Constantin-Chef über den Weinstein-Skandal: „Wir kennen erst die Spitze des Eisbergs“
Martin Moszkowicz ist der Chef von Constantin Film. Im Interview spricht er über den Weinstein-Skandal, Frauenbilder im Film – und das Stereotyp vom Macho-Produzenten.
Martin Moszkowicz, Jahrgang 1958, ist Vorstandsvorsitzender der Constantin Film AG mit Sitz in München. Als Produzent verantwortet er über 200 Kinofilme und etliche TV-Produktionen. In der Zeit Bernd Eichingers, der 2011 starb, brachte Constantin u.a. „Der Untergang“, „Das Parfum“ und „Der Baader Meinhof Komplex“ heraus. Vor zehn Tagen startete die Erfolgskomödie „Fack ju Göhte 3“ in den Kinos. Die Firma unterhält mehrere Tochterunternehmen, mit rund 800 Beschäftigten. Bei den Produktionen sind oft hunderte Filmschaffende beteiligt; im Büro in Los Angeles sind gut 20 Mitarbeiter angestellt.
Herr Moszkowicz, wie nehmen Sie den Fall Weinstein und die vielen #MeToo-Betroffenen wahr?
Das Ausmaß der Affäre hat mich, wie die meisten in der Branche, völlig überrascht. Jeder einzelne Fall ist furchtbar, aber hier wurde Machtmissbrauch zum System. Es macht mich betroffen und ist völlig unverständlich, wieso diese Vorgänge so lange unter den Teppich gekehrt wurden. Gleichzeitig gilt: Für strafrechtlich relevantes Handeln ist der Staatsanwalt zuständig, nicht die sozialen Netzwerke oder die Medien.
Wie haben Sie ihn persönlich erlebt?
Weinstein war als Geschäftspartner unangenehm, völlig uneinschätzbar. Seine Firma hat zwei unserer Filme in den USA ausgewertet, „Das Geisterhaus“ und „Dead or Alive“, und wir haben über viele Jahre ein paar Filme für die Auswertung in Deutschland gekauft. Fast alle Verhandlungen waren mühsamst, auch in der Umsetzung. In der Branche sagte man, dass ein abgeschlossener Vertrag mit Weinstein erst der Beginn der Verhandlung mit ihm war.
Sie sind gerade in Los Angeles, die neuen Enthüllungen reißen nicht ab. Wie wird dort darüber gesprochen?
Es ist überall Thema, inzwischen vor allem die Frage, wer von Weinsteins Verhalten wusste und die Verbrechen mit unter den Tisch gekehrt hat. Neben den Vorstandsmitgliedern der Company müssen auch Agenten, Manager und andere Geschäftspartner Bescheid gewusst haben. Wir kennen erst die Spitze des Eisbergs. Es wird auch über die lange fehlende Zivilcourage diskutiert, sich gegen solche Übergriffe zu wehren oder sie anzusprechen, wenn man von ihnen weiß. Gleichzeitig gibt es eine Selbstgerechtigkeit, die mir Unbehagen bereitet. Ich meine nicht Weinstein: Dessen Karriere ist wegen der mit Sicherheit zutreffenden Vorwürfe zu Recht beendet. Aber in den USA werden allein aufgrund von Vorwürfen Existenzen zerstört, ohne Anklage, Richter und Geschworene. Auch das ist gerade ein Riesenthema hier.
Gibt es in Amerika eine andere Kultur – und Unkultur – der öffentlichen Anklage?
Es ist in vielerlei Hinsicht anders. Nehmen Sie die arbeitsrechtlichen Standards. Die amerikanische Hire-and-fire-Mentalität ist in Deutschland fast undenkbar. Betriebsräte existieren praktisch nicht. Es gibt starke Antidiskriminierungsgesetze, aber der Kündigungsschutz ist erheblich schlechter. Arbeitnehmer und eben auch Chefs können ohne Angabe von Gründen gefeuert werden, in Deutschland geht das zum Glück nicht so leicht. Oder nehmen Sie das Rechtssystem: Eine Schadenersatzklage wegen Mobbing oder Missbrauch beläuft sich schnell auf Millionen. Auch die Unternehmenskultur unterscheidet sich: Wie in anderen Firmen gibt es auch in unserer Filiale in L.A. keine Vier-Augen-Gespräche mehr zwischen Männern und Frauen. Einerseits schade, offenbar aber leider notwendig geworden. Damit es keine Übergriffe gibt und keine ungerechtfertigten Anschuldigungen.
Wie wurde seit seinem Bekanntwerden denn bei Constantin über den Weinstein-Skandal geredet?
In unserer L.A.-Filiale gab es auf Wunsch der Mitarbeiter ein Office Meeting, in dem wir uns nochmals darüber verständigt haben, ob unsere Prozeduren für solche potentiellen Fälle in Ordnung sind. In unserer Münchner Zentrale wurde nicht speziell in Bezug auf die Firma darüber diskutiert.
Tun Sie gezielt etwas gegen möglichen Machtmissbrauch?
