frage, ob es wirklich unerlässlich ist, dass die Länder auch in solchen dringenden Fällen einstimmig zustimmen müssen oder ob wir dafür ein Mehrheitsprinzip einführen sollten.
Es ist zu überlegen, ob man Notfall-Klauseln schafft, die es möglich machen, dass Bund und Länder gemeinsam handeln, ohne auf den letzten in der Karawane oder das schwächste Glied in der Kette warten zu müssen. Denn die Pandemie hat gezeigt, es kommt auf Schnelligkeit und Handlungsfähigkeit an. Für langwierige Verhandlungsrunden bleibt keine Zeit, wenn es um Leben oder Tod geht.
Gilt das nur für Krisensituationen?
Nein, viele Prozesse könnten und sollten schneller laufen. Wir waren viele Jahre stolz darauf, dass Entscheidungen in Deutschland vielleicht etwas länger dauerten als andernorts, dafür aber umso gründlicher vorbereitet und erfolgreicher durchgeführt wurden. So wie es auch in der Schweiz und in Österreich häufig der Fall war und ist.
Wir stellen allerdings fest, dass durch die Pandemie, aber auch durch die Beschleunigung der Globalisierung manchmal ein schnellerer Handlungsbedarf besteht. Das gilt auch für neue Technologien oder aber auch den Klimaschutz, etwa beim Ausbau von Stromnetzen und erneuerbaren Energien, bei denen wir mehr Tempo und schnellere und effektivere Genehmigungsverfahren brauchen.
Bismarck wird das Zitat zugeschrieben: „Gesetze sind wie Würste. Man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“ Den Eindruck hatte man auch in der Corona-Pandemie, als es schnell gehen musste, zum Beispiel bei der Konzeption der Corona-Hilfen…
Naja, es ist so, dass jeder Finanzminister sich die Zustimmung zu einzelnen Hilfsmaßnahmen vorbehält. Das wäre bei den Vorgängern von Olaf Scholz nicht viel anders gewesen. Nur dass einige seiner christdemokratischen Vorgänger sicherlich mehr Sensibilität bei der Praktikabilität der Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen und Selbständige an den Tag gelegt hätten.
Gerade dadurch, dass wir nicht nur mit den Ländern, sondern auch innerhalb der Bundesregierung diese Wirtschaftshilfen in einem sehr mühseligen Verfahren über Wochen und Monate abstimmen mussten, wurde wertvolle Zeit verloren, die viele Unternehmen in dieser Krise einfach nicht mehr hatten.
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Deshalb müsste man im Rahmen einer großen Staatsreform auch darüber nachdenken, ob man nicht zu einer sinnvolleren Arbeitsteilung kommt, die darin bestehen kann, dass der Finanzminister mit Blick auf die Staatsfinanzen sich die Zustimmung zur Gesamthöhe der Hilfe vorbehält, dafür aber der Wirtschaftsminister, der am Puls der Unternehmen ist, die alleinige Verantwortung für die Ausgestaltung trägt. So wären die Hilfen noch schneller da angekommen, wo sie am meisten gebraucht wurden.
Es gibt die Sorge, dass es viele Kneipen und Restaurants nicht schaffen. TUI und Lufthansa sind mit Milliarden gerettet worden. Braucht es nicht mehr Hilfe für die Kleinen?
In der Debatte kommt häufig zu kurz, dass Lufthansa und TUI die Hilfskredite mit Zinsen wieder zurückzahlen müssen. Die Wirtschaftshilfen für die kleinen und großen Unternehmen, die wir ausreichen sind aber Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Unsere Programme laufen seit vielen Monaten erfolgreich und helfen unseren Betrieben und ihren Mitarbeitern, die Krise möglichst gut zu überstehen.
Zudem haben wir das Hilfsprogramm, die Überbrückungshilfe 3 gerade erst verlängert bis Ende September und die Neustarthilfe für die Soloselbständigen zusätzlich nochmal aufgestockt auf bis 12.000 Euro für die erste drei Quartale. Mir wäre eine Verlängerung bis Ende des Jahres lieber gewesen. Ich habe aber keinen Zweifel, dass wir uns in der Koalition, wenn nötig, rechtzeitig vor der Bundestagswahl darauf verständigen werden.
