Interview mit Burghart Klaußner: "Mehr Singen, mehr Abheben - das brauchen wir im deutschen Film"
Vor der Verleihung der Deutschen Filmpreise: Burghart Klaußner ist mit dem Favoritenfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ nominiert. Im Interview spricht der Schauspieler über die Kneipe seines Vaters, seine "Galerie deutscher Männer" und die Kunst des Verschwindens.
Burghart Klaußner ist für seine Hauptrolle in Lars Kraumes Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" für den Deutschen Filmpreis 2016 nominiert, er konkurriert mit Oliver Masucci als Hitler-Wiedergänger in "Er ist wieder da" und mit Peter Kurth als ALS-kranker Boxer "Herbert". Mit neun Nominierungen geht "Der Staat gegen Fritz Bauer" als Favorit ins Lola-Rennen. Klaußner, 1949 in Berlin geboren, stand ab den 70er Jahren u.a. in Berlin, Bochum, Zürich und Dresden auf der Bühne. Er gewann bereits zwei Filmpreise, als Nebendarsteller für "Die fetten Jahre sind vorbei" (2005) und als Hauptdarsteller in "Das weiße Band" (2010). Zuletzt war er in "Bridge of Spies" und im TV-Mehrteiler "Der Staat und die Macht" zu sehen. Er führt auch selber Bühnenregie und tritt als Chanson-Sänger auf, am 4. Juli wieder im Berliner Tipi.
Herr Klaußner, es heißt oft, das Beste am deutschen Film sind seine Schauspieler. Liegt das daran, dass die deutsche Theaterlandschaft so reich ist?
Sicher, aber man könnte auch anderweitig spekulieren. Theorien aufstellen, das mache ich wahnsinnig gerne. Wie wäre es mit: Das deutsche Wesen verlangt nach einem Außer-sich-Sein? Es möchte sich erweitern – eine gute Voraussetzung fürs Spielen. Es gibt diesen programmatischen Satz „Bitte lasst uns nicht mit den Deutschen allein“. Man kann sich das ja kaum noch vorstellen: In den fünfziger, sechziger Jahren gab es hier nicht mal ausländische Restaurants. So gesehen, hinge der Schauspieler-Reichtum der Deutschen damit zusammen, dass sie noch etwas mehr sein wollen, als sie eigentlich sind. Nach dem Motto: Ich lasse mich mit mir selbst nicht allein. Tolle Theorie, was?
Gerne noch eine: Wie erklären Sie sich als geschichtssinniger Mensch, dass sich bei diesem Lola-Jahrgang die historischen Stoffe häufen, vom Stefan-Zweig-Film „Vor der Morgenröte“ über „Anne Frank“ und „Er ist wieder da“ bis zu Ihrem Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“?
Die Beschäftigung mit den finsteren Zeiten deutscher Geschichte wird nie vorbei sein. Sie ist im Gegenteil auch ein großer Fundus an Geschichten. Im Moment allerdings häufen sich vor allem die Stoffe aus den fünfziger Jahren und der Nachkriegszeit, ein großes Filmprojekt über die Bonner Republik ist in Vorbereitung. Die Entstehung unserer Gegenwart – das wurde lange vernachlässigt.
Bei „Der Staat gegen Fritz Bauer“ erschrickt man, wie finster die Zeit war.
In meinem bayerischen Gymnasium in einem Münchner Vorort gab es immerhin einen tollen Deutschlehrer, da sickerte einiges über den Nationalsozialismus durch. Und es gab die großen Zurückgekommenen, die zornigen alten Männer, Fritz Bauer, Bloch, Adorno ... Die waren mögliche Vorbilder, denn sie hatten einen Zorn, den man als junger Mensch gut gebrauchen konnte. Ansonsten herrschte ja eine Art Sprechverbot: die Furcht, die Nazi-Zeit anzusprechen, weil das zu sofortiger Entzweiung führte. Heute gibt es das wieder, diese drohende gesellschaftliche Spaltung. In Dresden ...
.... wo Sie Ferdinand von Schirachs „Terror“-Stück inszeniert haben und selber den Richter spielen ...
