Biden und Putin retten die atomare Abrüstung: Die Welt wird ein bisschen weniger unsicher
Wie Biden das gemeinsame Interesse an weniger Atomwaffen mit harter Kritik an Putin wegen der Vergiftung Nawalnys und Hackerangriffen verbindet. Ein Kommentar.
Das Ziel der nuklearen Rüstungskontrolle bleibt am Leben. Der letzte gültige Vertrag zur Begrenzung des Atomwaffenarsenals, „New Start“, verschwindet nicht ersatzlos aus der Weltpolitik. Der neue US-Präsident Joe Biden und der russische Präsident Wladimir Putin haben am Dienstag miteinander telefoniert und sich kurz vor Auslaufen des Abkommens am 5. Februar auf eine Verlängerung um fünf Jahre verständigt. Das macht die Welt ein bisschen weniger unsicher im Vergleich zu einer Welt ohne Rüstungsbegrenzung.
In US-Medien steht freilich nicht die Rettung des wichtigen Vertrags im Vordergrund, sondern die Rhetorik, mit der Biden sein Vorgehen absichert. Gegner könnten ihm den Bruch seiner Wahlkampfversprechen vorwerfen. Damals hatte er Donald Trump „Putins Puppe“ genannt und Putin einen „KGB-Verbrecher“. Er versprach einen härteren Kurs gegen Russland. Putin werde „einen hohen Preis bezahlen“ für die Vergiftung des Oppositionellen Alexei Nawalny und die Hackerangriffe auf die USA.
Zuvor hatte Trump Nachbesserungen am „New Start“-Abkommen zur Bedingung für eine Verlängerung gemacht und zudem verlangt, China müsse in die nukleare Rüstungsbegrenzung einbezogen werden. Putin lehnte die Forderung ab – in der kühlen Kalkulation, dass Biden bei einem Wahlsieg „New Start“ nicht auslaufen lassen werde.
Putin pokert und gewinnt
Das 2010 in Prag unterzeichnete Abkommen gehört zu den herausragenden Erfolgen Barack Obamas, dessen Vizepräsident Biden war. Bei den strategischen Atomwaffen reduziert es die zulässige Zahl der Sprengköpfe um ein Drittel auf 1550 und der Trägersysteme um die Hälfte auf 800.
Putin warnte die USA vor neuem Wettrüsten, wohl wissend, dass Russland bei strategisch wichtigen Waffenentwicklungen wie Hyperschall und nuklear bestückten Drohnen, die von U-Booten gestartet werden, einen technischen Vorsprung habe. Zudem ist ein anderes Abkommen, der INF-Vertrag über die Begrenzung atomarer Mittelstreckenwaffen mit Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern, seit 2019 nicht mehr in Kraft. Die Nato hatte Russland vorgeworfen, ihn seit Jahren zu brechen und mehrfach zur Vertragstreue aufgerufen, worauf Moskau aber nicht einging. Daraufhin kündigte Trump den Vertrag.
Nato-Verbündete drängen die USA zu neuen Abrüstungsgesprächen. Zum internationalen Druck trägt auch der neue UN-Vertrag über ein generelles Atomwaffenverbot bei. Freilich ist er nicht groß, weil nur ein Viertel der UN-Mitglieder unterschrieben haben, zum Großteil kleinere Staaten mit wenig Gewicht.
Putin setzte darauf, dass Biden bald den Kontakt zu ihm suchen werde, weil das Auslaufen des „New Start“-Vertrags ihn unter Druck setzt. Inmitten der innenpolitischen Proteste ist es für Putin ein Propagandaerfolg, dass der neue US-Präsident mit im telefoniert, ehe er mit allen wichtigen Verbündeten gesprochen hat. Putin kann sagen: So wichtig ist Russland unter mir geblieben.