Der Staat hat sich in der Krise als Unternehmer versucht, bei Curevac mit dem durchgefallenen Impfstoff ging das schief.
Ziel der Bundesregierung war es, einem jungen, erfolgversprechenden deutschen Unternehmen dabei zu helfen, am Kapitalmarkt die notwendige Finanzierung einzusammeln und nicht unter ausländische Kontrolle zu geraten. Das Ziel wurde erreicht. Wir stehen zu unserer Beteiligung.
Es gab vor gut einem Jahr Aufregung, dass angeblich die Trump-Administration ein Auge auf Curevac geworfen hätte, was sich im Nachhinein aber als falsch herausgestellt hat.
Unser Ziel muss sein, dass innovative junge deutsche Unternehmen auch in Deutschland mit ihrer Idee groß werden können. Da müssen wir in verschiedenen Feldern besser werden, insbesondere beim Thema Wagniskapitalfinanzierung.
Also, Sie würden wieder mit 300 Millionen einsteigen?
Ich finde es befremdlich, wie dieses junges Startup in Deutschland mit Häme überzogen wird. Auch in Frankreich gab es bei dem Impfstoffkandidaten von Sanofi Rückschläge. Es geht bei diesem Unternehmen nicht nur um Impfstoffherstellung, sondern es geht bei der mRNA-Technologie um neue innovative Behandlungsmöglichkeiten, auch gegen Krebskrankheiten.
Das ist eine bedeutende Technologie für den Standort Deutschland und daran besteht ein strategisches Interesse. Wir haben inzwischen auch die Wagniskapitalfinanzierung erheblich verbessert und einen 10 Milliarden-Zukunftsfonds an den Start gebracht. Damit wollen wir bis zu 30 Milliarden Euro privates Wagniskapital mobilisieren und setzen damit den Benchmark in Europa.
Ein Zukunftsthema ist auch der Klimaschutz, viele Bürger auf dem Land kommen ohne Auto nicht klar. Die Union will höhere Spritpreise durch eine Strompreissenkung kompensieren. Das ist doch zu wenig…
Ein höherer CO2-Preis führt ohne sozialen Ausgleich zu einer erheblichen Benachteiligung von Menschen mit geringeren Einkommen und Menschen im ländlichen Raum. Klimaschutz darf keine Frage des dicken Geldbeutels werden und nicht auf den Schultern der Geringverdiener ausgetragen werden. Deshalb haben wir uns darauf verständigt, die Strompreise zu senken.
So sollen die Einnahmen durch die CO2-Bepreisung auf fossile Energieträger genutzt werden, um die im Strompreis enthaltene Erneuerbare-Energien-Umlage schrittweise bis 2025 abzuschaffen. Das hilft vor allem denen, die aufs Geld schauen müssen. Denn der Elektrizitätsverbrauch gerade bei einkommensschwächeren Haushalten, jungen Familien mit Kindern belastet überproportional die Haushaltskasse. Darüber hinaus haben wir die Pendlerpauschale angehoben, die ja bekanntlich nicht nur Autofahrern im ländlichen Raum zu Gute kommt, sondern auch für diejenigen, die den täglichen Arbeitsweg zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück legen.
Wir brauchen außerdem eine bessere Anbindung des ländlichen Raumes an den öffentlichen Nahverkehr und Menschen mit nicht ganz so hohem Einkommen müssen sich Elektroautos leisten können. Dafür haben wir als erste Schritte die Umweltprämie für Elektroautos eingeführt und aufgestockt.
Aber Ihr großes Ziel, eine Millionen Elektroautos bis 2020 wurde verfehlt…
Moment. Wir werden unser Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020, das jedermann für unerreichbar gehalten hat, in diesem Juli erreichen, also mit nur einem halben Jahr Verspätung. Und es wurden im ersten Halbjahr 2021 bereits mehr Prämien in Anspruch genommen als im ganzen letzten Jahr. Insgesamt 1,25 Milliarden Euro. Es wird in diesem Jahr eine Rekordförderung für Elektroautos geben.
