zum Hauptinhalt
Der oberste iranische Führer Ajatollah Ali Chamenei (l.) und Präsident Hassan Ruhani machen das Ausland für die Unruhen verantwortlich.
© Iranian Presidency/dpa
Update

Unruhen im Iran: Geraten die Mullahs in Bedrängnis?

Das Regime in Teheran geht brutal gegen Demonstranten vor und erklärt jetzt die Unruhen für beendet. Doch die Mächtigen haben Legitimität eingebüßt.

Brennende Banken und Tankstellen, Tausende Menschen auf den Straßen, Schüsse der Sicherheitskräfte und ein Internet-Blackout: Nach der drastischen Erhöhung der Benzinpreise im Iran ist das ganze Land in Aufruhr.

Polizei und regierungstreue Milizionäre gingen in den vergangenen Tagen in allen Teilen der Islamischen Republik mit großer Brutalität gegen Demonstranten vor und töteten nach Recherchen von Amnesty International mehr als 100 Menschen in 21 Städten.

Unmut und Unruhen

Dagegen verbreiten staatlich kontrollierte Medien, es seien bisher neun Menschen ums Leben gekommen. Etwa 1000 Protestierende sollen festgenommen worden sein. Das scheint Wirkung zu zeigen. Das Regime in Teheran erklärte am Mittwoch, der Aufstand sei niedergeschlagen worden, und sprach von einem Sieg gegen eine angebliche Verschwörung von Feinden des Iran.

Doch das rücksichtslose Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Bürger – die wegen der Wirtschaftskrise nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen – hat die Legitimität der regierenden Eliten erschüttert. Bis zur nächsten Protestwelle sei es nur eine Frage der Zeit, sagen Experten. Sie sprechen von der schwersten Krise seit Gründung der Islamischen Republik vor 40 Jahren.

Ausgelöst wurden die Proteste vorige Woche durch die Entscheidung der Regierung, buchstäblich über Nacht die Subventionen für die Benzinpreise zu kürzen. Autofahrer müssen nun bis zu 200 Prozent mehr bezahlen als vorher. Präsident Hassan Ruhani will mit den Mehreinnahmen von rund 2,3 Milliarden Euro neue Hilfszahlungen an arme Familien finanzieren.

Dennoch gingen viele Menschen umgehend auf die Straße, die Proteste gegen die Preiserhöhungen breiteten sich rasch im ganzen Land aus. Die Demonstranten fordern nicht nur eine Rücknahme der Preisanhebungen. Ihnen geht es um mehr.

Der Iran leidet seit Jahren unter massiven wirtschaftlichen Problemen, die zum Teil mit den US-Sanktionen gegen den Iran zusammenhängen, allerdings ebenfalls auf hausgemachte Probleme wie Korruption und Missmanagement zurückgehen.

Schon zum Jahreswechsel 2017/ 2018 hatte es schwere Unruhen gegeben – seitdem ist die Situation für viele Bürger deutlich schlechter geworden. Sie ärgern sich nicht zuletzt darüber, dass ihre Regierung trotz der Wirtschaftskrise nach wie vor zig Millionen Euro für außenpolitische Abenteuer im Irak, im Libanon und im Jemen ausgibt.

Das Regime schlägt zurück

Die Antwort des Regimes auf die jüngsten Proteste war eindeutig: Starke Sicherheitskräfte eröffneten Menschenrechtlern zufolge das Feuer auf Demonstranten. Die Behörden schalteten landesweit zudem das Internet ab. Das soll unter anderem verhindern, dass sich aufgebrachte Iraner organisieren, etwa um Kundgebungen zu planen.

Am Mittwoch verkündeten Präsident Ruhani und Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei übereinstimmend, das Land habe einen Angriff seiner Feinde erfolgreich zurückgeschlagen. Das Internet blieb dennoch gesperrt – ein möglicher Hinweis darauf, dass die Proteste doch noch nicht völlig beendet waren.

