Wahlen im Iran: Ist der Vormarsch der Hardliner noch zu stoppen?
Die Iraner wählen ein neues Parlament. Ein Sieg der Erzkonservativen gilt als wahrscheinlich. Was das fürs Land bedeuten könnte – eine Analyse.
Irans Präsident ist frustriert. Wenn eine Wahl zur bloßen Formalität verkomme, dann schade das der Demokratie, beschwerte sich Hassan Ruhani kürzlich – und meinte damit die Parlamentswahl im eigenen Land.
In der Tat: Die etwa 58 Millionen Iraner, die an diesem Freitag zur Urne gerufen werden, um die 290 Abgeordneten in der Volksvertretung neu zu bestimmen, haben wenig Auswahl. Ruhanis Reformer wurden schon vor der Wahl im großen Stil kaltgestellt – der erste Sieg der Hardliner bei einer wichtigen Abstimmung seit fast einem Jahrzehnt ist wahrscheinlich.
In der anstehenden neuen Ära dürften Kräfte das Sagen haben, die die bisherige Öffnungspolitik des Präsidenten gegenüber dem Westen beenden wollen.
Die Ausgangslage
Reformer und pragmatisch orientierte Politiker hatten die vergangenen beiden Präsidentenwahlen, die Ruhani 2013 ins Amt brachten und 2017 bestätigten, sowie die Parlamentswahl 2016 für sich entschieden. Dahinter stand die Hoffnung vieler Iraner, die internationale Isolation des Landes würde endlich enden und ein Wirtschaftsaufschwung folgen.
Ruhanis Lager befürwortete den Abschluss des internationalen Atomvertrages 2015, der dem Iran einen Abbau von Sanktionen versprach. Doch der Aufschwung blieb aus. Nicht nur, aber auch, weil US-Präsident Donald Trump den Atomvertrag aufkündigte und neue Strafmaßnahmen erließ.
Inzwischen befindet sich Irans Wirtschaft auf Talfahrt. Revolutionsführer Ali Chamenei, mächtigster Mann in der Islamischen Republik, distanziert sich von Ruhanis Regierung. Proteste gegen Korruption, gegen Misswirtschaft und gegen die Politik des Regimes, wie zuletzt nach einer drastischen Erhöhung der Benzinpreise im November, wurden von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen. Hunderte kamen ums Leben, Tausende landeten im Gefängnis. Einigen droht die Todesstrafe.
Deshalb sieht es schlecht aus für das reformorientierte Lager. „Die Hardliner haben alle Wahlen seit 2012 verloren, doch Trump hat sie politisch gestärkt, indem er die Pragmatiker, die all ihr politisches Kapital in den Atomdeal von 2015 investiert hatten, politisch diskreditiert hat“, sagt Ali Vaez, Direktor des Iran-Projekts bei der Denkfabrik International Crisis Group, im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Bei der Wahl am Freitag erwartet Vaez den Beginn einer „Übernahme der gewählten Institutionen im Iran durch die Konservativen“. Das Regime schließt die Reihen.
Die Spielregeln
Die gemäßigten Kräfte haben jedoch nicht allein wegen Trumps Sanktionen bei der Wahl einen schweren Stand. Als Hindernis erweist sich auch der sogenannte Wächterrat. Das von Konservativen dominierte Gremium zur Vorauswahl von Kandidaten, bestehend aus sechs Juristen und sechs von Chamenei ernannten Geistlichen, schloss viele Anhänger der Öffnungspolitik von Bewerbungen um Parlamentsmandate aus.
Die Wächter wiesen mehr als die Hälfte der 16.000 Bewerber ab – ein Rekordwert. Ein Drittel der amtierenden Parlamentsabgeordneten darf nicht erneut antreten. Die Scheinwahl wird damit noch etwas scheinheiliger.
Und: Wer mit dem Regime nichts am Hut hat und vom progressiveren Teil der Elite enttäuscht ist, dürfte der Wahl fernbleiben. Die Erzkonservativen und ihre Gefolgsleute werden dagegen gerne ihre Stimmen abgeben.
Die Reformer könnten zwar versuchen, sich den Wählern als Bollwerk gegen den erwarteten Durchmarsch der Hardliner zu empfehlen, sagt der Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad vom Brookings Doha-Center, der Niederlassung der US-Denkfabrik Brookings in Katar. Aber auch die Moderaten hätten in den vergangenen Jahren viel an Glaubwürdigkeit verloren, betont Fathollah-Nejad.
