zum Hauptinhalt
Chinas Präsident Xi Jinping.
© REUTERS/Carlos Garcia Rawlins

Nach dem Aus für "Open Skies": Rüstungskontrolle geht künftig nur mit China – oder gar nicht

Trump hat einen weiteren Rüstungskontrollvertrag gekündigt. Um eine neue Aufrüstungsspirale zu verhindern, muss Peking mit ins Boot. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Steht die Erde vor einer unaufhaltsamen Aufrüstungsspirale? Donald Trump kündigt bereits den dritten Vertrag zur Rüstungskontrolle, „Open Skies“. Das Abkommen erlaubt der Nato und Russland Aufklärungsflüge über dem jeweils anderen Territorium. Diese Beobachtung von Truppen- und Waffenbewegungen hat zur Konfliktprävention beigetragen. Die Kündigung verschärft den Konflikt mit den europäischen Nato-Partnern.

Ausstieg aus dem Iran-Deal und dem Vertrag zu Mittelstreckenraketen

Zuvor war Trump bereits aus dem Iran-Abkommen und dem INF-Vertrag zur Begrenzung der Atomwaffen mittlerer Reichweite ausgestiegen. Auch ein viertes Abkommen wackelt: der „New Start“-Vertrag, in dem die USA unter Barack Obama und Russland die Zahl ihrer strategischen Atomwaffen 2010 um ein Drittel reduziert hatten. Errungenschaften seines Vorgängers macht Trump erfahrungsgemäß besonders gerne rückgängig.

Hat das Vertragssystem zur Rüstungskontrolle überhaupt noch eine Zukunft? Und, falls ja, wie?

[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty]

Im Kalten Krieg hatte die Menschheit beides erlebt: Erst einen angsteinflößenden Wettlauf zwischen den beiden damaligen Führungsmächten, den USA und der Sowjetunion. Und dann die rettende Einsicht der Regierenden in Washington und Moskau, dass sie alles tun müssen, um einen Atomkrieg zu verhindern.

Die Gespräche über Verträge zur Rüstungskontrolle samt ihrer Überwachung wurden zugleich zum Werkzeug der Vertrauensbildung. Der Kalte Krieg endete friedlich. Die Berliner Mauer und der Eiserne Vorhang, der Europa geteilt hatte, verschwanden ohne Waffeneinsatz.

Warum sollen die USA und Russland sich binden - und China nicht?

An drei Dingen mangelt es heute: der Bereitschaft der Großmächte, ihre Handlungsfreiheit durch Abkommen zu begrenzen; der Einbindung aller unverzichtbaren Partner, voran China; und an gegenseitigem Vertrauen. Die Machtverteilung auf der Erde hat sich in den drei Jahrzehnten seit der Wende dramatisch verändert. China ist jetzt die Gegenspieler der USA. Russland zählt nur noch begrenzt; abgesehen vom Militär fehlt ihm die Basis für eine Supermacht, vor allem ökonomisch.

Chinas Aufstieg und Russlands Abstieg komplizieren die Rüstungskontrolle. Wenn China nicht mitmacht, sinkt das Interesse der USA und Russlands. Warum sollen sie Begrenzungen akzeptieren, wenn China unbegrenzt aufrüstet und die Machtbalance in Asien und an der Pazifikküste verschiebt, wo die USA und Russland ebenfalls Interessen haben?

Soweit sind sich Trump und Wladimir Putin einig. Putin agiert freilich schlauer. Er wartet, bis Trump Verträge kündigt. Der Groll richtet sich dann gegen die USA.

Das größte Hindernis: Jeder misstraut jedem

Russlands Abstieg kompliziert die Lage, weil Putin kalkuliert: Wenn alle nach den Regeln spielen, ist er der Schwächere. Die Verträge zur Rüstungskontrolle befolgt er nur noch in Teilen. Darin stimmen die meisten europäischen Nato-Staaten Trump zu. Seine Kündigung halten sie dennoch für falsch. Abkommen, die Russland nur begrenzt einhält, sind immer noch besser als gar keine Abkommen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog.  Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Das größte Manko ist der allgemeine Vertrauensverlust. Der Westen misstraut Putin, Putin misstraut dem Westen. Die Europäer misstrauen Trump. Weder die USA noch Europa noch Russland haben Vertrauen zu China, zumal nach den Erfahrungen mit Pekings Verhalten in der Corona-Pandemie. Und China ignoriert seine Verantwortung für Rüstungsbegrenzung, solange es nicht selbst am Pranger steht und Dritte die Schuld an der wegbrechenden Rüstungskontrolle wahlweise Trump oder Putin geben. Peking reagiert erst, wenn sein eigener guter Ruf gefährdet ist.

"New Start" mit China wäre ein Anfang

Wo also anfangen? Vielleicht mit der Einsicht, dass die USA und Russland aus verständlichen Gründen nur dann Interesse an Abrüstungsverträgen haben, wenn sie auch China binden. „New Start“ mit der Begrenzung strategischer Atomwaffen wäre ein guter Anfang. Bemerkenswert ist: Obwohl der Vertrag zu Obamas Erbe zählt, hat Trump jetzt ankündigen lassen, er wolle mit Moskau die Ausdehnung auf China anstreben.

Peking müsste wenig geben; sein strategisches Atomwaffenarsenal ist kleiner. Europa sollte da Druck machen; es hat dann Einfluss in China, wenn Peking um sein Ansehen fürchten muss. Der Kalte Krieg hat gelehrt: Ist der Einstieg in die Rüstungskontrolle erst einmal gelungen, kann Vertrauen unter den Beteiligten wachsen. Und werden mehr Verträge möglich.

Zur Startseite