..., da überlege ich mir schon beim Taxifahrer, ob ich bestimmte Themen anspreche. Es gibt schnell Krach, über Migranten oder die Pegida.
Sie wuchsen zunächst in Berlin auf, war es hier auch so finster?
Überhaupt nicht. Die Berliner Nachkriegsjahre waren zunächst von der ungeheuren Erleichterung geprägt, überlebt zu haben. Die Ruinenlandschaft war etwas Normales, mir wird geradezu heimelig, wenn ich Bilder davon sehe. 1961 allerdings wanderte die Familie nach Bayern aus, weil West-Berlin nach dem Mauerbau wirtschaftlich darniederlag. Niemand ging mehr in das Restaurant meines Vaters ...
... „Zum Klaußner“ in der Grolmanstraße.
Die Leute sahen keine Zukunfts-Perspektive. Keiner Keiner setzte mehr fünf Pfennig auf West-Berlin.
Eine Kneipe ist ja eine Art Bühne, ein halb öffentlicher Raum.
Es war ein gutbürgerliches Restaurant, ich habe das Gästebuch. Da verkehrten Willy Brandt und Theodor Heuss, Curd Jürgens, Marika Rökk, alle waren da. Ich war leider zu klein, um davon Gebrauch zu machen. Aber das Gastwirtssohn-Gen habe ich durchaus, wie etwa Sepp Bierbichler oder Gustav-Peter Wöhler. Ich sehe meinen Vater noch heute wie einen Entertainer durchs Lokal schreiten und „Hat es geschmeckt?“ fragen. Demutsvoll, aber mit leicht sardonischem Grinsen.
Sie wollen eine Kurzgeschichte über ihn schreiben?
Weil sich Privates und Politisches da auf extreme Weise verquickt. Ich hoffe, ich komme diesen Sommer endlich dazu. Mein Vater hatte durch seine Gastwirterei immer beste Beziehungen, kannte die Generäle aus dem Offizierskasino in der Friesenstraße und war gewitzt genug, sich aus dem Schlamassel herauszuhalten. Aber als in Wannsee die letzten Kämpfe der Wehrmacht stattfanden, musste er doch noch mitmachen. Gleichzeitig schipperte er mit seinem Segelboot über den See, er hatte Glück, bis zum Schluss.
Prägt Ihre bürgerliche Herkunft Sie denn als Schauspieler?
Zunächst sicher ex negativo, da war die Abwehr gegen den schnoddrigen berlinischen Ton, gegen das Ingenieurhafte, Wilhelminische. Der junge Burghart entwickelte eine gewisse Sensibilität, das schärfte die Sinne. Heute scheint sich ja immerhin im Bürgerlichen ein Beharren auf Zivilisiertheit in Deutschland zu finden.
Bei Fritz Bauer dachten Sie zunächst, den kann man nicht spielen. Wieso ging es dann doch?
Mit wie viel Last dieser Mann herumlief, unglaublich! Aber die Figur ist immens wichtig, also: Traumaufgabe. Bloß, wie macht man das? Deutet man nur an, um der Gefahr der reinen Imitation nicht zu erliegen? Wir waren uns im Team schnell einig, dass es bei Fritz Bauer ohne ein gewisses Maß an mimetischer Empathie nicht geht. Allein das Honoratioren-Schwäbisch, dieser Riss zwischen der Herkunft und dem Wollen! Auch Fritz Bauers Beharren auf das eigene Deutschsein schwingt da mit, sein Sich-Wehren gegen die Ausgrenzung als Jude. Seinen gestischen Apparat gab es aber durchaus auch bei anderen Männern jener Zeit, denken Sie nur an Herbert Wehner. Die feindseligen, aggressiven Auseinandersetzungen im Bundestag waren ja furchterregend. Viele kämpften damals bis an die Zähne bewaffnet.
"Die Travestie, Anarchismus, Komödie, das würde mich mehr interessieren"
Sie haben eine ganze „Galerie deutscher Männer“ gespielt, wie Sie es nennen, Unternehmer, einen Pastor, Bürgermeister, Machtmenschen, den Nazi in „Elser“ und jetzt Fritz Bauer. Haben Sie dabei etwas über das Deutsch-Sein gelernt?
