"Ant-Man and the Wasp": Superhelden aus der zweiten Reihe drängen nach vorne
Die Veteranen danken im Kino ab. Jetzt bringt Marvel seine obskuren Weltenretter groß raus, Typen wie Ant-Man.
Die originellsten Superhelden der jüngeren Kinogeschichte stammen weder aus dem Marvel- noch aus dem DC-Universum, die inzwischen die jährlichen Box-Office-Spitzenplätze mehr oder weniger unter sich ausmachen. Der bisher einzige Auftritt der „Mystery Men“ datiert auf eine Zeit lange vor dem „Marvel Cinematic Universe“ (MCU). Genau genommen würden Mr. Furious, Blue Raja und Spleen neben Iron Man, Captain America und Hulk auch ziemlich alt aussehen, sie verfügen über wenig beeindruckende Fähigkeiten. Die Wutanfälle von Mr. Furious verleihen ihm mitnichten Superkräfte, sondern enden meist mit einem blauen Auge, die Wunderwaffe von Blue Raya ist ein Set Silberbesteck, dessen Flugbahn meist von einem Mitstreiter durchkreuzt wird, und Spleen setzt Freund wie Feind mit seinen, nun, Flatulenzen außer Gefecht.
1999 hatten die „Mystery Men“ ihren einzigen Kinoauftritt, Ben Stiller, Hank Azaria und Paul ’Pee-wee Herman’ Reubens spielten die Anti-Superhelden. Der Film floppte trotz eines überschaubaren Budgets, Hollywood hatte das Genre nach der Travestie „Batman und Robin“ (mit George Clooney im Fledermauskostüm und Arnold Schwarzenegger als Mr. Freeze) eigentlich aufgegeben. Wozu braucht die Welt eine Superheldenparodie, wenn sich die Superhelden selbst ad absurdum führen?
Die „Mystery Men“ waren ihrer Zeit voraus
Rückblickend muss man wohl sagen, dass die „Mystery Men“ aus dem Verlag Dark Horses, dem die Comicwelt unter anderem die „Alien vs Predator“-Reihe und „Hellboy“ verdankt, ihrer Zeit einfach nur einen Schritt voraus waren. Superhelden mit obskuren Kräften oder ganz ohne herausragende Fähigkeiten sind längst in den Kanon der Weltenretter eingemeindet. Diversität und Inklusion wurden gerade bei Marvel zuletzt groß geschrieben.
Die geistig unterbelichteten „Guardians of the Galaxy“ (soziale Inkompetenz plus moralische Polyvalenz) gehören heute zu den erfolgreichsten Marvel-Franchises überhaupt. Und in „Deadpool 2“ hatte gerade die Mutantin Domino ihren ersten Auftritt, deren charakteristische Superkraft ihr „Glück“ ist. Die Vorbehalte Deadpools, der es selbst – ohne sonderliches Talent außer seiner großen Klappe – aus dem Schatten der „Avengers“ zu einer eigenen Reihe gebracht hat, gegenüber den „minderen“ Qualitäten seiner Kombattantin haben die letzten Marvel-Filme eindeutig widerlegt: „Glück ist keine Superkraft, und es sieht auch nicht besonders filmisch aus.“
Mangelnde Kinotauglichkeit war auch lange ein Hemmnis, mit Ant-Man eine randständige Figur aus dem Marvel-Universums in den „Avengers“-Zyklus zu integrieren. Weder der Superheld selbst noch sein ziviles Alter Ego Scott Lang, im Kino gespielt von Paul Rudd, verfügen über das nötige Charisma, um mit den überlebensgroßen Vorzeigehelden, jeder für sich längst eine eigene Marke, mitzuhalten. Ant-Man kann sich mit Hilfe eines Hightech-Anzugs auf Ameisen- und sogar subatomare Größe schrumpfen und mit Insekten kommunizieren. Lang wiederum, ein Elektroingenieur und Meisterdieb, kämpft in erster Linie um das Sorgerecht für seine Tochter. Bis er vom Ex-Avenger Hank Pym (Michael Douglas) und dessen Tochter Hope (Evangeline Lilly), der „Wespe“, rekrutiert wird.
Ant-Man ist längst eine Lizenz zum Gelddrucken
Ant-Man war neben den „Guardians“ die Feuerprobe für Marvel, man wollte herausfinden, über wie viel Franchise-Potenzial der Verlag mit seinen Myriaden von Superhelden verfügt. Inzwischen weiß man, dass der Name eine Lizenz zum Gelddrucken bedeutet. Auch „Black Panther“ gehörte bis zur Verfilmung von Ryan Coogler eher zu den Marvel-Superhelden aus der zweiten Reihe, seine Erfindung war 1966 dem „Zeitgeist“ der Bürgerrechtsbewegung geschuldet. Wohl niemand hätte 50 Jahre später damit gerechnet, dass „Black Panther“ weltweit über eine Milliarde Dollar an den Kinokassen einspielen würde.
