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Mukena, 34, ist eins von vielen Vergewaltigungsopfern im Kongo. 2004 wurde sie von mehreren Männern missbraucht.
© dpa

Vergewaltigung als Kriegswaffe im Kongo: Den Haager Gerichtshof ermittelt gegen ehemaligen Mitarbeiter

Bei Auseinandersetzungen im Kongo ist Vergewaltigung systematisch als Kriegswaffe eingesetzt worden. Der Internationale Strafgerichtshof hat Ermittlungen dazu aufgenommen. Nun wird einem ehemaligen Mitarbeiter dieses sensiblen Verfahrens sexueller Missbrauch vorgeworfen.

Etwas schlimmeres hätte dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag kaum passieren können. Am Freitagabend gab die Chefanklägerin des IStGH, Fatou Bensouda, in einer dürren Mitteillung bekannt, dass ihr Haus Ermittlungen gegen einen ehemaligen Mitarbeiter aufgenommen habe, dem vier Zeugen in der Demokratischen Republik Kongo sexuellen Missbrauch vorwerfen. Ob es sich bei dem Angeschuldigten um einen Mann oder ein Frau handelt, hat der IstGH ebenso wenig bekannt gemacht, wie die Nationalität der Person. Die vier Zeugen sollen eigentlich vom IstGH geschützt werden. Der ehemalige Mitarbeiter hat im Osten Kongos Ermittlungen in einem der insgesamt sieben Fälle geführt, die zum Komplex Kongo gehören.

In der Mitteilung des IStGH heißt es, es sei ein „formelles internes Ermittlungsverfahren“ eröffnet worden. Die Vorwürfen würden „sehr ernst genommen“ und mit „großer Gründlichkeit und Vorsicht“ untersucht. Der Fall ist deshalb so bitter, weil der betreffende Ex-Mitarbeiter es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Zeugen zu tun hatte, die in der nicht abreißenden Kette langer Konflikte Opfer sexueller Gewalt geworden sein könnten.

Die Ermittlungen des IStGH im Ostkongo haben im Jahr 2004 begonnen. Nach dem Sturz des Diktators Sese Seko Mobutu im Jahr 1997 durch Laurent Kabila begann eine lange Phase immer neuer Konflikte. Zeitenweise waren ein halbes Dutzend afrikanischer Nationen in die Kämpfe verwickelt. Insbesondere haben die Nachbarländer Ruanda und Uganda mehrfach Truppen in den Ostkongo geschickt. Ruanda vorgeblich, um ehemalige Hutu-Kämpfer festzunehmen, denen eine Beteiligung am Völkermord in Ruanda 1994 vorgeworfen wurde. Der Verdacht, dass es auch um die reichhaltigen Bodenschätze im Ostkongo ging und geht, ist allerdings angesichts der Verarbeitungs- und Exportzahlen beispielsweise von Koltan, das unter anderem für Mobiltelefone gebraucht wird, nie ganz widerlegt worden.

Der IStGh ermittelt auch gegen zwei Kommandeure der Hutu-Miliz FDLR, das allerdings erst seit 2010 und 2012. Doch auch die zuvor angeklagten Milizenführer Thomas Lubanga, der inzwischen zu einer Haftstrafe von 14 Jahren verurteilt worden ist, sowie Germain Katanga und Matthieu Ngudjolo Chui, waren in vergleichbare Konflikte wie im Nachbarland verwickelt – jeweils auf der anderen Seite. Dasselbe gilt für Bosco Ntaganda, der sich vor kurzem in der amerikanischen Botschaft in Ruandas Hauptstadt Kigali gestellt hat. Ntaganda soll nicht nur in der Provinz Ituri Kindersoldaten rekrutiert, Mädchen vergewaltigt und versklavt und andere Kriegsverbrechen begangen haben, das selbe wird ihm auch in der Provinz Nord-Kivu vorgeworfen. Inzwischen ist Ntaganda nach Den Haag überstellt worden und das erste Mal vor dem Gerichtshof erschienen.

In all diesen Auseinandersetzungen ist Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt worden. Frauen der jeweils konkurrierenden Ethnie wurden oft so brutal vergewaltigt, dass die Opfer körperlich und psychisch dauerhafte Schäden davon getragen haben. Mädchen wurden als Kindersoldatinnen rekrutiert und zu Sex-Sklavinnen gemacht. Aber auch Männer der jeweils anderen Ethnie sind mehr oder minder öffentlich massenhaft vergewaltigt worden. Der Missbrauchsvorwurf gegen einen Ex-Ermittler des Strafgerichtshofs beschädigt die Reputation des Den Haager Gerichts deshalb ganz besonders.

Im vergangenen August hat Fatou Bensouda die Frauenaktivistin Bridgid Inder als Sonderberaterin für geschlechtsbezogene Verbrechen berufen. Bensouda und Inder müssen nun beweisen, dass sie den Vorwürfen ernsthaft nachgehen und sie nicht im Sande verlaufen lassen, wie das vor sieben Jahren nach einem Missbrauchsskandal in der Blauhelmtruppe im Kongo passiert war. 2005 war dem damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ein Bericht über weit verbreitete Missbrauchsfälle in der Friedenstruppe Monuc vorgelegt worden. Zuvor hatten internationale Medien beispielsweise über einen französischen Mitarbeiter der Blauhelme in Bunia berichtet, der ein Video über die Folterung eines 14-jährigen Mädchens gedreht hatte. Andere Soldaten haben nach Zeugenaussagen Sex mit minderjährigen Mädchen zwischen 11 und 18 Jahren gehabt, und ihnen im Gegenzug etwas zu Essen oder einen Dollar gegeben. Die Ermittlungen der internen UN-Aufsichtsbehörde führten letztlich zu nichts. Zwar enthielt der Bericht Hinweise auf gut zwei Dutzend Fälle von sexuellem Missbrauch oder sexueller Ausbeutung von Mädchen im Ostkongo. Doch es kam nicht einmal in einem Fall zu einem Verfahren gegen einen UN-Soldaten, weil die meisten noch vor dem Ende der Ermittlungen in ihre Heimatländer zurückbeordert worden waren.

Welcher Nationalität die beschuldigten Soldaten waren, wurde nie bekannt gegeben. Ermittlungen in den Heimatländern haben aber offenbar nicht stattgefunden. Die Konsequenz aus dem Bericht war lediglich eine Lehreinheit in der Ausbildung für UN-Soldaten über sexuellen Missbrauch. Seither sind keine weiteren Fälle bekannt geworden. Allerdings hat sich an der Praxis, dass sich die betroffenen Mädchen oder Frauen nur bei den Friedenstruppen selbst beschweren können, bis heute nicht verändert. Und angesichts der Erfahrungen mit dem Missbrauchsskandal der Jahre 2004 und 2005 haben die Betroffenen wohl auch zurecht die Erwartung, dass ihre Beschwerden ohnehin auf taube Ohren stoßen. Dazu kommt, dass trotz der epidemischen Vergewaltigungswelle im Ostkongo die sexuelle Gewalt ein Tabu geblieben ist, das die betroffenen Opfer komplett aus der Gesellschaft ausschließt. Ein „Ein-Dollar-Mädchen“, das 2004 berichtet hatte, sie habe Sex mit Blauhelmen für einen Dollar, sagte der „Washington Post“ damals, ihre Ehre sei ihr genommen worden, als Milizionäre sie im Busch vergewaltigt hatten. Niemand werde sie mehr heiraten wollen. Das Mädchen hatte also aus seiner eigenen Sicht ohnehin nichts mehr zu verlieren.

Dagmar Dehmer

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