Deshalb haben wir auch in der Koalition beschlossen, die Förderung fortzusetzen bis Ende 2025, damit sich alle darauf einstellen können, dass der Staat ihnen dabei hilft, diese neue Technologie marktfähig zu machen. Die geförderten Automobile sind ungefähr zur Hälfte rein elektrische Fahrzeuge und zur anderen Hälfte sogenannte Plug-in-Hybride.
Was hat diese eine Million Elektroautos den Steuerzahler insgesamt gekostet?
Der Transformationsprozess vom fossilen Verbrenner zum Elektroauto ist ein gewaltiger. Wir unterstützen dies mit Anreizen, so wie wir es auch bei den Erneuerbaren Energien oder bei der Gebäudesanierung tun. Seit Beginn der Umweltprämie im Juni 2016 wurden über 530 000 Fahrzeuge gefördert und rund 2,1 Milliarden Euro an Förderung ausbezahlt. Als dann die ergänzende Innovationsprämie im Juli 2020 gestartet ist, kam es zu einen Schub.
Allein darüber wurden rund 330.000 Fahrzeuge gefördert und rund 1,65 Milliarden Euro ausbezahlt. Für Elektrofahrzeuge, die weniger als 40.000 Euro Nettolistenpreis kosten, beträgt die maximale Fördersumme nun 9000 Euro, für Hybrid-Autos sind es 6750 Euro. Insgesamt hat die Prämie geholfen, dass viele Menschen sich für ein Elektroauto entschieden haben.
Experten, auch Berater der Bundesregierung, meinen ja, bis 2030 müssten es schon 14 Millionen sein, also rund 80 Prozent aller neu zugelassenen Autos, um die verschärftem Klimaziele einzuhalten. Das ist doch wieder relativ utopisch.
Als wir uns auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten für den Green Deal entschieden haben, gingen wir davon aus, dass wir im Jahre 2030 zwischen 7 und 10 Millionen Elektrofahrzeuge auf den deutschen Straßen haben werden. Inzwischen haben wir auch aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts unsere Klimaziele deutlich verschärft und wollen schon im Jahr 2045 klimaneutral leben und wirtschaften.
Auch die EU hat Vorschläge gemacht, wie die Klimaziele bis 2030 im Verkehr anzupassen sind. Deshalb teile ich die Auffassung, dass wir aller Voraussicht nach in den nächsten zehn Jahren deutlich schneller deutlich mehr Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen sehen werden.
Wie soll das gelingen?
Erstens dadurch, dass jetzt mehr attraktive Modelle auf den Markt kommen. Zweitens verankert sich der Wandel hin zu einer individuellen, aber klimafreundlichen Mobilität jetzt langsam auch im allgemeinen Bewusstsein. Und drittens durch die Förderpolitik der Bundesregierung, die ja von den Bürgern ja gut angenommen wird.
Der nächste Schritt wird sein, dass auch ein Gebrauchtwagenmarkt für Elektrofahrzeuge entstehen muss. Schon heute kann sich nicht jeder Bürger ein neues Fahrzeug leisten, das ist beim Elektrofahrzeug nicht anders als beim Verbrenner.
Sie meinen, jetzt läuft es also von selbst?
Tatsächlich erleben wir gerade, dass die großen deutschen Automobilkonzerne, die ja den Ruf Deutschlands als Autoland mitbegründet haben, in dieser Umstellung erfolgreich vorankommen. Hinzukommt, dass Elon Musk und Tesla sowohl mit einer Automobilfabrik als auch mit einer Batterie-Fabrik in Deutschland investieren und damit den Standort stärken.
Es hat sich im Nachhinein übrigens als richtig herausgestellt, dass wir 2018 begonnen haben, den Aufbau einer Batteriezellenproduktion in Deutschland zu unterstützen. Batterien sind im Augenblick der Bestandteil eines Elektroautos mit der größten relativen Wertschöpfung, etwa ein Drittel. Deshalb ist es wichtig, dass die modernsten und nachhaltigsten Batterien in Deutschland und Europa gebaut werden. Ich gehe davon aus, dass hier an die 20 000 Arbeitsplätze bis zum Ende des Jahrzehnts entstehen.