Der Erfolg von „Ant-Man“ vor drei Jahren fiel in eine Phase, als Marvel bereits ahnte, dass ihnen die Fans aus der Hand fressen würden. Als das MCU in den nuller Jahren konzipiert wurde, plante Marvel noch, neben den teuren Blockbustern um die „Hauptmarken“ auch Produktionen mit mittleren Budgets in die Kinos zu bringen. Auf diese Weise wollten sie obskuren Figuren wie Ant-Man oder Black Panther eigene Filme geben. Davon kann längst keine Rede mehr sein: Mit einem kolportierten Budget von 160 Millionen Dollar spielt die Fortsetzung „Ant-Man and the Wasp“ etwa in derselben Liga wie die „Avengers“-Filme. Klein ist der Film allenfalls, was die Dimensionen seiner Protagonisten betrifft.
Aber auch hier haben Marvel-Produzent Kevin Feige, Regisseur Peyton Reed und sein Drehbuchteam, zu dem unter anderem Paul Rudd gehört, vorgesorgt. Eine Faustregel bei Marvel lautet übrigens: je dünner die Handlung, desto mehr Autoren doktern am Skript herum. Schon in „First Avenger: Civil War“ hatte ein gigantomanischer Ant-Man seinen Teil dazu beigetragen, den Leipziger Flughafen dem Erdboden gleichzumachen. Zur Strafe muss Scott Lang in der Fortsetzung einen Hausarrest absitzen. Aber auch Hank Pym ist nicht gut auf seinen Schützling zu sprechen, weil der Geheimdienst nach dem Einsatz in „Civil War“ den Ant-Man-Anzug konfiszierte.
Der Film skaliert den Gigantismus der "Avengers" auf ein Normalmaß herunter
Rein dramaturgisch ist Ant-Man and the Wasp“ der gelungene Versuch, als Interludium zwischen dem ersten und zweiten „Infinity War“-Film den dröhnenden Gigantismus der „Avengers“-Reihe wieder auf Normalmaß herunterzuskalieren. Phänotypisch würde Scott Lang auch unter den eingangs erwähnten „Mystery Men“ nicht weiter auffallen: Rein äußerlich ist Rudd, den es aus dem cinematic universe des Komödienspezialisten Judd Apatow zu Marvel verschlagen hat, der geborene Vorstadt-Papa. Seine Superheldenkräfte verhalten sich diametral zu seinem infantilen Selbstbewusstsein. Zu den besten Szenen des Film gehört dementsprechend eine „Heist“-Sequenz, in der Scott – zwischen diversen Schrumpfungsmalheuren mit der Betaversion eines neuen Superheldenanzugs – in Primanergröße den originalen Ant-Man-Anzug aus der Schule seiner Tochter stehlen muss.
Wie schon der Vorgänger bezieht auch „Ant-Man and the Wasp“ den Großteil seines Witzes aus dem Spiel mit den wechselnden Größenverhältnissen – die Antithese zur Metropolenzerstörungspornografie im Haus Marvel – und der Minderbemitteltheit seines Titelhelden. Paul Rudds idiotische Eskapaden wecken bei Evangeline Lilly vor allem mütterliche Gefühle. Wenn es ernst wird, muss sie ohnehin für ihn in die Bresche springen.
Es warten schon wieder neue Helden auf ihr Debüt
Die Chemie stimmt in „Ant-Man and the Wasp“ deutlich besser als im holprigen ersten Film, der noch sichtlich unter einigen Umbesetzungen auf dem Regiestuhl litt. Man muss Peyton Reed und seinen Autoren Respekt zollen, dass es ihnen gelungen ist, aus dem letztlich limitierten Repertoire an visuellen Gags noch einige wirklich eindrucksvolle und originelle Action-Sequenzen herzuleiten.
Vor allem aber bringt Marvel mit Ant-Man und der Wespe endgültig seine Superhelden von der Ersatzbank in Stellung, nachdem am Ende von „Infinity War“ einige Veteranen in den Vorruhestand geschickt wurden. Welche Superhelden den Anschlag von Thanos überleben, darüber hüllt man sich bei Marvel weiter in Schweigen – vermutlich sind Iron Man, Captain America und Thor an ihrem Karriereende angelangt. Das Kassengold Black Panther hingegen darf sicher weitermachen. Und weitere mögliche Thronfolger drängen bereits nach. In diesem Jahr folgen noch die Debüts von Captain Marvel und Venom. Die Zukunft von Scott Lang ist hingegen ungewiss. Denn „Ant-Man and the Wasp“ wartet mit einem Cliffhanger auf, der den Ameisenmann mitten in den Erzählzyklus von „Infinity War“ verschlägt. Und so viel sei verraten: Auf die Hilfe von Evangeline Lilly kann Paul Rudd diesmal nicht zählen.
Ab Donnerstag in den Kinos (2D/3D)
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