Verteidigungspolitik der SPD: Nur Augen für Trump – und gegenüber Putin blind
Weiß die SPD, wer Verbündeter und wer Gegner ist? Sie kippt ihren Wehrbeauftragten und will raus aus der nuklearen Abschreckung der Nato. Ein Kommentar.
Eines gilt für Politik und Militär gleichermaßen: Wer sein Territorium erfolgreich verteidigen will, braucht eine gute Orientierung: Wer ist Verbündeter, wer Gegner? Und wo verlaufen die Fronten?
Die SPD zeigt aktuell gravierende Orientierungsprobleme: in der Verteidigungspolitik wie in der Beurteilung, was ihr politisch nützt und was nicht. Sie will ihren angesehenen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels kippen und durch Eva Högl ersetzen, ein unbeschriebenes Blatt in Sachen Bundeswehr. Parallel fordert der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich ein Ende der deutschen Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato.
Gerade SPD-Wähler suchen Sicherheit
Was ist bloß los mit der deutschen Sozialdemokratie? Früher hat sie herausragende Verteidigungsminister gestellt: Helmut Schmidt, Georg Leber, Peter Struck. Sie verstand, dass ihre Wähler ein überdurchschnittliches Sicherheitsbedürfnis haben. Natürlich im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs: innere Sicherheit, äußere Sicherheit, ökonomische Sicherheit, soziale Sicherheit. Aber die äußere und damit auch militärische Sicherheit gehört untrennbar dazu.
Heute jagt die Partei Irrlichtern nach und offenbart Schwierigkeiten in der Freund-Feind-Erkennung. Gewiss gilt das nicht für die ganze SPD. Die Genossen, die die Welt so ähnlich wie Mützenich sehen, sind eigentlich in der Minderheit. Doch die SPD-Größen, die das qua Gewicht oder qua Amt klarstellen müssten, schweigen: Vizekanzler Olaf Scholz, Außenminister Heiko Maas, die Verteidigungsexperten. Offenbar scheuen sie die öffentliche Auseinandersetzung. Denn dann würde offensichtlich, dass Mützenichs Darstellung vom Widerstand der SPD gegen eine übergriffige Union ein Märchen ist. Und dass es in Wahrheit um einen Richtungsstreits in der SPD geht.
Die Parteiführung schweigt
Die SPD-Minister rufen Mützenich nicht zur Ordnung, wenn er die Entscheidung über das Kampfflugzeug, das die veralteten Tornados ersetzen soll, verzögert, obwohl die Beschaffung laut Koalitionsabsprache jetzt eingefädelt werden muss. Sie schweigen weiter, wenn Mützenich - erneut in Widerspruch zum Koalitionsvertrag - die deutsche Teilhabe an der nuklearen Abschreckung der Nato beenden will.
Die Sätze, mit denen Mützenich die Forderung begründet, die US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen, klingen, als lebe er auf einem anderen, friedlicheren Stern als der realen Erde. Einem Stern, wo es keine realen Bedrohungen gibt und man die Frage nach Freund und Gegner danach beantwortet, wer einem sympathisch oder unsympathisch ist.
Zur Bedrohung durch Putin sagt Mützenich nichts.
Bei Mützenich sind die USA der Feind, sie erhöhen angeblich das Risiko eines Atomkriegs. Über die wahren Gefahren - voran Wladimir Putin, der systematisch aufrüstet, Russlands Atomwaffen modernisiert, Krieg in der Ukraine führt und regelmäßig Angriffe auf die Nato üben lässt, inklusive des Einsatzes von Atomwaffen - verliert er kein Wort.
Die fachlichen Argumente über den Sinn taktischer Atomwaffen stellt Mützenich auf den Kopf. Er behauptet, die Präsenz amerikanischer Atomwaffen in Büchel erhöhe das Eskalationsrisiko und mache den Einsatz wahrscheinlicher. Für die Experten ist es gerade umgekehrt. Um zu vermeiden, dass die Nato bei einem russischen Atomangriff mit taktischen Nuklearwaffen nur vor der Wahl steht, mit einer größeren Waffe zu antworten oder sich erpressen zu lassen, hat sie selbst taktische Atomwaffen stationiert. Zur Abschreckung. Die Vergeltungsdrohung mit gleicher Waffenart und nicht mit einer größeren, tödlicheren Waffe ist Teil der Eskalationsvermeidung der Nato. Weiß Mützenich das nicht? Oder argumentiert er wider besseren Wissens?
