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Protest gegen das iranische Regime in Berlin
© Reuters/Hannibal Hanschke

Was Berlins Exiliraner jetzt wollen: Der Mutausbruch der Mullahgegner

Reformen reichen nicht, das iranische Regime muss weg – sagen auch Oppositionelle in Berlin. Warum sie gerade jetzt optimistisch sind.

Javad Dabiran formuliert bedächtig. Wägt ab, spricht leise, fast zaghaft. Bittet darum, das Tonbandgerät auszuschalten, um Hintergründe zu erklären, die nicht in der Zeitung stehen sollen. Seine Vorsicht, sagt Javad Dabiran, habe einen Grund. Das iranische Regime nutze jede Gelegenheit, seine Worte aus dem Kontext zu reißen, um Menschen wie ihn als Verbrecher hinzustellen. Und schlimmer noch: Der Westen falle oft genug darauf herein.

Deshalb die Vorsicht. Wirklich energisch wird Dabiran in zwei Stunden Gespräch nur einmal. Als ihm ein entschiedenes „Nein“ herausplatzt. Es ist seine Antwort auf die Frage:

„Herr Dabiran, kümmert sich die deutsche Politik genug um die demokratisch gesinnten Iraner?“

Die meisten der 150.000 Menschen iranischer Herkunft, die heute in der Bundesrepublik leben, lehnen das Mullahregime ab. Viele sind vor ihm geflohen, in der Heimat drohen ihnen Folter und Tod, sie wünschen sich einen Regimewechsel.

Gleichzeitig sind sich die Exiliraner oftmals auch untereinander uneins. Organisieren sich in Parteien, Vereinen, Bündnissen, treffen sich zu Protesten, aber sprechen selten mit einer Stimme. Was denken sie über die jüngste Zuspitzung, was über die Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani – und was, glauben sie, bedeutet dies alles für ihren eigenen Kampf?

„Die Menschen haben ihre Angst verloren“

Javad Dabiran, 58, ist Sprecher des „Nationalen Widerstandsrats Iran“, kurz NWRI, der größten Oppositionsgruppe. In den vergangenen Jahrzehnten, sagt er, habe die iranische Opposition etliche Krisen durchlebt, unter Brutalität und Propaganda der Mullahs gelitten. Doch jetzt sei er optimistisch. Sehr sogar: „Die Menschen haben ihre Angst verloren. Sie sehen, wie schwach das Regime inzwischen ist.“

Das Deutschlandbüro des Widerstandsrats liegt in Berlin-Schmargendorf, ein frei stehendes Gebäude in einer Querstraße zum Hohenzollerndamm. Draußen ein üppiges Stiefmütterchenbeet plus Löwenstatue, oben im zweiten Stock sitzt Javad Dabiran im Anzug im Besprechungsraum. Dass Qassem Soleimani ein Top-Terrorist und Massenmörder war, habe sich zum Glück auch in Europa herumgesprochen, sagt Dabiran. „Weniger allerdings die Tatsache, dass er die meisten seiner Verbrechen im Iran selbst begangen hat.“ Die Erzählung des Regimes, das Volk trauere um Soleimani, sei erlogen. Viele Menschen hassten ihn. Dabiran berichtet von Bussen, in denen Staatsbeamte aus allen Landesteilen angekarrt wurden, um genug Teilnehmer für die Beerdigung zusammenzukriegen.

Javad Dabiran in der Berliner Dependance des Widerstandsrats.
Javad Dabiran in der Berliner Dependance des Widerstandsrats.
© Thilo Rückeis

Javad Dabiran kam 1978, ein Jahr vor der iranischen Revolution, nach Deutschland, studierte in Bochum Elektrotechnik. Erst beteiligte er sich an Demonstrationen gegen den Schah, dann gegen die Mullahs. In der Heimat wurde seine Familie unter Druck gesetzt. 1982 steckte das Regime deshalb seinen Bruder ins Gefängnis, folterte ihn mit Schlägen, wollte Dabiran zwingen, seine politische Arbeit aufzugeben und in den Iran zurückzukehren. Doch der blieb.

