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Mullahs, Märtyrer, messianische Endzeiterwartungen: Das Regime in Teheran gilt vielen als unberechenbar. Die bange Frage ist: Ließe sich ein atomar bewaffneter Iran abschrecken?
© AFP

Im Konflikt mit US-Präsident Trump: Der Iran handelt rationaler als viele denken

Oft heißt es, ein atomar bewaffneter Iran ließe sich nicht abschrecken, weil das Regime irrational sei. Die jüngste Krise stellt das in Frage. Eine Analyse.

Die Reihenfolge seiner pointiert gesprochenen Sätze war mit Bedacht gewählt worden. Noch bevor Donald Trump am Mittwoch ab 11.27 Uhr Ortszeit den Amerikanern und dem Rest der Welt seine Sicht auf die Lage im Konflikt mit dem Iran erläuterte, ja bevor er seine Zuhörer begrüßte, sagte er: Als Präsident der Vereinigten Staaten werde er niemals zulassen, dass der Iran über Atomwaffen verfüge. Basta. Das sollte zweifelsfrei feststehen.

Der Iran fährt sein Atomprogramm wieder hoch

Das internationale Atomabkommen, das das iranische Nuklearprogramm weitestgehend eingefroren hatte, war von Trump aufgekündigt worden. Er will es neu verhandeln, die Entwicklung von Raketen einbeziehen und die aggressive Expansion des iranischen Einflusses in der Region einschränken.

Doch bislang gibt es keine Abzeichen dafür, dass das Regime in Teheran darauf eingeht. Stattdessen hat es begonnen, sein Atomprogramm wieder hochzufahren.

Gut möglich, dass demnächst die klassische Dilemma-Frage erneut lautet: Sollen die USA den Iran bombardieren oder eine iranische Atombombe akzeptieren? Es wäre wünschenswert, dieser Alternative entgehen zu können. Bloß wie?

Die Wirtschaftssanktionen haben das Land geschwächt, der Unmut in der Bevölkerung wächst, aber auf einen baldigen Kollaps des Regimes zu hoffen, wäre utopisch. Die Macht des Militärs und dessen umfangreiche Repressalien machen eine Entwicklung wie in Tunesien, Libyen und Ägypten zur Zeit des Arabischen Frühlings unwahrscheinlich.

Ebenso unwahrscheinlich ist eine Invasion von außen, gefolgt von einer militärischen Entmachtung des Regimes mit anschließendem Aufbau neuer politischer Strukturen. Das haben die USA und mehrere westliche Länder in Afghanistan und im Irak zu praktizieren versucht. Die Bilanz indes ist nicht gerade ermutigend.

Gezielte Präventivschläge gegen iranische Atomanlagen?

Außerdem ist das Gros der Amerikaner kriegsmüde. Trump hatte ihnen versprochen, die Serie der schier endlosen Kriege in der Region zu beenden. Dieses Versprechen wird er in diesem Wahljahr sicher nicht brechen.

Bleiben gezielte Präventivschläge gegen iranische Atomanlagen oder aber Cyberangriffe wie im Jahr 2010 mit dem Stuxnet-Virus. Doch ob solche Attacken langfristig erfolgreich sind, ist unter Experten umstritten. Die meisten gehen davon aus, dass sich Irans Nuklearprogramm durch westliche Raketen, Marschflugkörper und Drohnen aufgrund der verbesserten iranischen Flugabwehr und der unterirdischen Verlegung vieler Atomanlagen um höchstens drei bis fünf Jahre verzögern lässt. Die Zeit ist auf Seiten der Mullahs.

Im Kalten Krieg hatten die Akteure auch Glück

Und die Abschreckung? Im Kalten Krieg hat sie zwischen Nato und Warschauer Pakt ziemlich gut funktioniert. Allerdings brauchten die Akteure auch etwas Glück. In der Kubakrise 1962 hätte ein sowjetischer U-Boot-Kommandant um ein Haar atomar bestückte Torpedos eingesetzt. Gut 20 Jahre später, 1983, wurden Sonnenstrahlen von einem sowjetischen Satelliten fälschlicherweise als amerikanische Interkontinentalraketen interpretiert. Der Besonnenheit eines sowjetischen Offiziers ist es zu verdanken, dass kein „Gegenangriff“ erfolgte.

Wie rational ist das Mullah-Regime?

Lässt sich ein atomar bewaffneter Iran abschrecken? Auch darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Madman-Theorie zufolge handelt das Mullah-Regime nicht rational. Märtyrer würden glorifiziert, Kinder an der Front geopfert und zur Minenräumung eingesetzt. Die messianische Endzeitvision, gekoppelt an ein Schia-Erlösertum, entziehe sich jeder Berechenbarkeit.

Dem widersprechen diverse Sicherheitsexperten wie etwa der 2013 verstorbene amerikanische Neo-Realist Kenneth Waltz oder der israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld. Sie sind überzeugt davon, dass das Gleichgewicht des Schreckens auch gegenüber dem Iran funktioniert, weil die Ajatollahs durchaus rationale Akteure seien, die – wie alle anderen Regierungen der Welt – in erster Linie am Überleben interessiert seien. „Früher oder später“, sagt van Crefeld, „werden die Iraner über Nuklearwaffen verfügen. Und das wird dann auch nicht schlimmer sein als die Waffen, die im Besitz Nordkoreas, Pakistans oder Indiens sind.“

Teheran verhält sich in der Krise bisher sehr vorsichtig

Wie rational ist das Mullah-Regime? Das Verhalten Teherans in der Krise mit den USA ist bislang von einem hohen Maß an Vorsicht gekennzeichnet. Ob beim Abschuss einer US-Drohne, der Aufbringung von Tankern in der Straße von Hormuz, der Bombardierung saudi-arabischer Ölraffinerien oder dem jüngsten Vergeltungsschlag für die gezielte Tötung von General Soleimani: Stets achtet Teheran penibel darauf, keine Toten zu verursachen und die Lage nicht unkontrolliert eskalieren zu lassen. Die zum Teil scharfe Rhetorik der Führungsspitze kontrastiert mit dessen ausgeprägtem  Kalkül, den USA keinen triftigen Grund für weitere Maßnahmen zu geben.

Es geht auch um die Zweitschlagsfähigkeit Israels

Könnte Abschreckung also funktionieren? Zumindest stützt das Verhalten Teherans in den vergangenen Wochen und Monaten die Überzeugung jener Kräfte in der internationalen Sicherheitspolitik, die im Gleichgewicht des Schreckens eine mögliche Option sehen. Voraussetzung dafür ist natürlich die atomare Erst- und Zweitschlagsfähigkeit Israels sowie eine funktionierende Raketenabwehr.

Dennoch sollte alles getan werden, um den Iran vom Bau einer Atomwaffe abzuhalten. Abschreckung bleibt ein fragiles Konzept, es gibt nicht einmal ein Krisentelefon zwischen Washington und Teheran wie einst zwischen Washington und Moskau. Wahrscheinlich würde die iranische Bombe ein atomares Wettrüsten mit Saudi-Arabien, der Türkei und Ägypten in Gang setzen. Sie erhöht außerdem die Gefahr der Proliferation atomarer Waffen an nichtstaatliche Akteure wie etwa Terrororganisationen.

Das heißt: Nur wenn Diplomatie und Militär versagen, muss erneut über das Konzept der Abschreckung diskutiert werden. Das Verhalten Teherans in der jüngsten Krise setzt die Madman-Theoretiker unter Erklärungsdruck. Für eine vollkommen irrationale Politik des iranischen Regimes finden sich bislang keine Belege.

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