Ermordung von Kernphysiker: Es war ein Anschlag auf Irans Atomprogramm – und auf Bidens Diplomatie
Iran macht Israel für den Mord an einem Atomforscher verantwortlich und kündigt Vergeltung an. Eskalieren jetzt die Spannungen im Nahen Osten?
Er war der Chefarchitekt des iranischen Atomprogramms, das Mastermind hinter den nuklearen Ambitionen der Islamischen Republik. Doch der Mordanschlag auf den Kernphysiker Mohsen Fakhrizadeh richtet sich nicht nur gegen Teherans atomare Aufrüstung.
Mit den tödlichen Schüssen auf Fakhrizadeh soll nach Einschätzung von Experten auch die künftige amerikanische Regierung des designierten Präsidenten Joe Biden getroffen werden. Der setzt nach Donald Trumps Politik des “maximalen Drucks” auf eine Wiederannäherung an den Iran, will unter bestimmten Voraussetzungen den Ausstieg aus dem Atomabkommen rückgängig machen.
Gerade Israel, Erzfeind der Mullahs, hält das für falsch. Der jüdische Staat setzt auf eine harte Linie. Deshalb wird die Regierung in Jerusalem verdächtigt, hinter dem Attentat zu stecken.
Die Angreifer wollten einen iranischen Gegenschlag provozieren, der dann als Vorwand für einen Krieg gegen den schiitischen Gottesstaat benutzt werden könnte, schreibt Nahost-Experte Stephen Kinzer, Autor mehrerer Bücher über die amerikanisch-iranischen Beziehungen, auf Twitter.
Die Drahtzieher wollten eine diplomatische Lösung des Atomstreits mit Teheran verhindern, sagt auch Ex-Diplomat Mark Fitzpatrick, der früher im US-Außenministerium für den Kampf gegen die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen zuständig war.
Israel wird verdächtigt, hinter dem Anschlag zu stecken
Der Iran beschuldigt Israel, den Anschlag angezettelt zu haben. Der jüdische Staat wird international verdächtigt, bereits mehrfach Attentate auf Atomexperten verübt zu haben. Auch Cyberangriffe auf Irans Infrastruktur soll es immer wieder gegeben haben. Dass der israelische Geheimdienst Mossad zu spektakulären Aktionen im Feindesland fähig ist, hat er einige Male bewiesen.
Vor zwei Jahren stahlen Agenten das iranische Atomarchiv aus einem Teheraner Lagerhaus; in diesem Sommer sollen Mitglieder des Mossad im Auftrag der USA in der iranischen Hauptstadt den Vizechef des Terrornetzwerkes Al Qaida, Abu Mohhamed al Masri, erschossen haben.
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Ebenfalls im Sommer explodierten große Teile der iranischen Atomanlage in Natanz. Dort wurden Zentrifugen gebaut und Uran angereichert. Teheran geht von einem Sabotageakt aus. Beobachter vermuten, dass hinter dieser Attacke ebenfalls Israel steckt.
Jerusalem und Washington schweigen zu den Vorwürfen. Doch die „New York Times“ meldet unter Berufung auf US-Geheimdienstkreise, der jüdische Staat sei für die Ermordung Fakhrizadehs verantwortlich. Irans Präsident Hassan Ruhani sagte am Samstag, Israel wolle „Chaos“ stiften. Das werde nicht gelingen.
Sein Land werde nicht in die Falle tappen, sondern Fakhrizadehs Tod „zu gegebener Zeit“ vergelten. Der Generalstabschef der iranischen Streitkräfte, Mohammad Bagheri, drohte sogar mit “fürchterlicher Rache”. Anfang des Jahres hatten die USA den hochrangigen General Qassem Soleimani getötet.
Damals griffen pro-iranische Milizen im Irak als Vergeltung amerikanische Stützpunkte im Irak an. Die Revolutionsgarde droht zudem regelmäßig mit Raketenbeschuss auf amerikanische Militärstützpunkte am Persischen Golf.
Arbeitet Iran an einer Atombombe?
Israel, die scheidende Regierung von Präsident Donald Trump und andere Gegner des Iran wie Saudi-Arabien halten es für möglich, dass die Islamische Republik nach wie vor an einer Bombe arbeitet. Seitdem sich die USA unter Trump vor zwei Jahren aus dem Atomabkommen zurückzogen, verletzt Teheran gezielt bestimmte Vorgaben des Vertrages und hat mehr schwach angereichertes Uran angehäuft als die Vereinbarung erlaubt.
Israelische Medien meldeten in den Tagen vor dem Anschlag auf Fakhrizadeh, die Führung in Jerusalem und die Trump-Regierung planten noch vor Bidens Amtsantritt am 20. Januar neue Gewaltaktionen gegen den Iran, um dessen nuklearer Aufrüstung Schaden zuzufügen.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte übereinstimmenden Berichten zufolge am vergangenen Sonntag den saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman besucht und mit ihm über den Kampf gegen die Mullahs gesprochen. Das Geheimtreffen war nicht zuletzt eine Warnung an Joe Biden: Die wichtigsten Partner der USA im Nahen Osten schließen sich gegen seine geplante Iran-Politik zusammen.
Vor allem Netanjahu ist nicht gewillt, einen moderateren Kurs gegenüber Teheran mitzutragen. Der Premier sieht es seit Jahren als seine Mission an, den Iran in die Schranken zu weisen. Wie viele andere Israelis nimmt er die ständigen Drohungen der Mullahs, man werde das „zionistische Gebilde“ von der Landkarte tilgen, sehr ernst.
Deshalb setzt Netanjahu alles daran, den Iran vom Bau einer Atombombe abzuhalten – mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Die gezielte Tötung eines führenden Nuklearforschers könnte Teil dieser Strategie der Abschreckung sein. Auch unter einem US-Präsidenten namens Biden dürfte sich daran wenig ändern.
Israel tut in der Regel das, was es für nötig halt, um seine nationale Sicherheit zu gewährleisten. Zumal Trumps Anti-Iran-Koalition befürchtet, dass eine Wende in der amerikanischen Politik unter Biden die Islamische Republik stärken und sich selbst damit schwächen würde.
Nun setzt sie alles daran, den „maximalen Druck“ über den Regierungswechsel in Washington hinaus zu retten. Trump hilft ihnen dabei, indem er neue Sanktionen gegen Teheran erlässt. Beobachter schließen nicht aus, dass die scheidende Regierung noch weiter gehen könnte.
Wie scharf Teheran auf derartige Provokationen reagieren wird, ist unklar. Zum einen können die Mullahs sie nicht einfach hinnehmen. Sie müssen Stärke gegenüber den Feinden demonstrieren. Kleinere Rache-Aktionen sind deshalb nicht ausgeschlossen. Aber an einer kriegerischen Konfrontation hat der Iran kein Interesse. Denn klar ist: Käme es zu einer großen Auseinandersetzung, wird es Biden sehr viel schwerer fallen, auf Teheran zuzugehen. Das wissen die kühl kalkulierenden Mullahs sehr genau.
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