Für seinen aktuellen Optimismus hat Javad Dabiran Gründe. „Früher kam es im Iran etwa alle zehn Jahre zu Aufständen“, sagt er. „Das ist nun vorbei.“ Nach den letzten großen Unruhen Ende 2017 habe es lediglich 19 Monate gedauert, bis im vergangenen November neue Aufstände ausbrachen – und diesmal nicht nur in den Metropolen, sondern landesweit in mehr als 190 Städten. Auch der Organisationsgrad der Proteste habe zugenommen. Das Regime schlug die Aufstände blutig nieder, Beobachter zählten 1500 Tote. Doch Dabiran sagt, es könne jederzeit zu neuen, noch massiveren Unruhen kommen.

Der Sprecher des Widerstandsrats sieht noch einen weiteren wesentlichen Unterschied: Während Demonstranten früher Reformen einforderten, wollen sie jetzt das Ende des Regimes. „Sie haben keine Illusion mehr, dass es innerhalb des jetzigen Systems Besserung geben könnte – oder dass es irgendwie ,moderate‘ Mullahs gäbe.“ Genau das müsse auch die deutsche Politik einsehen. Die hoffe immer noch, sie könne durch Appeasement vermeintlich gemäßigte Kräfte im Regime stärken.

Warten auf die Unterstützung von Heiko Maas

Montagnachmittag stehen Javad Dabiran und seine Mitstreiter vor dem Auswärtigen Amt. Sie fordern, die Bundesregierung müsse endlich öffentlich die demokratischen Proteste im Iran unterstützen. Jenen beistehen, die jetzt gerade wieder auf die Straße gingen, weil es sie wütend macht, dass die Mullahs für einen Mörder wie Qassem Soleimani drei Tage Staatstrauer ausrufen, für die Toten des abgeschossenen Flugzeugs aber nicht. US-Präsident Donald Trump hat genau dies am Wochenende auf Twitter getan. Javad Dabiran fragt: „Warum hört man Derartiges nicht von Heiko Maas?“ 

Auch in Berlin werden Oppositionelle wie Dabiran seit Jahren bedroht. Das Regime geht in Europa mit zwei Geheimdiensten gegen unliebsame Landsleute vor: dem offiziellen Dienst „Mois“ und der sogenannten „Quds-Truppe“, die bis zu dessen Tod von Qassem Soleimani befehligt wurde.

Zuletzt konnten mehrere schwere Anschläge iranischer Agenten vereitelt werden: 2018 verhinderten Sicherheitskräfte Attacken auf iranische Oppositionelle in Albanien. Zwei Regimeanhänger waren, als Journalisten getarnt, ins Land eingereist, wollten einen Lkw mit Sprengstoff neben einer großen Gruppe Oppositioneller platzieren – während der Feierlichkeiten zum iranischen Neujahrsfest.

Im Sommer desselben Jahres sollte eine Großveranstaltung des NWRI in Paris in die Luft gejagt werden. Hier wurden bis zu 25 000 Teilnehmer erwartet.

In den Niederlanden ließ der Iran zwei Regimegegner ermorden. Auch das Berliner Büro des „Nationalen Widerstandsrat“ wurde ausspioniert, zwei Personen wurden deswegen verhaftet und verurteilt. Mehrfach versuchten Fremde, in das Büro des Widerstandsrats einzudringen. Im Januar vergangenen Jahres wurde ein iranischer Oppositioneller auf offener Straße in Steglitz zusammengeschlagen. Javad Dabiran sagt, es sei kein Zufall, dass die Drohungen gegen Exiliraner seit 2017 zugenommen hätten. „Je instabiler das Mullahregime ist, desto aggressiver geht es gegen seine Feinde vor.“

Die Demonstranten fordern, dass sich die Bundesregierung auf die Seite der demokratischen Proteste im Iran stellt.
Die Demonstranten fordern, dass sich die Bundesregierung auf die Seite des demokratischen Protests im Iran stellt.
© Stefan Weger