Am Donnerstag erklärten die Revolutionsgarden die Unruhen für beendet und unterstellten "den Feinden" des Irans, allen voran den USA und Israel, hinter dem Aufruhr zu stecken. Monarchisten hätten die Anführer der Proteste finanziert, um sich für den Sturz des Schahs vor 40 Jahren zu rächen.

Brennender Zorn. Viele Iraner wollen die Benzinpreiserhöhung nicht hinnehmen. Sie fürchten, dass alles Lebensnotwendige noch teurer wird.
Brennender Zorn. Viele Iraner wollen die Benzinpreiserhöhung nicht hinnehmen. Sie fürchten, dass alles Lebensnotwendige noch teurer wird.
© AFP

Härte wird aber auf Dauer sicherlich keine Lösung sein. „Das Regime befindet sich in der bisher ernstzunehmendsten und existenziellsten Krise seit seiner Entstehung“, sagt Nahost-Experte Ali Fathollah-Nejad vom Doha-Zentrum der Denkfabrik Brookings im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Angesichts der tiefgreifenden Probleme glaube ich, dass ein Abschreckungseffekt nur kurzfristig wirken wird. Wenn sich nichts ändert, werden immer wieder Unruhen aufbrechen.“

Das Dilemma des Präsidenten

Auch wenn die Proteste wohl etwas abgeflaut sind – für Hassan Ruhani könnte es ungemütlich werden. Der Benzinschock und der Zorn der Menschen werden dem Präsidenten und seiner Regierung womöglich erheblichen politischen Schaden zufügen.

Zum einen dürfte der 71-jährige Kleriker innerhalb der Herrschaftselite weiter Macht einbüßen. Erzkonservative Kräfte wettern schon seit Langem gegen den Präsidenten. Sie lehnen dessen Kurs der vorsichtigen Öffnung nach außen und seine verhaltene innenpolitische Reformbereitschaft kategorisch ab.

Sie sehen darin Verrat an den Werten der islamischen Revolution 1979 und werden die derzeitigen Unruhen als Beleg für Ruhanis Versagen werten.

Zum anderen sind große Teile der Bevölkerung überzeugt davon, dass der sich moderat gebende Präsident nicht geliefert hat. Ruhani hat den Menschen immer wieder versprochen, ihre Lage werde sich bessern. Doch davon kann keine Rede sein. Wie groß der Unmut ist, wird sich wohl im Februar zeigen. Dann wählen die Iraner ein neues Parlament. Beobachter gehen davon aus, dass Ruhanis Lager dann abgestraft wird.

Zeichen des Protests. Demonstranten steckten nach der Benzinpreiserhöhung Tankstellen in Brand.
Zeichen des Protests. Demonstranten steckten nach der Benzinpreiserhöhung Tankstellen in Brand.
© Abdolvahed Mirzazadeh/ISNA/AP/dpa

Die Macht der Mullahs

Nahost-Experte Fathollah-Nejad sieht bei der Führung in Teheran keine Anzeichen für ein grundsätzliches Umdenken. Die Führungselite tendiere zu einem „Weiter so“, weil sie die eigenen Pfründe und Privilegien nicht antasten wolle. Fathollah Nejad sieht deshalb die Islamische Republik in einer Existenzkrise.

„Das nächste Kapitel könnte das letzte sein, aber wie lange dieses Kapitel dauert, kann man nicht sagen. Fest steht, dass das Regime irreversibel an Legitimität verloren hat, und das hat Konsequenzen“, betont er. „Die unteren Schichten stehen mit dem Rücken zur Wand und werden sicher auch die staatlichen Morde nicht vergessen – das Feindbild Regime wird gestärkt.

Auch die Mittelschichten sehen trotz ihrer Bedenken hinsichtlich eines Mangels an Alternativen zum Regime und der Furcht vor einem Chaos im Land, dass die Herrschenden ja auch keine Stabilität schaffen.“ Nur scheint ebenfalls klar: Zumindest in absehbarer Zeit wird der Machtapparat wohl nicht kollabieren.

Zur Startseite