Die Constantin Film hat – wie jede gut geführte Firma – eine ganze Reihe von Checks & Balances, die Machtmissbrauch verhindern sollen Neben einem Betriebsrat gehören dazu ein Feedback-System und anonymisierte Beurteilungsprozeduren von Vorgesetzten durch Mitarbeiter, die von einer unabhängigen Firma ausgewertet wird. Im Konfliktfall setzt man sich mit den Betroffenen zusammen, manchmal getrennt, manchmal an einen Tisch. Mitarbeiter können sich über die Chefs beschweren, ohne dass es ihnen zum Nachteil gereicht. Seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft getreten ist, ist unser System zwar nicht perfekt, aber es ist sichergestellt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen etwaigen Machtmissbrauch direkt und sicher an die Personalabteilung melden können, gegebenenfalls auch direkt an den Vorstandsvorsitzenden.
Und ist das vorgekommen?
In den letzten 30 Jahren gab es einige wenige Fälle, man kann sie an einer Hand abzählen. Wir haben uns auch mal von leitenden Mitarbeitern wegen deren Personalführungsstil getrennt, sie sollen ja eine Vorbildfunktion ausüben. Aber bitte, es ging nie um Vergehen wie diejenigen eines Harvey Weinstein. Ich rede von normalen Vorgängen in einer großen Firma mit vielen Angestellten.
Was sagen Sie zum Frauenbild in deutschen Publikumsfilmen, Herr Moszkowicz?
Deutschland ist keine Insel der Seligen. Dennoch wird hier nichts über brutale sexuelle Übergriffe in der Filmbranche bekannt. Geht es hier tatsächlich „zivilisierter“ zu – weil weniger hart um Erfolg gekämpft wird?
Leider gibt es Fehlverhalten überall, unabhängig von der Branche. Die Branchen in den USA und Deutschland sind schwer zu vergleichen. In den USA ist das Entertainment-Business eine richtige Industrie, in Deutschland existiert sie nur rudimentär. Außerdem gelten wie gesagt andere arbeitsrechtliche Standards. Die gesamte Medienlandschaft ist sehr viel dynamischer, Leute wechseln ihre Jobs weit schneller als in Deutschland. Bei der Constantin gibt es Mitarbeiter, die seit fast 40 Jahren zur Firma gehören, in den USA existiert so etwas kaum. Auch deshalb löst ein Fall wie Weinstein sehr viel heftigere Reaktionen aus. Firmen gehen proaktiv vor und kündigen Verdächtigen auf der Stelle, unabhängig von der Beweislage. Ich finde das gut, trotz aller Bedenken, weil es ein klares Zeichen setzt, dass solche sexuellen Übergriffe nicht geduldet werden.
Im deutschen Film ist auch das Frauenbild in die Kritik geraten: zu wenig Heldinnen, zu wenig differenzierte Figuren. Maria Furtwängler spricht von „subtiler Diskriminierung“. Steuert Constantin dagegen?
Ich kann das für unsere Produktionen nicht unterschreiben. Von „Resident Evil“ und „Tiger Girl“ über Filme wie „Ostwind“, „Axolotl Overkill“ oder „Tigermilch“ bis hin zu TV-Produktionen wie „Rosa Roth“ oder "Kommissarin Lukas" weisen sie eine große Bandbreite an vielschichtigen und völlig unterschiedlichen Frauenfiguren auf.
Bei den deutschen Erfolgskomödien konstatierte die „Zeit“ anlässlich von „Fack ju Göhte 1“, dass die Frauen darin ungewöhnlich dämlich seien und ihnen weniger das befreiende als ein sadistisches Lachen gilt.
„Fack Ju Göhte“ spielt unter anderem grandios mit Stereotypen – da ist nichts dämlich.
Wenn Karoline Herfurth als bebrillte Lehrerin sich erst dann lockert, als ihr auf dem Bauernhofversehentlich Tierhormone in den Hintern geschossen werden, dann ist das doch eine blöde sexistische Pointe.
Ich finde trotzdem, dass Bora Dagtekin das sehr geistreich macht, sein Humor ist weit reflektierter als der in den Pauker-Filmen der 60er und 70er Jahre. Ich kann in den deutschen Komödien kein generell sexistisches Muster erkennen. Nehmen Sie nur Elyas M’Barek, der wird konstant zum Sexsymbol „degradiert“, wenn man so will: Viele reden mehr über seinen Hintern als über seine Fähigkeiten als Schauspieler.
Werden Drehbücher denn auf Fragen nach Geschlechterstereotypen hin abgeklopft?
Wir klopfen unsere Stoffe vor allem darauf ab, ob die Geschichten und Figuren in sich funktionieren und in einem glaubhaften sozialen Kontext angesiedelt sind. Sie mit wünschenswerten Rollenbildern abzugleichen, wäre kontraproduktiv. Wir wollen kein starres Korsett vorgeben und die Regisseure nicht gängeln. Es muss die Möglichkeit geben, auch mal eine dämliche Frauenfigur zu zeichnen.
Bilder haben Macht: Wie gehen Sie als Publikumsfilm-Produzent mit der Verantwortung für Männer- und Frauenbilder um?