Wie Biden seine Ambivalenz rechtfertigt
Biden hingegen musste harte Kritik von Republikanern befürchten. Sie hatten Trump im Umgang mit Russland keineswegs gestützt, sondern auch von ihm einen härteren Kurs verlangt. Biden lässt nun verbreiten, Putin habe um das Telefonat gebeten. Ihm selbst sei es neben der Abrüstung um klare Ansagen gegangen.
Er habe die Vergiftung Nawalnys und dessen Verhaftung in Moskau nach der Rückkehr angesprochen; die Hackerangriffe auf Computer der US-Regierung und privater Unternehmen thematisiert, deren Urheber nach Geheimdienstanalysen in Russland zu suchen seien; und den Krieg in der Ukraine sowie Moskaus angebliche Kopfgelder für die Tötung von US- Soldaten, etwa in Afghanistan, kritisiert. In der russischen Darstellung des Gesprächs fehlen diese Themen.
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Außenpolitiker der Demokraten erklären in TV-Sendern, warum Bidens Ansatz der Realpolitik und Ambivalenz richtig sei. Man müsse Russland gleichzeitig hart kritisieren und bei gemeinsamen Interessen wie der Abrüstung kooperieren, sagt Michael McFaul, ein ehemaliger US-Botschafter in Moskau. Parallel dränge Nawalny Biden und andere westliche Regierungen, weiter zu gehen, Sanktionen zu verhängen und die Konten russischer Milliardäre einzufrieren. „Mal sehen, ob Biden dazu bereit ist.“
Die Demokraten stellen Bidens Umgang mit Putin in scharfen Kontrast zu Trump. Nach russischen Angaben hatten Trump und Putin in vier Jahren 18 Mal telefoniert. Das Weiße Haus hatte einige der Gespräche nicht bestätigt. Trump war weniger „ein Wachhund für Amerika“ und mehr „Russlands Schoßhund“, sagt Senator Jeff Merkley, ein Demokrat.
Abrüstungsgespräche mit Iran, China und Nordkorea?
Wichtig für Deutschland und Europa wird nun die Frage, ob die Rettung des „New Start“-Abkommens ein isolierter Akt bleibt oder eine Wende zum breiten Bemühen um die Reduzierung von Atomwaffen einleitet. Trump hatte das Atomabkommen mit dem Iran gekündigt. Biden will es wiederbeleben, allerdings mit Nachbesserungen wegen Teherans aggressivem Verhalten in der Region.
Mit Nordkorea hatte Trump den Dialog über dessen Atomwaffen gesucht, aber keinen Vertrag erreicht.
Für eine Erneuerung des INF-Vertrags über die Begrenzung atomarer Mittelstreckenwaffen ist die Mitwirkung Chinas eine Schlüsselfrage. Peking lehnt das ab und argumentiert, es habe nur 300 Atomsprengköpfe. Man könne gerne darüber sprechen, wie Russland und die USA ihr Arsenal auf ebenfalls 300 Sprengköpfe reduzieren.
Experten weisen darauf hin, dass die Bedrohung durch Mittelstreckenwaffen in Asien getrennt von den strategischen Waffen der USA und Russlands besprochen werden müsse. Moskau und Washington haben keinen Anreiz, ihre Mittelstreckenarsenale zu begrenzen, wenn Peking das nicht auch tue.
Taktische Atomwaffen in Deutschland
Zentral für die deutsche Debatte sind zudem die taktischen Gefechtsfeldwaffen sowie die US-Atomwaffen, die in der Eifel liegen und im Ernstfall im Rahmen der nuklearen Teilhabe von deutschen Flugzeugen transportiert würden. Russland hat ein Mehrfaches an auch nuklear nutzbaren Waffensystemen in der Region Kaliningrad für den potenziellen Einsatz gegen Nato-Staaten gelagert.
Ein einseitiger Abzug der US-Waffen, wie ihn SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich fordert, wäre aus Sicht vieler Experten nicht klug. Man solle besser Gespräche über eine gegenseitige Begrenzung auf dem Weg zur langfristigen Reduzierung auf Null führen.