Schauspieler Elyas M'Barek: „Bei Fremdenfeindlichkeit hört der Spaß auf“
Kann man sich Elyas M’Barek mit Zöpfen vorstellen? Er hatte mal welche! Warum der Star aus "Fack ju Göhte" nicht gern über seine Diät spricht und auf Flughäfen mies behandelt wird. Das Interview aus dem Februar gehört zu unseren meistgelesenen Texten 2015.
Herr M’Barek, Ihr neuer Film „Traumfrauen“ spielt im Berlin der Feierwütigen und internationalen Hipster. Ihre Welt?
Überhaupt nicht. Obwohl ich Partys gegenüber nie abgeneigt war. Man kann als Druffie hier sehr viel Spaß haben. Ich war nur einmal im Berghain, eine Viertelstunde, sehr früh am Sonntagmorgen, auf Alkohol. In bestimmte Welten kannst du vermutlich nur eindringen, wenn du dich chemischen Substanzen widmest. Ich war zu spießig fürs Berghain.
Sie sind nach vier Jahren Berlin zurück in Ihre Heimatstadt München gezogen. Was ist dort anders?
In Berlin kannst du leben, wie du möchtest und wirst nicht blöd angeguckt. Es gibt in München viele Ecken, wo sich die Leute nach einer Schauspielerin wie Palina Rojinski in ihren Glitzerleggins umdrehen würden. Früher haben die sich auch mal nach mir umgedreht: Warum hat der Typ jetzt schwarze und nicht blonde Haare? Es ist ein Unterschied, ob ein Türke oder Halbtunesier wie ich in Kreuzberg über die Straße läuft oder in einem reichen Viertel wie München-Grünwald. Das ist das Zehlendorf Münchens, nur krasser, Bayernspieler, Wirtschaftsbosse, Schönheitschirurgen.
Es gibt Dinge, die würden Sie sich in München nicht trauen.
Ich glaube, ich könnte in Berlin ohne Führerschein Auto fahren und müsste nicht damit rechnen, angehalten zu werden. Allerdings war ich neulich auf einer Anti-Pegida-Demo, 12 000 Leute, die sich für ein buntes München einsetzen. Das widerspricht dem Klischee der reichen Snobstadt. Dafür habe ich auf Twitter geworben.
Früher haben Sie zu Politik geschwiegen.
Als öffentliche Person kann es gefährlich sein, sich politisch zu äußern, man wird schnell instrumentalisiert. Parteien haben öfter versucht, mich für Jugendarbeit einzuspannen. Gewisse Dinge muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich möchte niemandem politische Gedanken aufzwingen.
Auf Twitter haben Sie 380 000 Follower, auf Facebook 2,3 Millionen Likes.
Ach, schon 2,3 Millionen? Mit wachsender Zahl der Likes bin ich mir auch meiner Verantwortung bewusst. Das war am Anfang nicht so. Da konnte man Quatsch posten, tu ich auch immer noch, aber mit dem Hintergedanken, dass es inzwischen wirklich viele erreicht und auch etwas bewirkt. Das muss man irgendwann etwas ernster nehmen.
Warum hat Sie ausgerechnet Pegida aktiviert?
Es hatten kaum Kollegen ihre Stimme erhoben, das war mir zu wenig. Ich dachte, ich nutze jetzt mal meinen Einfluss und sage: Stopp! Mich beunruhigt, dass da so ein komisches Feindbild aufgebaut wurde. Lange war es in Deutschland nicht okay, sich rassistisch zu äußern, und das ist auch sehr gut so. Die Geschichte hat wiederholt gezeigt, was da passieren kann. Jetzt werden plötzlich Tore geöffnet! Das nehmen Leute zum Anlass, Fremdenfeindlichkeit salonfähig zu machen. Da hört bei mir der Spaß auf.
Haben Sie Rassismus erlebt?
Mir wurde klargemacht, dass ich kein Deutscher bin. Ich habe mal ein paar Semester Betriebswirtschaft in München studiert. In der Uni, wo es keine Kleiderordnung gibt, wollte ich einmal meine Mütze nicht abnehmen. Der Professor fing an, mich als dumm zu beschimpfen, und sagte schließlich, ich solle so etwas dort machen, wo ich herkäme. Das ist schon verletzend. Auch heute werde ich noch gefragt, wo ich wirklich her sei. Ich möchte nicht, dass jemand das Gefühl bekommt, nicht willkommen zu sein oder nicht zur Gesellschaft zu gehören.
