Neue Verhandlungen über Atomdeal mit Iran: Wie Stabilisierung ohne Vertrauen in Teheran gelingen kann
Durch den Ausstieg der USA aus dem Abkommen ist die Zeit knapper geworden. Vier Prinzipien, die der Westen unbedingt einhalten muss. Ein Gastbeitrag.
Ariel E. Levite ist Senior Fellow für Nuklear-Politik und Cyber-Angelegenheiten am außenpolitischen Think Tank Carnegie Endowment für Internationalen Frieden. Shimon Stein war Israels Botschafter in der Bundesrepublik (2001-2007) und ist zur Zeit Senior Fellow am Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) an der Tel Aviv Universität
Der Deal galt als ein Meilenstein der US-Außenpolitik von Barack Obama und war auch für Europäische Union ein großer diplomatischer Erfolg: das Atomabkommen mit dem Iran, auch bekannt unter seiner Englischen Abkürzung JCPOA. Abgeschlossen wurde es 2015.
Sein Prinzip: Im Gegenzug gegen den Erlass von Wirtschaftssanktionen verpflichtete sich der Iran, sein Atomprogramm herunterzufahren und vor allem atomwaffenfähiges Uran nicht mehr in größeren Mengen zu lagern oder herzustellen. Er verpflichtete sich außerdem, regelmäßig Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde ins Land zu lassen, um die Einhaltung zu kontrollieren.
2018 stieg Donald Trump aus dem Atomabkommen aus, in der Folge hielt sich auch der Iran nicht mehr an den Deal.
Die EU muss Einfluss auf den neuen Atom-Deal nehmen
Jetzt, da Joe Biden Präsident der USA ist, nehmen die diplomatischen Bemühungen, den Atomdeal mit dem Iran wiederzubeleben, Fahrt auf. Für die Europäische Union ist das eine neue Chance, bei der Gestaltung eine wichtige Rolle zu spielen. Es ist im vitalen politischen und strategischen Interesse der EU, nicht nur diplomatische Unterstützung zu zeigen, sondern auch Einfluss auf den Inhalt des erneuerten Atomdeals zu nehmen.
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Um die Rückkehr zu diesem Abkommen strategisch dauerhaft wie auch glaubhaft zu ermöglichen, müssen einige Grundprinzipien eingehalten werden: Erstens muss der Deal alle drei Grundpfeiler des ursprünglichen JCPOA beachten: Dazu gehören die Kernbestimmungen des Abkommens selbst. Der UN Sicherheitsrat hat 2015 in seiner Resolution 2231 ein Verbot sogenannter „dual-use weapons delivery“ Systeme ausgesprochen, also ein Verbot von Waffensystemen, die sowohl nuklear als auch konventionell genutzt werden können. Daran muss sich der Iran halten.
Zentral ist auch, dass die Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde IEA uneingeschränkten Zugang zu nuklearen Einrichtungen im Iran erhalten. Diese Inspekteure müssen mit allen notwendigen Kompetenzen ausgestattet werden, um die Verpflichtungen des Nichtweiterverbreitungsvertrages über Atomwaffentechnologien (NPT) überprüfen zu können, ohne dass eine vorherige Spurenbeseitigung in den betreffenden Anlagen möglich ist, wie es in der Vergangenheit leider mehrfach geschah.
Zweitens, muss dafür gesorgt werden, dass der Iran seine provokanten Vertragsverletzungen rückgängig macht – etwa die dauernde Steigerung der Uran-Anreicherung. Das Land muss auch die Schlüsselbestimmungen des Atomdeals umsetzen, auch solche, die der Iran schon vor dem Ausstieg der USA aus dem Vertrag im Jahr 2018 ignoriert hatte.
