Im Kino: "Der Staat gegen Fritz Bauer": Ein Mann im Widerstand
Lars Kraumes Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ ist ein Meisterstück mit einem brillanten Burghart Klaußner - als dem Nazijäger, ohne den es die Auschwitzprozesse nicht gegeben hätte.
Für die Einsamkeit, das wohl prägendste Lebensgefühl des ungewöhnlichen Menschen Fritz Bauer, findet dieser Film ein eindrückliches Bild. An einem Sonntagvormittag spielt der hessische Generalstaatsanwalt in einem Eckchen seines kargen Wohnzimmers Schach gegen sich selbst. Ende der fünfziger Jahre, vor der Erfindung des Schachcomputers, blieb solitären Schachfans nur diese kuriose und höchst herausfordernde Variante des Spiels. Nicht von einem Standpunkt aus denkt man dabei strategisch auf Sieg, sondern wechselt dauernd die Perspektive, indem man nach jedem Zug das Brett dreht. Am Ende einer solchen Partie stehen nicht Sieg oder Niederlage. Sondern Sieg und Niederlage, gleichzeitig.
Es ist ein besonderer Augenblick für den Nazijäger Fritz Bauer, als er an jenem Sonntag denn doch einen Besucher empfängt, den loyalen Staatsanwalt Karl Angermann. Dem jüngeren Kollegen eröffnet er, dass er die Zentralfigur des Massenmords an den Juden, Adolf Eichmann, in Argentinien auffliegen lassen und diese Information dem israelischen Geheimdienst Mossad zuspielen will. Das Bundeskriminalamt, der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz, auch weite Teile der Justiz sind in jenen Jahren von Altnazis durchsetzt, und Interpol fahndet nicht nach Politkriminellen; also bleibt Bauer, aus verständlichem Misstrauen gegenüber den deutschen Behörden, nur das Risiko des Landesverrats. Wird Angermann ihn bei der Enttarnung Eichmanns unterstützen und sich selbst in Gefahr bringen?
Die Figur des helfenden Staatsanwalts Angermann ist erfunden, das beklemmend konkret nachinszenierte Klima jener Anfangsjahre der Bundesrepublik aber beruht auf Tatsachen. Über die biografische Grundstruktur des unbeugsam agierenden Anklägers wird im Detail gestritten; der Film entscheidet sich für ein differenziertes, kohärentes Persönlichkeitsbild. Der 1949 aus dem schwedischen Exil zurückgekehrte Jude Fritz Bauer, der sogar sein Dienstzimmer von „Feindesland“ umgeben sieht, widmet sein Leben konsequent einer Mission. Darin hat Privates kaum Platz. Folglich lebt er als Atheist, um im Justizapparat der Nachkriegszeit nicht als „rachsüchtiger Jude“ dazustehen. Und lebt seine Homosexualität nicht aus, weil Sex unter Männern damals mit Haftstrafen geahndet wird und er seine Wirkungsmöglichkeiten in keiner Weise gefährden will.
Bauer laboriert an einem Galilei-Trauma
Außerdem betreibt Bauer eine persönliche Wiedergutmachung: Als 30-jähriger Sozialdemokrat kurz nach Hitlers Machtantritt monatelang inhaftiert, unterzeichnete er im Tausch gegen seine Freilassung eine abgepresste Ergebenheitsadresse. Diesen Kotau verzeiht er sich nicht. „Man darf sich der Tyrannei niemals beugen“, sagt er zu Angermann und verweist auf den späteren SPD-Oppositionsführer Kurt Schumacher, der die Nazizeit fast ausschließlich in KZs verbrachte. Bauer laboriert an einer Art Galilei-Trauma: Der Widerrufende überlebt, aber bleibt beschmutzt gegenüber dem zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilten Märtyrer Giordano Bruno.