Warum hat Pegida so einen Nerv getroffen?
Jahrelang wurden Parallelgesellschaften ermöglicht. Dadurch, dass den Leuten immer wieder klargemacht wurde, ihr seid anders, ihr seid die Leute mit „Migrationshintergrund“. Solche Begriffe gibt es gar nicht in anderen Ländern. In England oder den USA wäre das eine Beleidigung. Ich hatte mal eine englische Freundin, da war ich ganz erstaunt, als die Eltern mich überall als Deutschen vorstellten. Du bist doch in Deutschland aufgewachsen! Ja, sagte ich, nur so einfach ist es bei uns nicht. Wie soll man sich integrieren, wenn immer wieder gesagt wird: Hey, du bist Türke, du bist Jugoslawe, du bist Russe?
"Wenn du einen arabischen Namen hast, wirst du aussortiert"
Fühlen Sie sich in solchen Momenten als Ausländer?
Ich habe mich nie als irgendwas gefühlt, das ist auch sehr schade. Ich rede viel mit Jüngeren und erlebe Gott sei Dank, dass es mittlerweile für Schüler, auch am Gymnasium, normal ist, einen Kameraden mit türkischem Namen zu haben.
Das kann man auch an Ihrer Karriere ablesen. Anfangs waren Sie Cem und Mehmet, heute spielen Sie Max und Joseph. Das Sexsymbol der Deutschen ist nicht mehr blass und blond. Eine Genugtuung?
Ich finde es gut, dass Leute, die aussehen wie ich, jetzt im Kino sitzen und denken: Der Hauptdarsteller könnte auch ich sein. Das war vor zehn Jahren völlig undenkbar. Oder auch nur irgendeinen anderen kreativen Beruf zu ergreifen. Allerdings musste in meinem Fall auch erst ein Bora Dagtekin kommen …
Der Autor und Regisseur von „Türkisch für Anfänger“ und „Fack ju Göhte“.
... und genau wie ich identifiziert er sich mit Deutschland. Bis auf seinen Nachnamen hat er mit der Türkei nicht viel zu tun.
Seinen Filmen verdanken Sie, dass Sie von der Branchenzeitschrift „Variety“ 2012 unter die zehn besten internationalen Nachwuchsschauspieler gewählt wurden und inzwischen auch eine Agentin in New York haben.
Bei denen bin ich inzwischen eine Karteileiche. Auf der „Variety“-Party hat mich die Agentin vollgequatscht, und ich wollte eh nach New York. Ich wusste schon, was mich erwartet. Die haben mich zu ein paar Castings geschickt, wo mich alle nur mit dem Arsch angeschaut haben. Ich war Zeitverschwendung für die. Der Gedanke, dort wieder von vorn anfangen zu müssen, klingt zum jetzigen Zeitpunkt nicht wirklich attraktiv.
Hatten Sie Probleme bei der Einreise in die USA?
Ich lande jedes Mal im Extraraum. Dabei reise ich immer mit meinem österreichischen Pass …
Ihre Mutter kommt aus Österreich, Ihr Vater aus Tunesien.
… aber das bringt nichts, weil die Amerikaner die Passagierlisten checken, und wenn du einen arabischen Namen hast, wirst du aussortiert. Die erklären einem auch nie, was jetzt passiert. Letztens hatte ich in Philadelphia einen Anschlussflug. Ich so: Excuse me, my plane is leaving. Antwort: Shut up, sit down! Immer lauter.
Macht Sie das wütend?
Ich kann nachvollziehen, warum es die Sicherheitsvorkehrungen gibt, ich kann nur das „wie“ nicht akzeptieren. Man muss die Leute nicht anschreien und wie Menschen dritter Klasse behandeln. Die fragen tatsächlich, warum jemand lieber Batman als Spiderman mag. Als ich neulich über England geflogen bin, musste ich meine ganzen Sachen auspacken, Laptop an, aus. In einem Tonfall, so wie: Halt’s Maul. Es geht aber immer schneller, die sehen ja, dass ich schon ein paar Mal da war und noch keinen Terroranschlag verübt habe.