Der Fundus an finsteren Figuren bei uns ist nicht klein, es gibt durchaus immer wieder Monströses in der deutschen Geschichte. Für einen Schauspieler sehr ergiebig, dieses Shakespeare’sche Gestalten-Arsenal. Bestimmt gibt es das auch in anderen Ländern – es wäre ein Hochgenuss, mal Churchill zu spielen –, aber wir sind nun mal hier. Wobei mit Fritz Bauer für mich etwas zum Abschluss kommt, ich muss nicht auch noch Kaiser Wilhelm spielen. Die Umkehr würde mich interessieren, die Travestie, Anarchismus, pure Komödie.
Zum Beispiel?
Nestroy würde ich gern mal hier machen. Von allen deutschsprachigen Autoren kommt er der Anarchie des Wahnsinns am nächsten, allem biedermeierlichen österreichischen Idiom zum Trotz. In unseren Filmen vermisse ich außerdem die Verquickung von Politischem und Persönlichem, wie etwa bei Hans-Christian Schmids Meisterwerk „Sturm“. Nach allem, was man gerade aus Cannes von Maren Ades Film „Toni Erdmann“ gehört hat, ist es da endlich wieder der Fall. Tragikomödien, Gegenwarts-Luftblasen mit einer gewissen französischen Leichtigkeit, davon gibt es bei uns zu wenig. Meine Entertainer- und Musikerauftritte wollen in diese Richtung.
Wie hemmungslos muss man als Schauspieler sein? Bei Ihren ersten sechs Theaterengagements traten Sie nackt auf.
Glauben Sie mir, es hat sich so ergeben. Mit George Taboris „Pinkville“ 1971 fing es an, nackt in einer Kirche in Buckow. Dann „Wildwechsel“ von Franz Xaver Kroetz in der Werkstatt des Schiller Theaters, Thomas Braschs „Rotter“ in Stuttgart ... Das ist für junge Schauspieler heute nicht weniger reizvoll: Weiter als nackt kann man nicht gehen.
Tabori nannte Sie den „Always no“: Sie überwarfen sich mit dem Schaubühnen-Ensemble, blieben nicht lang am Schiller Theater. Sie waren ein richtiger Rebell?
Den Menschen ins Gesicht springen, sie überwältigen wollen, das gehört zum Beruf. Es war Zeit, den alten Ballast abzuwerfen, dieses merkwürdige bayrische Leben, wo man auf Skifahren und Biertrinken getrimmt werden sollte. Alle anderen sind richtig, nur ich bin falsch... Meine Güte, es ist lange her. Lassen Sie uns über die Gegenwart sprechen. Mich fasziniert, was ich zur Zeit in Dresden bei „Terror“ erlebe.
Da stimmen die Zuschauer ab, ob der Pilot der Luftwaffe schuldig ist oder nicht, weil er ein von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug abgeschossen hat, das auf ein vollbesetztes Stadion zusteuert.
In den meisten Inszenierungen in Deutschland wird er freigesprochen. Was immer das bedeuten mag: Plötzlich ist Theater wieder ein Forum, in dem Menschen sich ernst genommen fühlen, zudem ein Ort von verblüffender Lebendigkeit. Republikanisch, kontrovers.
Film ist Begegnung, Theater ist Heimat, sagen Sie.
Ein Theater ist ein Haus, eine Freiheit in Mauern. Weil man im Theater länger zusammen ist, ist es auch freundschaftsfähiger. Film ist ein Wanderzirkus, wobei Affentheater dort aber schnell teuer wird. Also verträgt man sich eher, es finden weniger pathologische Prozesse statt. Das Spielen ist eine Zerreißprobe: Man will in der Öffentlichkeit stehen und gleichzeitig vor ihr behütet werden. Inzwischen denke ich, ein Schauspieler hat die Aufgabe zu verschwinden, vielleicht kann man es bei „Fritz Bauer“ ja sehen. Die Perücke, der Dialekt, total übertrieben – aber vielleicht funktioniert es, jedenfalls deckt es sich mit dem Wunsch zu verschwinden.
Und wie verändert Erfahrung das Schauspielen, Herr Klaußner?
Und wie verändert Erfahrung das Spielen?
