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Vor neun Jahren ist der frühere TV-Moderator Jair Lapid in die Politik gegangen.
© Debbie Hill/Reuters/UPI

Wer ist der Mann, der die Ära Netanjahu beenden könnte?: Jair Lapid - Israels „Königsmacher“ und künftiger Außenminister

Anfangs wurde Jair Lapid belächelt. Doch der Oppositionschef hat geschickt eine Anti-Netanjahu-Koalition geschmiedet. Jetzt steht er vor seinem größten Triumph.

Am Sonntag wird in Israel Geschichte geschrieben. Mehr als zwölf Jahre lenkte Benjamin Netanjahu die Geschicke des Landes. Nun dürfte diese Ära enden. Eine völlig heterogene, in dieser Form bisher einmalige Koalition soll künftig den jüdischen Staat regieren. Acht Parteien haben sich verbündet: drei sehr rechte, zwei linke, zwei liberale und eine arabische.

Bisher eint sie allein der erklärte Wille, „König Bibi“ loszuwerden und Israel nach langer Zeit der Polarisierung wieder zu beruhigen. In der Knesset, dem Parlament, soll dieser Machtwechsel mit der Vereidigung einer neuen Regierung besiegelt werden. Für Netanjahu ist dies der „Betrug des Jahrhunderts“, den er auf den letzten Metern noch verhindern will. Für seine zahlreichen Gegner ist das der herbeigesehnte Start in eine neue Zeit.

Das Projekt steht allerdings auf wackligen Füßen. Die Mehrheit im Parlament ist mit einer Stimme hauchdünn. Doch womöglich schweißt ja gerade dieser Umstand zusammen und diszipliniert.

Das gemeinsame Ziel: Netanjahu los werden

Die Anti-Netanjahu-Koalition ist das Verdienst von Jair Lapid. Der Oppositionsführer und Chef der zentristischen Partei Jesch Atid (zu Deutsch: Es gibt eine Zukunft) hat alles darangesetzt, Netanjahus Karriere zumindest vorerst zu beenden.

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In mühseligen und langwierigen Gesprächen, die tagelang vom Krieg gegen die Hamas überlagert waren, gelang dem 57-Jährigen ein politisches Kunststück, das viele für unmöglich erachteten. Lapid überzeugte religiöse Nationalisten, gemäßigte Islamisten und liberale Sozialdemokraten, gemeinsame Sache zu machen – über alle ideologischen Grenzen hinweg.

Eine Regierung des Wechsels

Als Antreiber einer „Regierung des Wechsels“ ist er sogar zu selbstlosem Verzicht bereit und lässt den rechtsgerichteten Naftali Bennett als ersten das Amt des Premierministers übernehmen. Nach zwei Jahren soll Lapid den Posten übernehmen. Leicht dürfte ihm dieses Zugeständnis nicht gefallen sein.

Doch offenbar wiegt der bevorstehende Machtwechsel aus seiner Sicht so schwer, dass die eigenen Ambitionen zumindest zeitweise zurückstehen müssen. Mehr aber auch nicht. Bei aller Standhaftigkeit und allem Großmut: Lapid weiß, was er will – nach ganz oben.

Künftig wird Lapid wohl neben dem rechtsgerichteten Naftali Bennett (l.) auf der Regierungsbank Platz nehmen.
Künftig wird Lapid wohl neben dem rechtsgerichteten Naftali Bennett (l.) auf der Regierungsbank Platz nehmen.
© Ronen Zvulun/imago/UPI Photo

Vor neun Jahren ging er in der Politik, gründete mit Jesch Atid seine eigene Partei, die explizit weder rechts noch links zu verorten sein sollte – und wurde anfangs belächelt. Ein bekannter Medienmann, ein Schönling, ein Schulabbrecher – was ist schon von so einem zu erwarten? Ein Prominenter aus prominentem Elternhaus – Lapids Vater Josef war von 2003 bis Ende 2004 Vizepremier –, der mithilfe seiner Bekanntheit politischen Einfluss gewinnen wolle. So lästerten die Etablierten über ihn. Aber nicht lange.

Der in Tel Aviv geborene Hobbyboxer kam mit seinem strikt säkularen Kurs der Mitte überraschend gut bei den Israelis an, holte 2013 bei den Parlamentswahlen aus dem Stand 19 Sitze. Netanjahu machte ihn daraufhin zum Finanzminister. Gerade mal ein Jahr hielt dieses Bündnis. Lapid musste gehen. Nicht zuletzt, weil er sich ständig mit den Ultraorthodoxen anlegte, die immer wieder Privilegien und mehr Finanzhilfe einforderten – was der Mann fürs Geld ablehnte.

Erfolgreich bei den Wählern

Lapid blieb trotz des Rückschlags seiner liberalen Linie treu, engagierte sich unverdrossen für das Gemeinwesen und gegen Netanjahu. Schließlich gelang es Lapid, den ehemaligen Armeechef Benny Gantz für ein großes Oppositionsbündnis namens Blau-Weiß zu gewinnen. Bei der Wahl im April 2019 kam die Opposition wie Netanjahus konservativer Likud auf 35 Sitze in der Knesset.

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Aber der größte Erfolg ging für Lapid mit einer Niederlage einher. Denn Gantz brach sein wichtigstes Wahlversprechen und stieg in eine Einheitsregierung mit Netanjahu ein. Lapid wollte diesen Schritt nicht mitgehen und nahm wieder auf der Oppositionsbank Platz. Diese Gradlinigkeit goutierten die Israelis bei der jüngsten Wahl, hinter dem Likud wurde die Zukunftspartei zweitstärkste Kraft – und Lapid zum Königsmacher.

Benjamin Netanjahus Ära als Israels Premier könnte am Sonntag enden.
Benjamin Netanjahus Ära als Israels Premier könnte am Sonntag enden.
© Menahem Kahane/AFP

Jetzt steht Lapid wohl vor seiner größten Bewährungsprobe: Er muss eine kunterbunte Koalition beisammenhalten, deren politische Spannweite kaum größer sein könnte. Und sich der Attacken durch das Netanjahu-Lager erwehren. Leicht wird das nicht. Zumal Lapid einen zeitaufwendigen Job übernimmt, der ihn oft außer Landes führt. Als nächster Außenminister vertritt er Israels Interessen in der Welt. Was das konkret heißt, ist noch nicht so recht absehbar.

Lapid befürwortet einen Zweistaatenlösung, andere in seiner Koalition sind dagegen

Klar scheint nur: Eine generelle Kursänderung dürfte es kaum geben. Zwar gehört Lapid im Konflikt mit den Palästinensern zu den erklärten Befürwortern einer Zweistaatenlösung. Doch Fortschritte in dieser Frage gelten als eher unwahrscheinlich. Schließlich ist ein Teil der neuen Koalition strikt gegen Kompromisse mit den Palästinensern, allen voran der designierte Premier Naftali Bennett. Beim Iran ist man sich wiederum einig: Ihm und seiner atomaren Aufrüstung muss Einhalt geboten werden.

Lapid wird also als Chefdiplomat um heikle außenpolitische Themen wohl eher einen Bogen machen, um den Koalitionsfrieden zu wahren. Ohnehin steht die Innenpolitik im Vordergrund.

Mit einer großen Portion Pathos erklärte Lapid vor den jüngsten Wahlen: „Israel muss genesen von Corona; die Wirtschaft muss genesen, und wir müssen vom Hass genesen, der uns innerlich zerreißt.“ Lapid macht keinen Hehl daraus, dass er Netanjahu für diese gesellschaftliche Spaltung mit verantwortlich macht. Am Sonntag könnte dessen Ära enden.

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