Gesunkener iranischer Tanker: Israels Schattenkrieg und der brüchige Atomdeal
Irans größtes Marineschiff gerät in Brand und sinkt, in Teheran steht eine Ölanlage in Flammen. Experten sehen einen Zusammenhang.
Stundenlang kämpften die Besatzung und Feuerwehrleute. Doch sie wurden dem verheerenden Brand auf dem größten iranischen Marineschiff nicht Herr. Rettungskräfte brachten die 400 Menschen von Bord und damit in Sicherheit. Dann sank die „Kharg“ vor dem Golf von Oman.
Für die Islamische Republik ist das ein herber Verlust. Die „Kharg“ war eines der wenigen Schiffe der iranischen Seestreitkräfte, die andere Schiffe mit wichtigem Nachschub wie Treibstoff versorgen und schwere Fracht heben konnte. Auch als Startpunkt für Hubschrauber soll es gedient haben.
Die Führung in Teheran betont, die „Kharg“ sei zu Ausbildungszwecken genutzt worden. Über die Ursache des Unglücks gab es von offizieller Seite keine Angaben. Es hieß lediglich, es habe sich nicht um einen Angriff gehandelt. Doch an dieser Behauptung gibt es Zweifel.
Sabotage? Reine Spekulation, sagt Teheran
Denn fast zeitgleich ging im Süden Teherans eine Ölraffinerie in Flammen auf. Eine Gasleitung sei explodiert, betonte das Unternehmen. Es habe also ein technisches Problem gegeben. „Der Unfall wurde durch ein Leck in einer Flüssiggas-Notfallleitung verursacht“, sagte ein Behördenvertreter. „Jegliche Spekulationen über Sabotage“ wies er zurück.
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Doch Beobachter sehen das anders. Sie verweisen darauf, dass sich in letzter Zeit im Iran mysteriöse Brände und Explosionen häufen. Mal trifft es Elektrizitätswerke, mal Krankenhäuser. Oder die wichtige Atomanlage in Natans, wo Zentrifugen zur Urananreicherung gebaut werden. Vor knapp einem Jahr richtete dort ein Feuer erheblichen Schaden an. Im April gab es in Natans wieder einen Zwischenfall: Die Stromzufuhr wurde durch eine Cyberattacke gekappt.
Eines haben all diese Geschehnisse gemeinsam: Hinter ihnen könnte Israel und sein Auslandsgeheimdienst Mossad stecken. Viele Beobachter halten das für eine plausible These. Seit Jahren führen der jüdische Staat und das Regime in Teheran einen Schattenkrieg.
Mit militärischen Mitteln wird versucht, dem Feind zu zeigen, dass man in der Lage ist, ihn überall zu treffen. Längst tragen die Kontrahenten ihren Konflikt nicht mehr nur zu Lande und in der Luft aus, sondern auch auf See.
Schlagabtausch zu Land, in der Luft und auf See
Dabei attackiert Israel iranische Schiffe, die womöglich Öl und Waffen transportieren oder zu Spionagezwecken unterwegs sind. Teheran „revanchiert“ sich wiederum mit Angriffen etwa auf israelische Frachter. Der Untergang der „Kharg“ könnte also Teil des Schattenkriegs an der maritimen Front sein.
Auffallend ist zudem der zeitliche Zusammenhang mit den Verhandlungen, die eine Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran zum Ziel haben. Teheran scheint daran gelegen zu sein, den Preis für eine mögliche Einigung in die Höhe zu treiben. Denn in den vergangenen Monaten hat das Regime den Westen mit immer neuen Ankündigungen über Erfolge beim Nuklearprogramm provoziert.
Zwar betont der Iran, Atomkraft nur für zivile Zwecke nutzen zu wollen. Aber inzwischen verfügt das Land nach eigenen Angaben über 2,4 Kilogramm Uran mit einem waffentauglichen Anreicherungsgrad. Das alarmiert die Europäer und US-Präsident Joe Biden, der seit Amtsantritt auf einen Kompromiss mit Teheran hofft und dessen Abgesandte in Wien am Verhandlungstisch sitzen.
Aber vor allem Israel ist nicht gewillt, den Iran gewähren zu lassen. Die brennende „Kharg“ und die Explosion der Ölraffinerie scheinen mit der Botschaft einherzugehen: Wir haben euch im Blick.
Das wird sich auch unter einer neuen, erstmals seit vielen Jahren nicht von Benjamin Netanjahu geführten israelischen Regierung kaum ändern. Naftali Bennett, vorgesehen für den Posten des Ministerpräsidenten, ist ein erklärter Gegner des Iran. Auch in seiner sehr heterogenen, aus acht Parteien von rechts bis links bestehenden Koalition dürfte Konsens darüber herrschen, dass die Operationen gegen Teheran weitergeführt werden.
US-Präsident Biden will möglichst rasch ein neues Atomabkommen
Allerdings werden derartige Störmanöver bei Israels wichtigstem Verbündeten kaum Begeisterung auslösen. Die USA unter Präsident Biden wollen das Iran-Problem möglichst schnell gelöst haben, um sich mit aller Kraft vor allem dem Konkurrenten China widmen zu können. Israels Attacken machen das Verhandeln mit den Mullahs nicht gerade einfacher.
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Washington wünscht sich deshalb in der sehr heiklen Phase der Gespräche von Jerusalem mehr Zurückhaltung. Das „Projekt Atomabkommen“ soll nicht von außen sabotiert werden. Auch, weil die Zeit für einen neuen Nukleardeal immer knapper wird.
Im Iran wird am 18. Juni ein neuer Präsident bestimmt. Die besten Aussichten, Nachfolger von Hassan Ruhani zu werden, hat ein Hardliner. Ibrahim Raisi ist der erklärte Favorit der Erzkonservativen. Der Justizchef, mitverantwortlich für Massenhinrichtungen Ende der 80er-Jahre, gilt als Gegner des Atomabkommens. Sollte er an die Macht kommen, dürfte das die Gespräche mit Amerika und Europa über einen neuen Deal deutlich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.
Es ist also aus Sicht der USA und der Europäer Eile geboten, um die Verhandlungen über ein neues Nuklearabkommen rasch erfolgreich zu beenden. Kommt eine Übereinkunft nicht zustande, droht ein nukleares Wettrüsten im Nahen Osten. Und damit einhergehend könnte sich der Schattenkrieg zwischen Israel und dem Iran deutlich verschärfen.