Die Gewinner
Mit einem Sieg der Reformgegner würde unter anderem die Revolutionsgarde nochmals an Macht gewinnen, erwartet Fathollah-Nejad. Die Garde, schon jetzt eine der einflussreichsten Institutionen im Land, gehört zum erzkonservativen Lager und befürwortet einen aggressiven Kurs in der Außenpolitik.
Doch bei vielen Iranern ist die Elitetruppe mittlerweile nicht mehr wohlgelitten. Als sie im Januar versehentlich ein ukrainisches Verkehrsflugzeug abschoss und 176 meist iranische Insassen tötete, demonstrierten Tausende Iraner gegen die Garde. Die hatte den Abschuss zunächst geleugnet. Ein Grund für die Proteste sei gewesen, dass die Demonstranten eine „De-Facto-Herrschaft“ der Revolutionswächter befürchteten, sagt Fathollah-Nejad.
Dieser Eindruck kommt nicht von ungefähr. Schon seit Langem führen die Gardisten als machtpolitischer und ideologischer Stützpfeiler des autoritären Regimes ein Eigenleben. Wie ein Staat im Staat haben sie Strukturen aufgebaut, die es ihnen ermöglichen, fern jeder Kontrolle durch die Regierung zu schalten und zu walten. Alle Versuche, ihnen Einhalt zu gebieten, sind bislang gescheitert. Sie sind allein dem obersten Revolutionsführer Rechenschaft schuldig.
Grundlage ihrer Macht ist neben der militärischen Schlagkraft – 150.000 Soldaten stehen unter Waffen – ein gigantisches Wirtschaftsimperium. Öl, Finanzen, Kommunikation, Infrastruktur, Bauwesen – es gibt kaum einen Sektor, in dem die Gardisten nicht ganz vorne mitmischen und Milliardengewinne machen.
Von Steuern und Zöllen befreit, nutzten die Revolutionswächter vor allem die Zeit vor dem Atomdeal, um in fast allen Branchen Fuß zu fassen. Private Betriebe gingen pleite, die Gardisten investierten kräftig. Diesen Einfluss wollen die Gardisten keinesfalls verlieren.
Der Revolutionsführer
Die Wahl am Freitag hat noch eine andere wegweisende Dimension. Sollte das Reformlager geschwächt werden, könnte das ein Vorbote auf eine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen kommendes Jahr sein. Ruhani darf nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten, andere Hoffnungsträger sind nicht in Sicht.
In den nächsten Jahren, vielleicht sogar schon sehr bald, wird zudem über einen neuen Revolutionsführer zu entscheiden sein. Chamenei ist 80 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Beobachter schließen nicht aus, dass der Ajatollah, der seit mehr als 30 Jahren an der Spitze des Staates steht, noch zu Lebzeiten einen Nachfolger bestimmt.
Das hat einen simplen Grund: Dem Establishment soll der Machterhalt gesichert werden. Für den höchsten Posten im Land dürfte daher nur ein Kandidat infrage kommen, der dem System treu ergeben ist. Berichten zufolge bringen sich bereits einige Loyalisten aus der Funktionärsriege in Stellung. Experten sind sich daher sicher: Einen Regimewechsel wird es nicht geben.
Die Außenwirkung
Sollten die Hardliner bei den Parlamentswahlen siegen, wird der Westen ein neues Konzept im Umgang mit dem Iran brauchen. Bisher hofft Teheran auf eine Niederlage Trumps bei der US-Präsidentenwahl im November und einen anschließenden Neubeginn im Verhältnis zu Washington. Ruhanis Regierung will deshalb nicht alle Brücken zum Westen abbrechen.
Eine Machtübernahme der Hardliner im Parlament und im Präsidentenamt in Teheran würde dies möglicherweise grundlegend ändern. Eine politisch gestärkte Revolutionsgarde könnte sich versucht sehen, die Unterstützung für proiranische Kräfte und Milizen im Nahen Osten auszubauen.
Und damit würde auch die Gefahr weiterer Auseinandersetzungen mit Amerika steigen. Trumps Taktik des „maximalen Drucks“ wollen Irans Ideologen mit „maximalem Widerstand“ beantworten. Dazu gehört eine asymmetrische Kriegsführung, also zum Beispiel Angriffe von teherantreuen Kämpfern auf US-Einrichtungen in der Region.
Auch Irans endgültiger Ausstieg aus dem Atomdeal von 2015 oder sogar dem Nuklearwaffensperrvertrag wären möglich. Die Hardliner lehnten die Beschränkungen des iranischen Atomprogramms schon immer ab – wenn sie in Teheran die Politik bestimmen, dürfte die Sorge wegen der möglichen Entwicklung einer iranischen Atombombe wachsen. Der Region stehen unruhige Zeiten bevor.