Laut Verfassungsschutz kundschaften iranische Agenten in der Bundesrepublik auch gezielt jüdische und proisraelische Einrichtungen aus – und Menschen, die sich gegen Antisemitismus engagieren. Genau dies ist dem SPD-Politiker und Ex-Wehrbeauftragten des Bundestags Reinhold Robbe passiert. In seiner Zeit als Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft spionierte ihn ein aus Pakistan stammender Mann im Auftrag des iranischen Geheimdiensts aus. Robbe galt offenbar als „leichtes Ziel“, das sich im Konfliktfall je nach Bedarf entführen oder ermorden ließe. Weder Robbe selbst noch die deutschen Sicherheitsbehörden schöpften Verdacht. Nur dank des Tipps eines US-Dienstes konnte der Täter 2016 verhaftet und zu einer Freiheitsstrafe von über vier Jahren verurteilt werden.

Am Telefon sagt Reinhold Robbe, es habe ihn entsetzt, als die Ermittler ihm damals die Fülle an Informationen präsentierten, die der Mann bis zur Festnahme bereits gesammelt hatte: „Sie füllten zahlreiche Powerpoint-Präsentationen mit mehr als 950 Folien.“ Der Fremde hatte sogar ausgespäht, an welchen Orten, an denen sich Robbe öfters aufhält, Sicherheitskameras angebracht sind, welche Wege sich als Fluchtrouten eignen und wie weit es bis zur nächstgelegenen Polizeistation ist, kurz: wo Attentäter am leichtesten zuschlagen könnten.

Auftraggeber war die Quds-Truppe – befehligt von Qassem Soleimani. Robbe nennt ihn „einen der schlimmsten Verbrecher des iranischen Regimes, maßgeblich verantwortlich für das Funktionieren der Diktatur“.

Donnerstagabend, kurz vor 18 Uhr in der Neuköllner Reuterstraße. Die Imam-Riza-Moschee ist berüchtigt, weil dort auch Anhänger der vom Iran finanzierten Hisbollah beten, der Tagesspiegel hat im Dezember darüber berichtet. An diesem Abend hat die Moschee zu einer „Trauerzeremonie für den heldenhaften Märtyrer“ Qassem Soleimani geladen.

Auf der anderen Straßenseite stehen Gegendemonstranten im Nieselregen. Einer von ihnen ist Kazem Moussavi, 50, Sprecher der Grünen Partei im Iran. Er sagt, die Tötung Soleimanis sei ein schwerer Schlag für das Regime, weil diesen hochrangigen Mann ein „Mythos der Unangreifbarkeit“ umgeben hätte. „Das Selbstbewusstsein und der Zusammenhalt innerhalb der Regimegegner sind gestiegen.“

Enge Freunde von ihm wurden hingerichtet

Moussavi kam vor 30 Jahren als politisch Verfolgter nach Deutschland, machte hier seinen Doktor in Ingenieurswissenschaften, ist inzwischen deutscher Staatsbürger. Einige Mitstreiter, darunter enge Freunde, wurden in der Heimat vom iranischen Regime hingerichtet. Auch Moussavi wird seit Jahren bedroht, bekommt anonyme Anrufe, wird auf der Straße von Fremden eingeschüchtert. Die iranische Zeitung „Watan-e Emrouz“, das Organ der Revolutionsgarde, drohte Moussavi offen, dass früher oder später mit ihm abgerechnet werde.

Kazem Moussavi ist Sprecher der Grünen Partei im Iran.
Kazem Moussavi ist Sprecher der Grünen Partei im Iran.
© privat

Moussavi ist Mitglied im Bündnis „Stop The Bomb“, das sich gegen Geschäfte des Westens mit dem iranischen Regime ausspricht. Und er engagiert sich gegen den antisemitischen Quds-Marsch, bei dem jedes Jahr Israelhasser, darunter die Anhänger der vom Iran gesteuerten Terrormiliz Hisbollah, durch Charlottenburg ziehen und die Auslöschung des jüdischen Staats fordern.

Moussavi sagt: „Der Al-Quds-Tag ist ein Aufruf zum Verbrechen gegen die Menschheit.“ Israel- und Judenhass seien eine wichtige Säule des Regimes, um sich an der Macht zu halten. Denn einerseits werde der imaginierte jüdische Feind als ständige Bedrohung verkauft, um von eigenen Problemen wie der anhaltenden Wirtschaftsmisere abzulenken. 