Außer dass man das Lampenfieber los wird, lehrt sie eben das: dass es mehr ums Verschwinden geht als ums Auftrumpfen, um Hingabe statt Dreingabe, darum, auch etwas wissen zu wollen, nicht nur etwas zu behaupten. Die Grundfeste ist und bleibt das Verkleiden, das Verwandeln. Die magische Wirkung eines Kostüms, die Komplettverwandlung des inneren Zustands durch eine kleine Zutat, das ist immer wieder ein Hochgenuss für mich. Es kann eine Uniform sein, ein Frack, ein Blaumann, ein Hörgerät wie in „Requiem“ als Vater von Sandra Hüller, der gleichzeitig den Scheitel auf der falschen Seite trägt. Ein Zeichen der Unsicherheit.
Beobachten Sie Menschen wegen solcher Details?
Das ist die andere Grundfeste: der Hunger auf die Welt, das nie erlahmende Interesse an Menschen. Dieses Verstehen-Wollen, sich ins Erstaunen-setzen-Lassen von den anderen, das ist der größte Schatz. Welcher andere Beruf bekommt ununterbrochen so viele Anregungen? Ich kann permanent beobachten, wie das Äußere sich mit dem Inneren verbindet, was es mit Vorurteilen auf sich hat, ob sich einlöst, was man sieht. Ich erinnere mich, wie ich als junger Mensch mit dem Rad durch die Gegend fuhr und mich laut fragte: Was ist hier los? Was um Himmels willen ist hier eigentlich los?? Es beschäftigt mich bis heute, und das Tolle an meinem Beruf ist, dass ich dem ständig nachgehen kann.
Wenn Sie zurückblicken, welchen Fehler würden Sie nicht mehr machen?
Ich würde mich (denkt lange nach) – nicht mehr so mit Hans Lietzau anlegen.
Sie stritten sich mit dem Intendanten des Schiller Theaters unter anderem über Heiner Müller und flogen nach anderthalb Jahren raus.
Er war ein großer Theatermann, aber er hatte es schwer. Er konkurrierte mit Peter Stein an der Schaubühne, sie arbeiteten teilweise mit denselben Schauspielern. Lietzaus „Prinz von Homburg“ war großartig, aber Steins „Prinz von Homburg“ war noch großartiger, eine entsetzliche Zwickmühle. Bei allem Wunsch nach Autonomie und eigenem Kopf: Ich würde Hans Lietzau am 15. Mai 1972 gerne einen Satz länger zugehört haben.
Sie haben Neil MacGregors Deutschland-Buch als Hörbuch eingesprochen. Darin schreibt der britische Historiker, ein Land werde von seinen Dichtern und Malern ebenso zusammengehalten wie von seinen Regierungen und Grenzen. Können Schauspieler da etwas beisteuern?
Sagen wir mal so: In jedem von uns steckt ein Stück nationaler Herkunft, Identität, Geschichte. Deshalb ist die Beschäftigung mit der deutschen Sprache und dem Fundus an Literatur und Geschichten natürlich auch identitätsfördernd. Außerdem glaube ich, dass die Bedeutung von Kunst und Kultur in dem Maß zunimmt, in dem die Religiosität erschlafft. Die Zukunft liegt nicht in der Religion, sondern in der Kunst. Was wir als Schauspieler tun, ist immer auch ein Appell an das Öffentliche, an das Gemeine. Das spüre ich im Theater oder auch in Kinovorstellungen: Die berühmte Stecknadel im Heuhaufen fällt nicht, wenn man alleine ist.
Sie können als Schauspieler Gemeinschaft stiften?
Kann ich das? Ich weiß nur, dass wir es brauchen. Wenn alle im selben Moment das Gleiche erleben, hat es etwas Spirituelles. Und es ist tröstlich, weil man in diesem Moment geschützt ist. Wer mit mir lacht, wird nicht mein Mörder. Wir brauchen mehr „Toni Erdmann“, mehr von dem, was einer wie Herbert Fritsch am Theater macht. Mehr Singen, mehr Abheben, mehr Sich-Vergessen. Daran werden wir arbeiten.
– Das Gespräch führte Christiane Peitz.