Für Reisen haben Sie gerade keine Zeit. Sie müssen wieder viel Sport machen, um für „Fack ju Göhte, Teil 2“ athletisch auszusehen.
Seit November trainiere ich sechs Mal die Woche mit einem Trainer. Eine Stunde Krafttraining, 45 Minuten Cardio. Am Anfang war es harmlos, ich durfte nur abends keine Kohlenhydrate essen. Jetzt sind wir in der Endphase, morgens gibt es 50 Gramm Haferflocken, und das war es an Kohlenhydraten für den Rest des Tages.
Fällt es Ihnen schwer, auf Pasta und Schnitzel zu verzichten?
Es ist echt anstrengend. Auch für die anderen: Ich bin gereizter, weil ich ständig Hunger habe. Zum Glück sehe ich mittlerweile die Fortschritte. Wenn das nicht der Fall wäre, wäre es schlimm.
Wie viel haben Sie abgenommen?
Ich wiege jetzt 71 Kilo, habe mit 75 angefangen, aber auch viel Muskelmasse aufgebaut. Moment … das ist doch total bescheuerter Nerd-Talk gerade. Das hat so was Mädchenhaftes, über Ernährung zu reden.
Es ist Ihr Handwerk.
Ja, das ist Teil meines Jobs. Ich nehme ernst, dass ich physisch was für die Rolle mitbringe. Sollte ich im nächsten Film mal jemand mit Übergewicht spielen dürfen, wäre ich froh.
Was haben Sie in Berlin aus München vermisst?
Die Biergärten. Dass ich im Sommer mit Freunden in die Isar springen kann. Das Oktoberfest. Gute Brezn. Das idyllische Leben in dieser beschaulichen Stadt. Alles ist so klein. Ich fand das schön, wieder in der Vergangenheit zu schwelgen.
"Eine Karriere als Rap-Musiker könnte ich mir gut vorstellen"
Wenn Sie an Ihre Kindheit in München-Sendling denken, was fällt Ihnen zuerst ein?
Ich denke an den Kirschbaum vor unserem Haus, bürgerliche Gegend. Nach der Schule haben wir Kinder uns dort getroffen, jeder hatte seinen eigenen Ast. Wir haben Kirschen gegessen und heruntergespuckt auf alle, die gerade ankamen. Wir waren eine richtige Rasselbande, sind mit unseren Fahrrädern durch den Westpark gekreuzt. Zu Silvester haben wir dort die übrig gebliebenen Böller eingesammelt und uns die Finger verbrannt. Im Sommer haben wir uns aus Laub Zigaretten gebastelt. Das war eine schöne Kindheit.
Ihre Jugend war etwas wilder. Ihr Zimmer auch?
New-Kids-on-the-Block-Poster an der Wand. Die mit den geilen Schmalzlocken. Ich fand die Namen von den Jungs so cool, ich wollte auch am liebsten Jason heißen.
Welche Filme haben Sie geprägt?
Der erste Film, an den ich mich gut erinnere, ich habe ihn mit meinem Vater geschaut, war „Der Prinz aus Zamunda“ mit Eddie Murphy. Er spielt einen schwerreichen Königssohn aus einem afrikanischen Fantasiestaat, der nach New York fährt, weil er eine Frau finden will. Ganz bodenständig will er nicht, dass diese ihn nur seines Titels wegen heiratet. Deshalb gibt er vor, ein Niemand aus dem Ghetto zu sein. Die Frau verliebt sich in ihn, obwohl er der Typ ist, der bei McDonald’s sauber macht. Eine schöne Geschichte über Ehrlichkeit.
Sie waren außerdem Guns-’n’-Roses-Fan. Haben Sie sich die Haare auch so lang wachsen lassen?
Auf keinen Fall! Mit 13 habe ich die gehört, weil alle das gut fanden, genauso wie „Rhythm is a Dancer“ von Snap. Als der Film „Menace II Society“ in die Kinos kam, über Schwarze in amerikanischen Ghettos, wollte ich die Frisur der Schauspieler haben. Ich habe mir in einem Afro-Shop Braids machen lassen. Schlimm. Aber die Mädchen in der Schule fanden das gut. An die habe ich die Zöpfe verteilt, als sie mir nach und nach ausfielen.