Andererseits ließen sich Freiheitsrechte und Demokratie unterdrücken, indem man sie als „Auswüchse des Judentums“ darstelle: „Das betrifft etwa das Ablegen des Kopftuches, Feminismus und Homosexualität, aber auch die Moderne insgesamt, die universellen Menschenrechte und die Demokratiebewegung im Iran.“

Umso skandalöser findet Moussavi, dass sowohl die Bundesregierung als auch die Opposition weiter auf Beschwichtigung gegenüber den Mullahs setzten, statt die demokratischen Regimegegner zu unterstützen. „Wir Oppositionellen haben weder in der Politik noch in weiten Teilen der deutschen Presse eine Stimme.“

Entsetzt waren Berlins Exiliraner im vergangenen Jahr über das Verhalten des SPD-Politikers Niels Annen. Im Februar nahm der Staatsminister im Außenamt eine Einladung in die iranische Botschaft an – und feierte dort den 40. Jahrestag der Islamischen Revolution. Im September empfing Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller seinen Teheraner Amtskollegen im Roten Rathaus. Nach öffentlicher Kritik erklärte er sich bereit, nun auch eine Gruppe Oppositioneller zu treffen. Der Termin wird bald stattfinden.

Was nach den Mullahs kommen soll

Der Nationale Widerstandsrat hat seine Pläne für einen Iran nach dem Ende der Mullahs schon vor Jahren veröffentlicht: Er fordert freie und geheime Wahlen, die Trennung von Staat und Religion, Abschaffung der Todesstrafe, Gleichberechtigung der Geschlechter, Religionsfreiheit, Einhaltung der Menschenrechte, ein atomwaffenfreies Land.

Wichtigste Kraft innerhalb des Rats sind die sogenannten Volksmudschahedin, eine 1965 gegründete, einst militante Bewegung, die sich zunächst für den Sturz des iranischen Schahs einsetzte, dann gegen das an seine Stelle getretene Mullahregime richtete. Auch Javad Dabiran gehört ihr an. Er geht zum Bücherschrank, zieht einen dicken rot gebundenen Band heraus, schlägt eine Seite auf und liest vor: „Khalil Ansari, Mahmoud Ansari, Majid Ansari, Maryam Ansari, Marzieh Ansari, Massoud Ansari ...“ Es sind, alphabetisch geordnet, die Namen von Volksmudschahedin, die das Regime hingerichtet hat. Insgesamt 120 000.

Nach Druck aus Teheran hat die EU die Mudschahedin 2002 auf die Terrorliste gesetzt – laut „Spiegel“ eine Gefälligkeit gegenüber dem Regime in der Hoffnung, es von seinem Atomprogramm abzubringen. Zahlreiche Rechtsprofessoren und NGOs kritisierten die Listung heftig.

Die Mudschahedin klagten dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof. Dieser stellte fest, der Beschluss sei unbegründet, und annullierte ihn.

Um dem Narrativ des iranischen Regimes künftig etwas entgegenzusetzen, engagieren sich mittlerweile Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien für den Widerstandsrat. Auch die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth setzt sich ein: Exiliraner des NWRI hätten „über Jahrzehnte im friedlichen Widerstand ihre humanen Ziele verfolgt“. Und sie gaben dem Westen immer wieder Hinweise darauf, wo der Iran Uran anreichert.

Als Javad Dabiran und seine Mitstreiter am Montagnachmittag vor dem Auswärtigen Amt protestieren, berichten sie auch von den Demonstrationen des Wochenendes. Zum Beispiel, welche Slogans skandiert wurden: „Nieder mit Chamenei“, „Nieder mit den Lügnern“ oder „Chamenei ist ein Mörder, und seine Herrschaft ist abgelaufen“.

Besonders freut Dabiran, dass die Plakate, die das Regime in Gedenken an Qassem Soleimani überall in der Stadt aufhängen ließ, jetzt massenweise heruntergerissen werden. Javad Dabiran sagt: „Was für mutige Menschen!“

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