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Tanzen gegen die Angst. Ehemalige Kindersoldaten tun sich schwer, einen Rückweg in die Gesellschaft zu finden. Tanzen und Trommeln sind ein Anfang.
© Rey T. Byhre

Demokratische Republik Kongo: Ins Leben zurück tanzen

Im Ost-Kongo versuchen ehemalige Kindersoldaten in einem Theaterprojekt in Goma ihre Kriegserfahrungen abzuschütteln. Seit 20 Jahren ist in den Ostprovinzen kein Frieden. Es sind kleine Schritte aus der Krise.

Für Wolfer ist das Trommeln eine „Befreiung“. Der 22-Jährige, der sich diesen Spitznamen selbst gegeben hat, erzählt: „Ihr fesselnder Klang übertönt die Schüsse, die in meinem Kopf hallen.“ Während er spricht, klopft er mit seinen Fingern einen Rhythmus auf seinen Oberschenkel. Wolfer stammt aus Kalehe im Osten der Demokratischen Republik Kongo, einer Region, in der seit 20 Jahren Bürgerkrieg herrscht. Eine Vielzahl bewaffneter Gruppen kämpfte oder kämpft bis heute um Zugang zu reichen Bodenschätzen und drangsaliert die Bevölkerung.

Als er als Achtjähriger auf der Flucht vor Gefechten seine Familie verliert, gerät Wolfer in die Fänge einer Mai-Mai-Miliz. Seitdem darf er kein Kind mehr sein, die Milizen machen ihn zum Soldaten. Zehn Jahre muss er für sie kämpfen. Die Mai- Mai waren zunächst Bürgerwehren, die sich gegen von Ruanda oder Uganda unterstützte Milizen wehren wollten, doch schon bald unterschieden sie sich kaum noch von anderen bewaffneten Gruppen. Schätzungsweise 50 000 Kinder haben im Verlauf der Konflikte als Kindersoldaten gekämpft. Rund 1300 kämpften 2013 noch in bewaffneten Gruppen.

Kindersoldaten sind geächtete Opfer

Wenn sie einmal Teil einer Miliz sind, finden die Kinder nur schwer wieder Anschluss an die Gesellschaft. Häufig verstößt man sie, da sie nun als Peiniger, Mörder und Vergewaltiger angesehen werden. Die Rebellen nutzen das auf grausame Weise aus und zwingen frisch rekrutierte Kinder häufig dazu, Mitglieder der eigenen Familie zu töten, wohlwissend dass sie dorthin nicht mehr zurückkehren können. Kindern, denen es gelingt, den Milizen zu entfliehen, sind meist sich selbst überlassen. Oft schließen sie sich kriminellen Gruppen an, um durch Plündern ihr Einkommen zu sichern.

So war es auch bei Wolfer: Nachdem er sich auf spektakuläre Weise von den Mai-Mai befreien kann, indem er sich heimlich selbst in Bein und Arm schießt und man ihn als Verwundeten zurücklässt, stößt er zu Hause auf Ablehnung. Einsam und hoffnungslos, versucht er in Goma, der Hauptstadt der Provinz Nordkivu, einen Neuanfang. Dort meint es das Schicksal gut mit ihm: Er trifft im Sangor-Rehabilitationszentrum auf Yves Ghael. Er lernt Trommeln, macht seinen Schulabschluss nach und kann langsam ein neues Leben beginnen.

Wiedereingliederung über die Kunst

Es gibt einige staatliche und nichtstaatliche Organisationen, die sich um eine Reintegration ehemaliger Kindersoldaten bemühen. Während sich die Programme klassischerweise auf Bildung und Beschäftigungsförderung konzentrieren, verfolgt das Sangor-Zentrum einen anderen Ansatz: Jugendliche, die als Kindersoldaten oder durch Überfälle und Vergewaltigungen den militärischen Gruppen zum Opfer gefallen sind, sollen durch musische Künste ihre Vergangenheit aufarbeiten und einen friedlichen Umgang miteinander lernen. Sie erarbeiten Theater-, Tanz- und Trommelstücke und führen sie in und um Goma auf.

Leiter des Zentrums ist Yves Ghael. Der 26-jährige kann die Ängste der Jugendlichen gut nachvollziehen. Er wurde selbst als kleiner Junge von Milizen auf dem Schulweg verschleppt und musste für sie als Kindersoldat kämpfen. Nachdem er sich befreien konnte, entdeckte er seine Liebe zu Musik und Theater und wurde Schauspieler. Überzeugt von der heilenden Kraft der Kunst entschließt er sich, die Leitung des 2004 gegründeten Sangor-Zentrums zu übernehmen.

"Ich konnte keinem Menschen in die Augen sehen"

In der Tat scheint es, als könnten die Jugendlichen im Sangor-Zentrum ihre düsteren Geschichten für einen Moment vergessen. Während der Übungsstunden erfüllt der Rhythmus der Trommeln die Luft, die Körper scheinen sich von selbst in ihrem Takt zu bewegen. Man merkt den Tänzern ihre Begeisterung an: Sie strahlen, während sie die Schrittfolgen immer und immer wieder üben.

Wolfer zweifelt kein bisschen daran, dass er allein durch Musik und Tanzen wieder etwas Boden unter den Füßen bekam. Nach seiner Rückkehr von den Mai-Mai litt er unter posttraumatischen Belastungsstörungen und zog sich völlig zurück: „Ich konnte keinem Menschen in die Augen schauen. Ich dachte, sie seien die Geister derer, die ich töten musste; ich dachte, sie wären gekommen, sich an mir zu rächen.“ Durch das Programm im Sangor-Zentrum habe er wieder gelernt, mit seinen Mitmenschen zu kommunizieren. „Durch Musik kann ich das Leid ausdrücken, das ich in mir trage.“

Die 20-jährige Ange genießt das Gemeinschaftsgefühl, das sie beim Tanzen spürt. „Wir werden eins, wenn wir tanzen; alle Probleme und Streitereien sind wie weggeblasen“, erzählt sie nach der Probe lächelnd. Auch sie war Teil einer Rebellengruppe. Als Mädchen hielt man sie als Haussklavin; sie musste Kleider waschen, kochen und Lasten tragen. Und sie war sexueller Gewalt ausgeliefert: Als einer der Soldaten sie zwingen wollte, seine Frau zu werden, lief sie weg. „Sie dachten, sie können alles mit uns machen. So ein Leben wollte ich nicht."

Der 22-jährige Wolfer sagt, die Trommeln übertönen die Schüsse in seinem Kopf.
Der 22-jährige Wolfer sagt, die Trommeln übertönen die Schüsse in seinem Kopf.
© Rey T. Byhre

Alfred Bulakali, Leiter des Kinshasa- Büros der Nicht-Regierungsorganisation „Search for Common Ground“ ist davon überzeugt, dass Musik und Theater einen zentralen Beitrag zur Konfliktlösung leisten. „Sie geben den Jugendlichen einen neuen Lebenssinn“, sagt er. Seine Organisation war eine der ersten, die Reintegration durch Musik und Kunst förderten. Doch weil die Wirkung im Gegensatz zu Bildungs- oder Arbeitsprogrammen nicht direkt messbar ist, sei es besonders schwierig, Unterstützung dafür zu gewinnen. Darunter hat auch Ghael zu leiden, der das Sangor-Zentrum größtenteils aus seinen Ersparnissen finanziert. Wolfer sagt: „Ich wollte wieder ein Mensch werden.“ Dabei hat ihm das Sangor-Zentrum geholfen.

Sophia Sabrow

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