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Atompilz 1970 über dem Mururoa-Atoll. Solche Tests vomn Nuklearwaffen sind längt verboten, die Waffen selbst noch nicht.
© dp

Umstrittener UN-Vertrag zum Atomwaffenverbot: Die Versuchung des linken Nationalismus

Viele Grüne, Linke und ein Teil der SPD wollen in einen nationalen Alleingang gegen EU und Nato dem Vertrag beitreten. Woher kommt das? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Ein generelles Verbot aller Atomwaffen ist ein richtiges Ziel. Wenn chemische und biologische Waffen sowie Antipersonenminen geächtet sind, warum nicht die furchtbarste aller Waffen?

Die Frage zwingt Deutschland aber nicht, dem UN-Vertrag über ein Atomwaffenverbot beizutreten, der an diesem 22. Januar in Kraft tritt. Nicht überall wo „United Nations“ drauf steht, ist eine Mehrheit der Staaten drin. Die Deutschen müssen zudem die Folgen bedenken, für sich und ihre Einbettung in ihre Bündnisse.

Träte Deutschland dem Vertrag bei, wäre dies ein nationaler Alleingang gegen alle Nato-Alliierten und gegen fast alle EU-Partner. Warum ist der Wunsch bei Grünen, Linken und Teilen der SPD dennoch so stark? Den Nato-Partnern ist der Nutzen der Kriegsverhinderung durch atomare Abschreckung wichtiger. Sie haben Recht.

Nur ein Viertel der UN-Mitglieder hat unterschrieben

Mit „Im Prinzip richtig, aber unrealistisch“ bewerten auch Schweden und die Schweiz das Verbot. Beide sind neutral, beide haben bei der Formulierung des Vertrags mitgearbeitet, wollen aber nicht unterzeichnen. Das gibt zu denken.

Der Vertrag tritt in Kraft, weil 51 von 191 Staaten unterschrieben haben. Ein Viertel. Bis auf die drei Regionalmächte Mexiko, Nigeria und Südafrika sind es kleine Staaten ohne politisches, ökonomisches, militärisches Gewicht, wie Jonas Schneider in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik zu Pro und Contra des Vertrags analysiert.

Die 39 dezidierten Vertragsgegner – die neun Atommächte, 27 Nato-Staaten ohne Kernwaffen, Australien, Japan und Südkorea – sind zahlenmäßig weniger. Sie stehen aber für 79 Prozent der Weltwirtschaft, 85 Prozent der Verteidigungsausgaben, 60 Prozent der Entwicklungshilfe.

In China droht bei Atomprotesten Gefängnis

In offenen Gesellschaften können Atomwaffengegner sich artikulieren und organisieren. Parteien wie die Grünen, wo Mehrheiten so denken, können an die Regierung kommen. In Atom-Diktaturen wie China, Russland, Nordkorea ist eine solche Bewegung undenkbar. Befürworter landen im Gefängnis.

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Diese Begründungen werden die Unterstützer in Deutschland nicht befriedigen. Warum etwas lassen, was grundsätzlich richtig ist, nur weil es heute als nicht durchsetzbar gilt und die Balance des Schreckens verändert? Man kann auch umgekehrt fragen: Warum tun sich große Teile der Politik in Deutschland offenbar schwerer als in Schweden, der Schweiz oder Frankreich, die Ambivalenz zwischen der wünschenswerten und der realen Welt auszuhalten?

Grüne Realos: Besser die Abrüstung wiederbeleben

Viele durch Regierungsverantwortung geprägte Menschen machen es vor. Sie unterstützen die Bewegung „Global Zero“, lehnen aber den Verbotsvertrag ab: Die ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama und Jimmy Carter, Ex-Premierminister in Europa wie Carl Bildt, Gro Harlem Brundtland und Mary Robinson, Ex-Diplomaten wie Wolfgang Ischinger - und auch der Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).

Ein deutscher Sonderweg in bewusster Abwendung von EU und Nato wirkt wie ein linker Nationalismus. Grüne Realos weisen ihrer Partei mit Blick auf die Regierungsfähigkeit einen anderen Weg. Statt gegen „Das kann Deutschland nicht tun“ zu rebellieren, solle man überlegen: Was könnte eine grüne Bundesregierung tun?

Beispielsweise dies: den Druck auf alle Atommächte erhöhen, die Abrüstungsgespräche nach langer Pause wieder voranzutreiben, unter Einbeziehung Chinas. Nur wenn die Großen gemeinsam reduzieren, öffnet sich der Weg zu „Global Zero“. Die USA sind unter Biden bereit dazu. Der Druck müsste sich also auf Russland und China richten.

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