Debatte um Fritz Bauer: Ein großes Vorbild, ein Mensch
Zum Streit um Fritz Bauer, den Generalstaatsanwalt der Auschwitz-Prozesse: eine Erwiderung auf Kurt Nelhiebels Tagesspiegel-Beitrag.
Kürzlich hat Kurt Nelhiebel im Tagesspiegel einen vermeintlichen Denkmalsturz von Fritz Bauer (1903– 1968) aufzudecken versucht, von jenem hessischen Generalstaatsanwalt also, der härter und schärfer und früher als jeder andere Amtsträger die ungeheuerlichen Auschwitz-Taten zur Anklage und damit ins deutsche Bewusstsein brachte. Fritz Bauer, dem ein Denkmal gebührt: Der jüdische Sozialdemokrat war der couragierteste Kämpfer gegen das bleierne Schweigen und Verdrängen der Adenauer-Zeit. Es seien, so Nelhiebel, ausgerechnet die Mitarbeiter des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts, die das Denkmal stürzen wollen, obgleich das Institut die geistige Arbeit seines Namensgebers fortsetzen soll. Diesem Institut, so Nelhiebel, „scheint es an Respekt vor Bauer zu fehlen“.
Vor allem um drei Punkte dreht sich die Auseinandersetzung: das „Treuebekenntnis“ Fritz Bauers gegenüber den NS-Machthabern, von dem auch in der derzeit im Thüringischen Landtag in Erfurt zu sehenden Ausstellung des Instituts die Rede ist, außerdem Bauers Verhältnis zu seiner jüdischen Herkunft sowie seine mögliche Homosexualität.
Bauers sogenanntes "Treuebekenntnis": sicher von den Nazis errpesst, wie bei vielen anderen
Worum geht es jeweils historisch? Unter der Überschrift „Treuebekenntnis einstiger Sozialdemokraten“ wurde 1933 in einer NS-Zeitung eine „geheuchelte Unterwerfungserklärung“ abgedruckt, wie der Ausstellungskatalog sie nennt. Fritz Bauer war dort neben anderen prominenten Sozialdemokraten als Unterzeichner genannt, die Ausstellung zeigt diesen Artikel. Kurt Nelhiebel spricht von einem „offensichtlich gefälschten Bekenntnis“. Einen Beleg dafür hat er nicht. Fritz Bauer war 1933 in ein KZ der Nazis gesperrt worden, und er kam frei, als das „Treuebekenntnis“ veröffentlicht wurde. Die Praxis, Regimegegner nur aus KZ oder Schutzhaft zu entlassen, wenn sie eine solche Demütigung über sich ergehen ließen, war verbreitet. Es ist mehr als verständlich, dass NS-Gegner solche Erklärungen unterzeichneten. Alles andere hätte Folter, Kerker, vermutlich Ermordung bedeutet. So aber konnten viele Nazi-Gegner ihre Arbeit im Untergrund fortsetzen – oder wie Bauer im Exil. Wer den Hinweis auf eine mögliche Unterzeichnung des „Treuebekenntnisses“ als Beleidigung Fritz Bauers empfindet, geht von einem geschichtsblinden, ja inhumanen Reinheitsbegriff aus.
In Ronen Steinkes Biografie "Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht" (2013) wird Bauer als der mutige Aufklärer gefeiert, der er war. Zugleich werden Umstände dokumentiert, die zeigen, welchen Preis Bauer für sein Engagement zahlen musste. Steinke spricht wie auch die Ausstellung des Instituts „Ungehöriges“ an: Der Aufklärer Fritz Bauer hatte ein schwieriges Verhältnis zu seiner jüdischen Herkunft. Bis 1945 identifizierte er sich selbstbewusst als deutscher Jude, andererseits wollte er davon später möglichst nicht mehr sprechen.
Das war kein Opportunismus, sondern Klugheit: Fritz Bauer erlebte damals tagtäglich, wie Ewiggestrige ihm gehässig unterstellten, er, der Jude, sei bei seinen juristischen Aufklärungsversuchen von Rachegelüsten getrieben. Um als politischer Akteur ernst genommen und nicht in eine Schublade als Betroffener, Befangener gesteckt zu werden, zog Fritz Bauer es vermutlich vor, von seiner eigenen Geschichte zu schweigen. Das gereicht ihm selbstverständlich nicht zur Unehre, sondern sagt viel aus über das bedrückende Klima in der damaligen Bundesrepublik, das der Film „Im Labyrinth des Schweigens“ gerade wieder vorführt. Schon deshalb gehört der spezifisch jüdische Kontext in jede ernsthafte Biografie Bauers.
Ob Fritz Bauer homosexuell war, wissen wir nicht genau.
Zu Bauers eventueller Homosexualität: Aus seiner Exilzeit existieren entsprechende Beobachtungen der dänischen Polizei. Was die Nachkriegsjahre betrifft, in denen homosexuelle Akte noch strafbar waren, gibt es dagegen keinerlei Hinweise auf ein mögliches Ausleben der Homosexualität – Steinke und die Ausstellung behaupten dergleichen auch gar nicht.