Am wichtigsten sind dabei jene Bestimmungen, die garantieren sollten, dass der Iran sich nicht auf dem Pfad der Aufrüstung befindet. So sind beispielsweise zwei Nuklearanlagen im Iran nicht wie vereinbart zur ausschließlich zivilen Nutzung umgewandelt worden. Die Einhaltung dieser Bestimmungen bilden zusammen mit den umfassenden Kontrollrechten für die IAEA die Voraussetzung ,um die friedliche Absicht der Nutzung nuklearer Technologien im Iran zu bestätigen.
Aufhebung der Sanktionen bei kleinstem Verstoß stoppen
Drittens muss die Lockerung und eventuell sogar die vollständige Aufhebung der gegen den Iran verhängten Sanktionen an die bedingungslose Einhaltung aller Grundbestimmungen des wiederbelebten Deals geknüpft werden. Die Europäische Union sollte unmissverständlich klar machen, dass sie im Fall des Abweichens oder gar der direkten Verletzung dieser Bestimmungen sofort für den sogenannten „Snap-back-Mechanismus“, also die Wiedereinführung der Sanktionen gegen den Iran eintreten wird.
Viertens: Kurz nach dem erneuten Inkrafttreten des Atomabkommens sollte die EU die Führungsrolle in Verhandlungen übernehmen, um mit dem Iran in einer zweiten Phase eine "Longer and stronger"-Vereinbarung voranzubringen, eine Vereinbarung, die längerfristig über den Atomdeal hinausgeht. Bei diesen Verhandlungen muss es um diejenigen kritischen Themen gehen, die vom Atom-Deal nicht erfasst wurden: das iranische ballistische Raketenprogramm, die Destabilisierung von Nachbarländern und die Unterstützung militärischer Einheiten in den Nachbarstaaten des Iran am Persischen Golf.
Hier drängt die Zeit, da das im Atomabkommen enthaltene Waffen-Moratorium bereits im Oktober abgelaufen ist. Weitere Verpflichtungen des Iran werden in den kommenden Jahren auslaufen. Die Strategie des Iran ist es, Verhandlungen absichtlich zu verlangsamen. Das wird die Verwirklichung eines Follow-Up-Vertrags erschweren.
Die Zeit wird knapper durch die amerikanische Aufkündigung des Deals
Abschließend kann man sagen: Seit dem Ausscheiden der USA aus dem Atomabkommen hat der Iran Fortschritte in einigen Nukleartechniken wie der Nutzung von hochentwickelten Zentrifugen zur Anreicherung waffenfähigen Urans erreicht, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Diese Technologien verkürzen die sogenannte „Breakout Time“, also den Zeitraum, den das Land braucht, um spaltbares Material für die Herstellung von Nuklearwaffen zu produzieren. Damit hat sich der vom ursprünglichen Abkommen angestrebte Zeitraum erheblich verkürzt, den der Iran benötigen würde, um zum Atomwaffenstaat zu werden.
Gleichzeitig bedroht Irans Politik die Stabilität der gesamten Region. Deshalb müssen die USA und die EU parallel zu den diplomatischen Verhandlungen gemeinsam deutlich machen, dass sie entschlossen reagieren würden, sollte sich das Land für die Entwicklung für Atomwaffen entscheiden oder die mit ihm verbündeten Milizen in den Nachbarländern des Persischen Golfs mit Präzisionsraketen und anderen hochwertigen Waffensysteme ausstatten oder solche Waffensysteme in Nachbarländern stationieren.
Wir hegen keine Illusionen bezüglich des Wesens des gegenwärtigen Regimes im Iran, seiner nuklearen Ambitionen und regionalen Interventionen. Wir verschließen unsere Augen nicht vor dem iranischen Bestreben, Israel zu vernichten. Und doch geben wir die Hoffnung auf einen nüchternen, illusionsfreien Versuch einer multilateralen Stabilisierung nicht auf. Für einen erfolgreichen Ausgang eines solchen Versuchs ist ein glaubhafter europäischer diplomatischer Beitrag unerlässlich. Dabei muss die Anwendung von Gewalt jedoch als allerletzte Option möglich bleiben.