Wie bringt man eine derart schroffe, ganz einer Idee lebende Figur auf die Leinwand? In Giulios Ricciarellis letztjährigem Kinofilm „Im Labyrinth des Schweigens“, der die Vorgeschichte der wesentlich Fritz Bauer zu verdankenden Auschwitzprozesse von 1963–1968 behandelt, gab Gert Voss den so machtvollen wie schweigsamen Inspirator des Mammutvorhabens, das die Nachkriegsdeutschen zur Auseinandersetzung mit ihrer jüngsten Geschichte zwang. Und Alexander Fehling spielte tapfer, aber etwas leichtgewichtig den Staatsanwalt, dessen akribische Recherchen erst zum Prozess führen. Lars Kraume setzt noch deutlicher auf ein Generationen-Duo: Burghart Klaußner spielt Bauer wie ein Energiebündel mit inwendig glühenden Brennstäben, das bei seiner unerbittlichen Wahrheitssuche die Welt grimmig auf Distanz hält. Ronald Zehrfeld als Angermann bewundert diesen Koloss und wird zum Komplizen für die gute Sache. Sebastian Blomberg und Jörg Schüttauf geben, fein komplementär, die fiesen institutionellen Widersacher.
Das Drehbuch räumt der Lage der Homosexuellen zu jener Zeit viel Raum ein
Man könnte einwenden, dass das Drehbuch, das der Regisseur Lars Kraume zusammen mit dem Politikwissenschaftler Olivier Guez schrieb, der Lage der Homosexuellen in jener Zeit sehr viel Raum beimisst – fast so viel wie der spannenden Jagd nach Eichmann, der unter falschem Namen als Elektriker für Mercedes in Argentinien arbeitete und dort – nach dem entscheidenden Tipp durch Fritz Bauer – im Mai 1960 vom Mossad nach Israel entführt und zwei Jahre später gehenkt wurde. Andererseits erlaubt auch Angermanns verleugnete Homosexualität dem Film fiktionale Freiheiten, die die verschlossen lebende Hauptfigur weitestgehend verweigert. So verleihen qualvolle Ehe- und Familienszenen Angermanns dem Geschehen ebenso Farbe wie das riskante Verhältnis zu einer Sängerin (Lilith Stangenberg), die in einer Travestie-Bar arbeitet. Vor allem aber steht die zwangsläufige Geheimnistuerei für ein bis ins Private repressives Klima, das formal erst 1994 (!) mit der Abschaffung des Paragrafen 175 gelockert wurde.
Zehrfeld spielt diese geduckte, an der größeren Aufgabe wachsende und schließlich ohne Rücksicht auf Verluste in ihr aufgehende Figur grandios. Vollends fazinierend aber wird der Film durch den Urberliner Klaußner, der mit strohblonder Perücke, eckiger Körpersprache und einer an Bauer-Aufnahmen geschulten schwäbischen Diktion ein wahres Anverwandlungswunder vollbringt. Seine wuchtige, silbendehnende Rhetorik auch ist es, die den durchaus zügigen Erzählrhythmus immer wieder der Gemächlichkeit jener Zeit entsprechend erdet. Hineingesteckt in unbequem aussehende Jacken, Mäntel und Beinkleider und doch stets würdevoll stakst Klaußner durchs Geschehen, ein Mittelpunkt durch pure Autorität, durch Sarkasmen und Sentenzen, durch abzutragende Lebenszerknirschtheit bis zum implodierend zurückgenommenen Ende.
In Interviews kontrastiert Burghart Klaußner die Figur mit dem Folter-Vater, dem er in „Das weiße Band“ grässlich Leben einhauchte. Der wahre Bauer-Antipode aber ist vielmehr Ulrich Mühes Stasi-Mann in „Das Leben der Anderen“. Nicht nur entwirft Klaußner eine ähnlich faszinierende politische Einsamkeitsstudie; auch in Sachen Ausstattungssorgfalt, Ensemblebrillanz und thematischer Zugriffsoriginalität steht „Der Staat gegen Fritz Bauer“ jenem Exportschlager des Geschichtsbewältigungsfilms in nichts nach. Nur wo dort der Untertan seine Allmachtsfantasien als isolierter Abhörspitzel auslebte, kämpft hier ein integrer Charakter gegen den mächtigen restbraunen Sumpf: ein Mann im Widerstand.
Demnächst geht „Im Labyrinth des Schweigens“ für Deutschland ins Oscar-Rennen. Scheitert dieser redliche Film zum Thema, wäre nächstes Jahr „Der Staat gegen Fritz Bauer“ am Zug – in aussichtsreicherer Gewinnstellung. Aber das ist vielleicht ein bisschen zu schachsportlich gedacht.
Capitol, Delphi, FaF, Hackesche Höfe, International, Kulturbrauerei, Off, Yorck
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