Die Erkenntnisse über die Exilzeit sind Historikern geläufig, sie wurden bisher jedoch „schamhaft“ verschwiegen. Einzig neu ist, dass nun darüber publiziert wird. Nelhiebel schreibt von der „angeblichen“ Homosexualität Bauers. Und der Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg kritisiert in seiner Rezension in der „Zeit“, in Steinkes Buch werde „ohne stichhaltige Beweise die Mutmaßung geschürt, Bauer sei schwul gewesen, habe aber seine Sexualität nicht ausgelebt“. Rautenberg fragt, was diese Mutmaßungen zur Sache tun. Es gibt sehr wohl Gründe, dies zu thematisieren, etwa die Tatsache, dass sich Bauer in der homophoben Atmosphäre der 50er Jahre auch wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert gefühlt haben mag.
Der Streit um Nebensächlichkeiten überdeckt die Defizite in der Fritz-Bauer-Forschung
Ob Fritz Bauer, der nie eine Familie gegründet hat (seine Ehe im Exil war eine ausländerrechtlich begründete Scheinehe), homosexuell war, wissen wir nicht genau, obgleich Indizien dafür sprechen. So oder so – was daran wäre skandalös oder entwürdigend? Ist etwas Schlimmes daran, wenn ein vorbildhafter Mann wie Fritz Bauer jüdisch war und möglicherweise schwul? Ist nicht der Gedanke, man beschädige eine Heldenfigur mit einer solchen Vermutung, seinerseits ressentiment-behaftet?
Die wahre Größe Fritz Bauers liegt in weit mehr als der Tatsache, dass er seine Mittel als Generalstaatsanwalt nutzte, um die Auschwitz-Mörder vor Gericht zu bringen. Wahrscheinlich hat er einen Wisch der Nazis unterschrieben, um im Exil weiterkämpfen zu können. Er hat jahrzehntelang seine jüdischen Wurzeln in seinem Innersten begraben, um nicht als der „rächende Jud’“ diskreditiert zu werden. Trotz seiner Erniedrigung, Verfolgung und Vertreibung durch Deutsche hat er seine Heimat und seinen Wirkungskreis wieder in Deutschland gesucht. Und er hat vermutlich seine intimen Sehnsüchte nicht gelebt, um sein Lebenswerk im Interesse eines „neuen“ Deutschlands nicht zu torpedieren.
Ein Standbild ohne Ecken und Kanten? Das negiert die wahre Größe Fritz Bauers
Das sind Umstände, die die deutsche Nachkriegsgeschichte beschämen müssen. Es gibt kein Recht, sie nun unter den Teppich zu kehren, wie es Nelhiebel und Rautenberg mit ihrer harschen Kritik an der aktuellen Fritz-Bauer-Forschung versuchen. Mit den Begriffen „jüdisch“ und „homosexuell“ wird die Ehre Fritz Bauers selbstverständlich nicht beschädigt.
Ärgerlich am Streit um relative Nebensächlichkeiten ist, dass die großen Leistungen Bauers dahinter verschwinden. Noch ärgerlicher: Die jetzige Aufgeregtheit überdeckt die Rückstände bei der Erforschung weiterer Anstrengungen Bauers. Etwa das fast gleichzeitig mit dem Auschwitz-Prozess begonnene Bemühen, die großen Schreibtischtäter – die Oberlandesgerichtspräsidenten und die übrige Juristenprominenz des NS-Reichs – wegen der juristischen Absicherung der Morde in den psychiatrischen Anstalten zur Verantwortung zu ziehen. Wen interessiert noch, dass der hessische Generalstaatsanwalt Horst Gauff als Nachfolger Bauers dessen Erbe veruntreute, indem er die Täter klammheimlich außer Verfolgung setzen ließ? Noch unbekannter ist, mit welchen Verfahrenstricks die nordrhein-westfälische Justiz die letzte Chance verpasste, jene Beihilfe der Juristen zur Ermordung psychisch Kranker aufzuklären.
1951 war es eine der ersten Amtshandlungen Bauers als Braunschweiger Generalstaatsanwalt, in einem Musterprozess eine Schwurgerichtsverhandlung gegen die Richter des Braunschweiger Sondergerichts durchzusetzen. Auch dafür interessiert sich kaum einer. Damals war Bauer auf die bis zum Bundesgerichtshof reichende Abwehr der Richterschaft gestoßen. Hatte ihn das mürbe gemacht, als es in den 1960er Jahren um die Aburteilung haarsträubender Todesurteile hessischer Richter ging? Auch das harrt noch der Erforschung. Wer das alles negieren will zugunsten eines Standbilds ohne Ecken und Kanten, der negiert die wirkliche Größe des leitenden Staatsanwalts der Auschwitz-Prozesse. Ja, Fritz Bauer war und bleibt ein großes Vorbild – weil er ein Mensch war.
Der Rechtshistoriker Helmut Kramer, Jahrgang 1930, war Richter am Oberlandesgericht Braunschweig. 1998 gründete er das Forum Justizgeschichte. Für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der deutschen Justiz erhielt er das Bundesverdienstkreuz.
Helmut Kramer
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