Welche Platte hat Sie durch die Pubertät getragen?
Roxette. So Schnulzmucke. In meinem Discman habe ich „It Must Have Been Love“ aus dem Film „Pretty Woman“ gehört. Übrigens eine Gemeinsamkeit mit Bushido.
Den Sie im Film „Zeiten ändern dich“ verkörpert haben. Als Teenager waren Sie wie er ein Totalverweigerer, sind drei Mal sitzengeblieben …
… aber nicht zum Soundtrack von Roxette. Damals hörte ich Hip-Hop von Wu-Tang-Clan, A Tribe Called Quest, Gangstarr. Die haben mich geprägt. Ich werde nie vergessen, wie ich als Teenager eine Radiosendung von einem Münchner DJ gehört habe, Mike DMC, dem einzigen schwarzen DJ Münchens, einem Ex-GI. Der hat dann Gangstarr gespielt, den Song „Royalty“. So was hatte ich noch nie vorher gehört. Ich habe den auf Kassette aufgenommen, bin die Plattenläden abgelaufen und hab ihn den Verkäufern vorgespielt. Als ich das Album bei „WOM“ endlich in der Hand hatte, Mann, das war unbeschreiblich.
In „Türkisch für Anfänger“ rappen Sie: „Mein Schwanz ist zu groß für das Ozonloch.“ Waren Sie als Jugendlicher so kreativ?
Das war ich! Wenn ich was mit Nebenjobs verdiente, habe ich das alles für Musik-Equipment gespart, mir ein kleines Homestudio mit Plattenspielern aufgebaut und Mixtapes gemacht. Ich habe viel Graffiti gemalt. Lustig, diesen Rap-Text hat der Roger von der Band Blumentopf geschrieben, und den wiederum fand ich als Teenager richtig gut. Hat mir großen Spaß gemacht, das zu rappen. Eine Karriere als Rap-Musiker könnte ich mir ohnehin gut vorstellen – lieber als Fußball-Profi. Als Rapper kannst du machen, was du willst. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich völlig ungeniert.
Huren, koksen, saufen.
Stell dir vor, du bist ein Hip-Hop-Produzent wie Lil’ Wayne in den Staaten. Alles trägt dazu bei, dein Ansehen noch zu vergrößern. Du kannst jeden Quatsch machen, ohne von der zivilisierten Welt für völlig bescheuert erklärt zu werden. Löwen Gassi führen, vergoldete Bentleys kaufen.
Mit solchen Ideen haben Sie Ihre Eltern bestimmt verrückt gemacht. Haben die sich mit Taschengeldentzug oder Stubenarrest gewehrt?
Hausarrest habe ich nur einmal bekommen, nach einer halben Stunde war der wieder vergessen. Ich bin einfach aus der Tür raus. Meine Mutter wollte das dumme Kind mit seiner Anti-Hausaufgaben-Anti-Aufräumen-Haltung vielleicht einfach nicht auch noch zu Hause behalten.
Ihr Vater hat lange mit Ihrem Beruf gehadert.
Er war sehr skeptisch. Wo soll das hinführen? Er hätte mich lieber studierend gesehen. Seine Form der Anerkennung: Wenn er mich heute bittet, ihm das Plakat meines neuen Films zu schicken. Dass er sich die zu Hause aufhängt, heißt, dass er mir seinen Segen gibt. Das habe ich von ihm: auf Dinge hinarbeiten. Wenn ich gut sein will, halte ich durch.
Wie hat er Ihnen das vermittelt?
Er war immer so … zielstrebig. Er kam in den 1970ern ohne Deutschkenntnisse hierher, hat sich die Sprache in drei Wochen beigebracht – und später das Programmieren. So wurde aus einem Mathelehrer ein Softwareentwickler. Für das, was er mitgebracht hat, eine beachtliche Karriere. Hätte auch anders ausgehen können. Er lebt jetzt wieder in Tunesien. Für alle Pegida-Anhänger: Er entspricht nicht eurem Klischee. Er hat sein ganzes Leben in Deutschland Steuern bezahlt, er hat weder Arbeitslosengeld bezogen, noch war er je in einem Asylantenheim. Und er ist mit Antritt der Rente zurück dahin, wo er, wie heißt es so schön: hingehört.