So einfach ist es nicht mit der Wirkung der Bilder; die Wahrnehmung geht oft extrem auseinander. Ich kenne etliche Frauen, die „Die Päpstin“ ganz furchtbar fanden, während andere eine selbstbewusste, moderne Heldin in ihr sahen. Wir machen Entertainment und versuchen, unser Publikum bestmöglich zu unterhalten. Einen Erziehungsauftrag sehen wir nicht.
Bewusster mit Rollenbildern umgehen, heißt ja noch nicht erziehen.
Filme für ein jüngeres weibliches Publikum mit weiblichen Hauptfiguren sind bei uns fast ein schon ein eigener Geschäftszweig, von „Ostwind“ bis „Tigermilch“. Oder die Alice im Actionfilm „Resident Evil“: die um sich schießende Frau mag eine Männerfantasie sein, aber wir hatten fast 40 Prozent weibliche Zuschauer. Sie war die erste erfolgreiche weibliche Actionfigur weltweit im Kino, Jahre vor „Wonder Woman“.
Wie geht es Ihnen eigentlich mit dem Bild vom Macho-Produzenten? Korpulent, Zigarre, eine schöne Schauspielerin rechts, eine links, auch das ist ein Stereotyp – bei dem einem sofort Bernd Eichinger einfällt.
Ich habe Bernd eher als in sich gekehrten, oft fast einsamen Typ kennengelernt, der ein anderes Bild von sich nach außen trug. Aber er war sicher auch ein Macho, mit anderer Moralvorstellung. Da mag an dem einen oder anderen Abend auch mal was aus dem Ruder gelaufen sein. Aber ich habe nie mitbekommen, dass er Frauen schlecht behandelt hätte. So war er nicht. Er war mit Schauspielerinnen liiert …
… Hannelore Elsner, Katja Flint, Barbara Rudnik, Corinna Harfouch: Katja Eichinger nennt sie in ihrer Biografie …
… , das ist etwas anderes. Bernd hat alle Aspekte seiner Filme geprägt, geformt und mitbestimmt. Teamarbeit war da nicht die vorrangige Prämisse, gleichzeitig war er bei Mitarbeitern, Künstlern und Teams hoch geachtet und sehr beliebt. Heute wird – jedenfalls bei Constantin – eine weit kollaborativere Arbeitsweise gepflegt und gelebt. Bei Weinstein dachte ich, das klingt so altmodisch, so absurd, nach Besetzungscouch und Fifties. Aus den Zeiten von Horst Wendlandt, Arthur Brauner oder Luggi Waldleitner hört man manchmal solche Geschichten, aber in meinem Berufsleben hat es das nicht ansatzweise gegeben.
Was halten Sie denn von Pro Quote Regie?
Ich finde das eine sehr gute Initiative, die aufrüttelt, auch wenn ich im Prinzip gegen Quotenregelungen bin. Wir haben derzeit circa 60 festangestellte Produzenten weltweit, ein Großteil davon sind Frauen. Auch „Fuck ju Göhte“ wurde von einer Frau produziert, Lena Schömann, sie hat in der Constantin Film alle Karrierechancen. Ich hoffe sehr, dass in Deutschland bald mehr Frauen große Filmfirmen leiten. Tatsache ist aber auch, dass wir sehr viel weniger Projekte von Filmemacherinnen angeboten bekommen. An den Filmhochschulen studieren teilweise mehr Frauen als Männer, ich weiß nicht, warum so wenige übrigbleiben..
Filmemachen verträgt sich wegen der Arbeitszeiten schlecht mit Familie. Was tut Constantin, damit sich das bessert?
Wir arbeiten ja sehr viel mit Regisseurinnen, von Caroline Link, Doris Dörrie und Katja von Garnier bis Helene Hegemann oder im TV-Bereich Christiane Balthasar oder Samira Radsi, um nur einige zu nennen. Ich glaube, dass die Constantin hier eine Vorreiterrolle einnimmt. In vielen Bereichen, zum Beispiel bei unserem Label Alpenrot, liegt die Quote weiblicher Regisseure derzeit bei 50 Prozent.
Gibt es eine firmeninterne Verständigung über den Respekt zwischen Männern und Frauen, den Umgang zwischen Vorgesetzten und Untergebenen?
Wir haben ein Firmen-Leitbild zum Umgang miteinander und viele Initiativen wie unser vor etwa vier Jahren ins Leben gerufene Women’s Network. Leitende Mitarbeiterinnen kamen mit der Idee zu mir; sie wollten etwas dafür tun, dass Frauen bei Constantin Film ihre Karriere besser gestalten können. Der Vorstand unterstützt das, mit Geld und Ressourcen, seitdem gibt es Veranstaltungen und Seminare für gleichberechtigte Chancen. Es gibt ja Untersuchungen darüber, warum Frauen sich in Teams mehr zurückhalten als Männer und nicht die Führung übernehmen. Wie kann man das ändern? Unser vierköpfiger Vorstand besteht nach wie vor nur aus Männern, wir können also noch besser werden. Dass gemischte Teams bessere Ergebnisse bringen, ist ja längst bewiesen.
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