VW hat sogar schon angekündigt, die Produktion der Verbrenner in Europa bis 2035 auslaufen zu lassen – aus marktwirtschaftlichen Gründen. Wieso wollen Sie das Elektroauto trotzdem noch bis 2025 subventionieren?
Weil wir ein Interesse daran haben, dass Klimaschutz in Deutschland gelingt. Und weil wir ausschließen wollen, dass das diejenigen, die ohnehin bereits benachteiligt sind, überproportional die Belastungen dafür tragen müssen. Das eine ist notwendig für die Zukunft des Planeten und für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.
Das andere ist wichtig im Hinblick auf den sozialen und gesellschaftlichen Frieden im Land. Nicht zuletzt eine mutige Aktion des französischen Präsidenten beim Benzinpreis hat damals dazu geführt, dass die Gelbwestenbewegung entstanden ist.
Das hatte nicht nur zur Folge, dass die Maßnahme zurückgenommen wurde, sondern auch, dass die Partei von Emmanuel Macron bis heute in den ländlichen Regionen keinen Fuß auf den Boden bekommt. Hier ist wirtschaftliche Vernunft und klimapolitischer Realismus wichtig, wenn die Akzeptanz des Klimaschutzes nicht leiden soll.
Mehr Klimaschutz kann sich eine Volkspartei also nicht leisten.
Klimaschutz ist längst keine Frage des Ob’s mehr, sondern des Wie. Wir wollen keine gesellschaftliche Spaltung in Deutschland. Deshalb müssen dafür sorgen, dass die Lasten gleichmäßig verteilt werden.
Der Stadt-Land-Konflikt dürfte im Wahlkampf eine Rolle spielen. Die Grünen werden plötzlich als Feindbild wahrgenommen in einigen ländlichen Regionen, gerade im Osten. Von Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind und kein Geld haben, ein neues zu kaufen.
Die Grünen haben in den letzten Jahren in den Meinungsumfragen erheblich an Wählergunst gewonnen. Sie haben aber kein Konzept für die gesamte Bevölkerung und sind längst keine Volkspartei, die in allen gesellschaftlichen Schichten und in allen unterschiedlichen Bereichen des Landes gleich viel punkten kann.
Die jungen urbanen Wähler und Mitglieder sind nicht repräsentativ für ganz Deutschland. Mir kommt es darauf an, dass wir Lösungen für alle anbieten, auch für die Menschen in den ländlichen Räumen. Lösungen, die zum einen die Klimaziele möglich machen und gleichzeitig auf die soziale Situation Rücksicht nehmen. Die Menschen in der Stadt haben in vielen Fällen die Möglichkeit, mit dem öffentlichen Personennahverkehr zur Arbeit zu kommen oder mit dem Fahrrad.
Auf dem Land ist das nicht so. Deshalb müssen wir hier sinnvolle Angebote machen. Wenn wir einen 3-Personen-Haushalt komplett von der EEG-Umlage entlasten, sind das knapp 230 Euro Einsparung im Jahr.
Die Grünen, auch die FDP - versprechen in ihren Wahlprogrammen mehr, sie wollen über ein Energiegeld und eine Klima-Dividende noch stärker CO2-Preis-Einnahmen zurückgeben.
Das kommt darauf an, wie man rechnet. Wenn die Grünen vor allem die CO2-Preise anheben, betrifft das überproportional die Leute auf dem Land. Das Klimageld wiederum kommt überproportional den Menschen in der Stadt zugute. Denn rein nominal kriegt ja jeder den gleichen Betrag. Die Stadtbewohner aber müssen ihn nicht für Mobilität einsetzen, die haben ja den ÖPNV oder das Fahrrad.
Die Menschen auf dem am Land sind auf das Auto angewiesen. Dadurch werden die Städter relativ gesehen mehr entlastet als die Gebeutelten auf dem Land. Das ist der Rechenfehler der Grünen. Wir als Union fangen an mit der Entlastung der Strompreise. Das entlastet die Menschen in der Größenordnung von rund 25 Milliarden Euro jedes Jahr.
Und in der nächsten Legislaturperiode müssen wir auch Angebote machen für Menschen, die einmal in einen Diesel investieren und den dann 15 Jahre oder länger fahren. Die Dekarbonisierung darf nicht dazu führen, dass einzelne Regionen, sprich die ländlichen Regionen, oder einzelne Bevölkerungsgruppen, sprich Arbeitnehmer mit Kindern, einen zu hohen Preis zahlen. Dieser Ausgleich wird eine besondere Rolle in der nächsten Koalition spielen.