Trump ist ein Problem. Aber was sind die deutschen Interessen?
In einem Punkt werden viele dem SPD-Fraktionschef zustimmen: Donald Trump ist ein Problem. Mützenich zieht jedoch die falschen Schlüsse daraus. Die Atomwaffen, die auf Deutschland und seine Verbündeten gerichtet sind, sind russische Waffen, nicht amerikanische. Es ist der abschreckenden Wirkung der Militärmacht USA und ihrer Bündnisgarantie im Konfliktfall zu verdanken, dass Europa seit 75 Jahren Frieden genießt. Das galt unabhängig davon, ob die Deutschen den jeweiligen US-Präsidenten mochten oder nicht.
Wenn Trump die Nato in Frage stellt, müsste Deutschland darauf drängen, die USA im Bündnis zu halten und auf die weitere Verteidigung Europas zu verpflichten. Mützenich handelt gegen deutsche Interessen, wenn er die USA statt dessen mit einem öffentlichen Fußtritt zum Abzug bewegen will. Und das, obwohl Trump schon in ein paar Monaten Geschichte sein könnte.
Die SPD-Führung müsste klarstellen: Selbst eine von Trump verhunzte Demokratie und Weltmacht steht Deutschland näher als Putins Russland oder Xis China. Und: Wir übernehmen unseren Teil der Verantwortung in der Nato. Sie müsste, wenn Mützenich und Ähnlichdenkende ihre Forderungen als eine angebliche Verlängerung der Entspannungspolitik unter Brandt darstellen, historische Nachhilfe geben. Brandt wollte Abrüstung, aber er sah die Bedrohung durch Moskau. Er forderte keinen einseitigen Abzug von US-Waffen als Vorleistung. Er nahm die Verteidigung und die Bundeswehr ernst. Der Wehretat entsprach 1974 am Ende der Kanzlerschaft Brandts 3,5 Prozent des BIP.
Abstoßender Umgang mit dem Wehrbeauftragten
Wer glaubt ernsthaft, die SPD könne mit Mützenichs Kurs Wähler der Linken oder der Grünen zu sich holen? Schon der Wahlkampf 2017 gegen die Nato-Vereinbarung, zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben, hat gezeigt: So erhält die SPD nicht mehr Stimmen. Die Wähler machen ihr Kreuz nicht wegen der Außen- und Sicherheitspolitik einer Partei. Sie muss freilich darauf achten, sich da auch nicht angreifbar zu machen.
Dies gilt umso mehr, wenn die SPD Wähler durch ihren internen Umgang Wähler abstößt. Der angesehene Wehrbeauftragte Bartels erfuhr aus Pressemitteilungen, dass seine Amtszeit nicht verlängert wird. Mützenich hätte zuerst ihn informieren müssen, das gebietet der Anstand. Je mehr über die Abläufe bekannt wird, desto schlechter stehen Mützenich und seine SPD da. Alte Animositäten zwischen Pazifisten und Verteidigungsexperten waren wichtiger als die fachliche Eignung. Und es ging um Ämterhandel mit dem "Seeheimer Kreis", dem Mützenich noch etwas schuldig war für die Unterstützung bei seiner Wahl zum Fraktionschef. Den ersten SPD-Nachfolgekandidaten für das Amt, Johannes Kahrs, lehnte die CDU ab. Sie hätte Bartels wohl gerne behalten, konnte das aber nicht öffentlich fordern.
Die nächste Wahl gewinnt die SPD so nicht
Im zweiten Anlauf schlug Mützenich Högl vor. Die wird zwar dem linken Flügel zugerechnet. Aber dafür bekommt ein "Seeheimer" ihren bisherigen Posten als Fraktionsvize.
Es spricht wenig dafür, dass die SPD mit solchen Manövern ihr politisches Territorium vergrößert.