Netanjahu muss um Mehrheit bangen: Israel wählt schon wieder ein neues Parlament
Es ist unklarer denn je, ob Ministerpräsident Netanjahu in Israel nach der vierten Wahl in zwei Jahren im Amt bleibt. Eine Pattsituation ist möglich.
Zum vierten Mal binnen zwei Jahren sind die Bürger in Israel am Dienstag zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. Rund 6,6 Millionen Menschen können ihre Stimme für eine von knapp 40 Listen abgeben.
Nach den letzten Umfragen dürfte die Likud-Partei des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu trotz Verlusten erneut stärkste Fraktion werden. Unklar jedoch ist, ob es für ihn zu einer weiteren Amtszeit reicht.
Auch eine knappe Mehrheit des Anti-Netanjahu-Lagers gilt Beobachtern als möglich. Den Umfragen zufolge ist jedoch eine Pattsituation ebenfalls nicht auszuschließen. Sollte eine Regierungsbildung scheitern, könnte schon im Sommer eine weitere Neuwahl nötig werden.
Die Abstimmung begann am Dienstagmorgen um 7 Uhr Ortszeit (6 Uhr MEZ). Mit der Schließung der Wahllokale um 21 Uhr MEZ wird mit ersten Prognosen gerechnet. Das amtliche Endergebnis soll eine Woche nach der Wahl veröffentlicht werden. Wegen der Corona-Umstände und eines langen Wochenendes mit Feiertag wird jedoch mit möglichen Verzögerungen bei der Stimmenauszählung gerechnet.
Die Ergebnisse der Parlamentswahl in Israel sind nach Angaben der Vorsitzenden des Zentralen Wahlkomitees gar nicht vor Freitag zu erwarten. Nach Beginn der Abstimmung am Dienstag sagte Orly Adas der Nachrichtenseite ynet, man werde die Ergebnisse sehr gründlich prüfen. „All dies braucht Zeit, deswegen werden die Ergebnisse in der Nacht nur langsam einlaufen.“ Sie hoffe, dass man bis zum Morgen etwa 70 Prozent der Ergebnisse in den regulären Wahlstationen sehen könne.
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Die Auszählung der sogenannten doppelten Umschläge mit Stimmen von Soldaten, Diplomaten, Häftlingen und Corona-Kranken solle erst am Mittwochabend beginnen.
Nach Angaben von ynet wird sich die Zahl dieser Umschläge, die bei der Wahl vor einem Jahr noch 330.000 betragen hatte, diesmal fast verdoppeln. Dies entspreche etwa 15 der 120 Mandate im Parlament. Weil mehrere Parteien an der 3,25-Prozent-Hürde scheitern könnten, könne dies das Gesamtbild deutlich verändern. Das amtliche Endergebnis soll acht Tage nach der Wahl veröffentlicht werden.
Netanjahu ist seit 2009 durchgängig Ministerpräsident. Er hofft auf eine weitere Amtszeit. Der 71-Jährige hat im Wahlkampf vor allem versucht, mit der rasanten Corona-Impfkampagne sowie mit der Annäherung Israels an weitere arabische Staaten zu punkten.
Viele Israelis zeigten sich allerdings in den vergangenen Monaten unzufrieden mit dem Krisenmanagement Netanjahus im Verlauf der Pandemie. Die Infektionszahlen in Israel hatten teils deutlich über denen in Deutschland gelegen, die Bürger mussten sich mit langen Lockdown-Phasen arrangieren. Netanjahu steht aber auch wegen eines gegen ihn laufenden Korruptionsprozesses unter Druck. Die Zeugenbefragung beginnt knapp zwei Wochen nach der Wahl.
Netanjahus größter Herausforderer bei der Wahl am Dienstag ist der Vorsitzende der Zukunftspartei, der bisherige Oppositionsführer Jair Lapid. Es wird damit gerechnet, dass etwa ein Dutzend Parteien oder Listen die Hürde von 3,25 Prozent schafft, die für den Einzug in die 120 Sitze zählende Knesset nötig ist.
Zahl der Parteien im Parlament könnte mitentscheidend sein
Experten zufolge dürfte die Zahl der ins Parlament einziehenden Parteien mitentscheidend dafür sein, ob Netanjahu Ministerpräsident bleiben kann oder nicht. Eine besondere Rolle kommt auch dem Ergebnis der siedlerfreundlichen, rechten Jamina-Partei zu. Deren Vorsitzender Naftali Bennett war mit dem Ziel angetreten, Netanjahu abzulösen. Er hat allerdings auch nicht ausgeschlossen, in eine Koalition mit diesem einzutreten. Sollte er dies tun, könnte die Jamina-Partei Netanjahu eine Mehrheit sichern.
Insgesamt sind rund 6,6 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, die Mitglieder der 24. Knesset in Jerusalem zu bestimmen. Die Wahl wird coronabedingt unter besonderen Umständen abgehalten. Es gibt deutlich mehr Wahllokale als bei früheren Abstimmungen, insgesamt 13.685. So sollen Menschenansammlungen vermieden werden. In Israel gibt es die Möglichkeit einer Briefwahl nicht.
Menschen, die in Quarantäne sind, sollen zum Beispiel in umgebauten Bussen ihre Stimme abgeben können. Auch am internationalen Flughafen Ben Gurion sollten die Bürger wählen können. Rund 20 000 Sicherheitskräfte sollen den Verlauf der Wahl überwachen.
Die Neuwahl war nötig geworden, weil das im vergangenen Frühjahr unter dem Eindruck der Corona-Krise geschlossene Bündnis zwischen Netanjahu und seinem Widersacher der vergangenen Wahlen, Benny Gantz vom Mitte-Bündnis Blau-Weiß, bereits nach wenigen Monaten im Zuge eines Haushaltsstreits zerbrochen war. (dpa)