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Harvey Weinstein hatte die Macht, über Stars und Karrieren zu entscheiden.
© Yann Coatsaliou, AFP

Filmproduzent Harvey Weinstein: Warum schwieg ganz Hollywood?

Der Film-Produzent Harvey Weinstein soll fast drei Jahrzehnte lang Frauen belästigt, bedroht, vergewaltigt haben. Viele in Hollywood wussten davon. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Das soll Mahatma Gandhi gesagt haben: „Wer Unrecht erkennt und dazu schweigt, macht sich mitschuldig.“ Der Satz enthält eine harte Forderung, die in Diktaturen unmenschlich hart sein kann. Dissidenten werden oft gefoltert, eingesperrt, umgebracht, weil sie das Unrecht beim Namen genannt haben.

Anders ist es in einem Rechtsstaat. Gefahr für Leib und Leben verursacht die Courage, einen Täter zur Anzeige zu bringen, dort nicht. Mit gravierenden Nachteilen indes muss ein Opfer auch hier rechnen: soziale Ächtung, Unglaubwürdigkeit, Bloßstellung, Karriereknick. Leicht ist der Gang in die Öffentlichkeit selten.

Der Hollywood-Produzent Harvey Weinstein soll fast drei Jahrzehnte lang überwiegend junge Frauen belästigt, bedroht, vergewaltigt haben. Seit der Veröffentlichung eines umfassenden Artikels über die Taten des heute 65-jährigen Mannes am 5. Oktober in der „New York Times“ vergeht kein Tag ohne weitere Bezichtigungen. Berichtet wird außerdem, dass Harvey in acht Fällen Schweigegeld an Frauen gezahlt hat, damit Verfahren eingestellt, Vorwürfe aus der Welt geschaffen werden. Nun prasseln diese Vorwürfe umso massiver auf ihn ein. Ein Damm scheint gebrochen.

Harvey selbst hat nach Bekanntwerden der ersten Missbrauchsvorwürfe eine Art Schuldeingeständnis abgelegt. „Ich erkenne an, dass die Art, wie ich mich in der Vergangenheit gegenüber Kolleginnen verhielt, viel Schmerz verursacht hat, und ich entschuldige mich aufrichtig dafür“, hieß es in einer Erklärung.

Zu heikel die Sache, keiner wollte sich die Finger verbrennen

Warum erst jetzt? Jeder in Hollywood, Frauen wie Männer, war offenbar seit langem über die Machenschaften des Filmmoguls informiert. Im Jahr 2013 griff Oscar-Moderator Seth McFarlane die Gerüchte auf. Bei der Verleihung der Preise für die besten Nebendarstellerinnen sagte er: „Herzlichen Glückwunsch, ihr fünf Frauen müsst nun nicht mehr länger vorgeben, dass ihr Harvey Weinstein attraktiv findet!“ Was wie ein Witz klingen sollte, entsprang blanker Wut. Auf Twitter erklärte McFarlane jetzt: „Im Jahr 2011 wurde meine gute Freundin und Kollegin Jessica Barth … ein Opfer von Weinsteins Belästigung. Bei der Oscar-Rede konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, einen harten Schlag in seine Richtung zu setzen.“

Im Jahr 2004 wollte die „New York Times“ schon einmal über den Fall berichten. Damals wandten sich mehrere Schauspieler, die für Weinstein gearbeitet hatten, an die Zeitung, um die Veröffentlichung zu verhindern. Auch NBC News verzichtete. Zu heikel die Sache, keiner wollte sich die Finger verbrennen. Weinstein hatte Macht. Auf sein Geheiß hin entstanden Karrieren, wurden Stars gemacht.

Das erklärt aber nur zum Teil, warum das Schweigekartell so lange funktionierte. Hollywood rühmt sich damit, besonders liberal und aufgeklärt zu sein. Man kämpft für Bürgerrechte, Minoritäten, gegen Kriege und Donald Trump. Dass nun ausgerechnet beim Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen niemand den Mut fand, aufzustehen und Anklage zu erheben, provoziert den Verdacht, dass dort auch ein repressives Machogehabe geduldet wurde. Gemäß dem augenzwinkernden Motto: Schauspieler und Sex, da geht’s schon mal drunter und drüber, Sie wissen schon.

Damit kein Zweifel entsteht: Frauen sind Weinsteins Opfer, auch die, die geschwiegen haben – ob aus Scham, aus Angst, weil sie psychisch zu sehr leiden oder das Verbrechen verdrängen. Keine von ihnen trägt irgendeine Mitschuld an Weinsteins kriminellen Taten. Was aber ebenfalls richtig ist: Jede Person, die früher aufgestanden und die Verbrechen zur Anzeige gebracht hätte, hätte verhindern können, dass weitere Frauen zu Opfern werden. Mut hat seinen Preis, das Schweigen aber auch.

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