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Sie haben als Umweltminister mal gesagt, Sie wollen jedes Windrad in Deutschland streicheln. Trotzdem ging gerade beim Ausbau der erneuerbaren Energien vieles nicht so voran, auch weil Sie immer wieder von eigenen Unions-Kollegen im Bundestag ausgebremst wurden.
Da die CDU gerade auch in den ländlichen Räumen sehr viele Wähler hat, ist es eigentlich ist es nicht überraschend, dass diese Diskussion vor allen Dingen meine eigenen Parteifreunde beschäftigt hat. Aber es gibt auch viele Abgeordnete der SPD, die nicht im Umweltausschuss sitzen, die ganz ähnliche Positionen vertreten haben. Wir sind beim Ausbau der erneuerbaren Energien sehr viel schneller vorangekommen, als selbst Optimisten erhofft haben.
Wenn ich 2012 gesagt hätte, wir werden den Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch von damals 21 Prozent auf 46 Prozent in 2020 innerhalb von acht Jahren mehr als verdoppeln, hätte das niemand geglaubt. Allerdings kommen wir jetzt auch an einen Punkt, wo die Widerstände größer und stärker werden.
Windräder sind eben in den städtischen Regionen, wo keine gebaut werden, wesentlich populärer als in den ländlichen Regionen, wo sie stehen. Es kommt jetzt vor allen Dingen darauf an, die Genehmigung von Windrädern, die Ländersache ist, zu beschleunigen. Wir haben festgestellt, dass sich in allen Bundesländern die Genehmigungszeiten verdoppelt und verdreifacht haben. Und das ist ein untrügliches Anzeichen dafür, dass der Widerstand vor Ort beträchtlich zugenommen hat.
Sie wirken noch voller Tatendrang. Seit 27 Jahren sind Sie Mitglied des Bundestags, waren Umweltminister, Kanzleramtschef, jetzt Wirtschaftsminister. Wie sehr schmerzt es Sie, dass Sie als Mitbegründer der schwarz grünen Pizza-Connection einer möglichen schwarz grünen Regierung vielleicht nicht mehr angehören werden?
Demokratie besteht darin, dass wir alle vor einer Wahl nicht wissen, wo wir nach einer Wahl sein werden. Ich habe mir die Aufgaben in diesen 27 Jahren in der Bundespolitik nie ausgesucht. Die Aufgaben kamen meistens zu mir. Bisweilen waren es auch Aufgaben, um die sich andere nicht so besonders gerissen haben. Ich bin solchen Herausforderungen nie aus dem Weg gegangen. Und im Übrigen kann man, und das ist das Gute an einer parlamentarischen Demokratie, politische Entscheidungen aus unterschiedlichsten Positionen heraus beeinflussen und mitgestalten.
Mir kam es immer darauf an, etwas für die Menschen zum Besseren hin zu bewegen und zu verändern. Ja, ich bin seit 27 Jahren im Deutschen Bundestag. Im Vergleich zu solch erfahrenen Kollegen wie Wolfgang Schäuble, der im nächsten Jahr sein 50-jähriges Jubiläum als Abgeordneter feiern wird, bin ich dabei eher noch ein junger Anfänger. Aber Scherz beiseite, ich kann Sie beruhigen: Es ist nicht meine Absicht, den Rekord des geschätzten Kollegen Schäuble zu brechen.
Wir würden gern noch einmal kurz zu Bismarck zurückkehren. Der sagte zum Beispiel mal „Abwechslung ist die Seele des Lebens“. Wenn sie nicht mehr in der ersten Reihe sein sollten, welcher Leitspruch soll über sie mal in Erinnerung bleiben?
Es gibt nicht viele Politiker, die man in 20 oder 30 Jahren noch kennt. Das wird bei mir nicht anders sein. Über die lange Regierungszeit von Angela Merkel wird man sagen; Es waren gute Jahre für Deutschland. Ich bin stolz, dass ich dabei helfen durfte.