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Norman Fosters Kuppel auf dem Reichstagsgebäude
© Florian Kleinschmidt/dpa

Neil MacGregors Buch zur deutschen Geschichte: Ein Bild von einem Land

1200 Jahre Geschichte mit fließenden Grenzen: Neil MacGregors Buch „Deutschland. Erinnerungen einer Nation“ zeigt einen thematisch-perspektivischen Gang durch Zeiten und Epochen.

Dies ist das Buch zu einer Ausstellung, die Folgen hatte. Sie war im vergangenen Winter im British Museum in London zu sehen und nannte sich kühl „Germany – Memoirs of a Nation“. Organisiert von Neil MacGregor, dem Direktor des Museums, schaffte die Präsentation deutscher Kunstwerke und Alltagsobjekte eine Sensation. Denn dieses „Germany“ unterschied sich gewaltig von dem immer noch dämonisierten Deutschlandbild, das jahrzehntelang in Großbritannien gepflegt wurde. Als hätte er es geahnt. MacGregor faszinieren die Doppelgesichtigkeit der Deutschen und ihre Fähigkeit zum Sinneswandel: Wir stehen ja nun plötzlich in dem epochalen Flüchtlingsdrama als Vorbilder da.

Sein Blick auf Deutschland ist ein bewundernder, was von jeher die famose Vielfalt der kulturellen Leistung betrifft, und ein anerkennender, wenn es um den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte geht, zumal nach 1945. Sie ist, schreibt MacGregor, „so tief beschädigt, dass sie sich nicht reparieren lässt, aber vielleicht muss sie gerade deshalb immer wieder von neuem betrachtet werden – eine Sicht der Dinge, für die Georg Baselitz mit seiner zerfetzten, verwirrend kopfstehenden Deutschlandfahne ein Bild gefunden hat.“

Nicht nur einfach und angenehm

Kurz: MacGregor ist ein Deutschlandversteher. Und er wird zurückgeliebt, wie eine Lichtgestalt. 2015 bekam er – das Jahr ist noch nicht zu Ende – den Friedrich-Gundolf-Preis, den Deutschen Nationalpreis und die Goethe-Medaille. Der schottische Museumsmann hat Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kulturstaatsministerin Monika Grütters derart beeindruckt, dass er in diesem Frühjahr zum Gründungsintendanten des Humboldt-Forums in Berlin berufen wurde. MacGregor tritt sein Amt im Oktober an, aber man hat ihn nicht exklusiv. Er baut auch in Mumbai ein neues Museum auf und arbeitet weiterhin mit der BBC. Sein Bestseller „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ basiert auf Radiovorträgen. MacGregor besitzt eine angelsächsische populärwissenschaftliche Ader, eine gebildete Weltläufigkeit. Er soll dem Humboldt-Forum Leben einhauchen.

Neil MacGregor
Neil MacGregor hat sich in seinem Buch den Deutschen und ihrer Geschichte gewidmet.
© Stephanie Pilick/dpa

Allein, der Name Humboldt taucht in „Deutschland. Erinnerungen einer Nation“ gar nicht auf. Dafür umso mehr Karl der Große, Luther, Marx, Goethe, Bismarck. Weimar als Hort der Klassik und Humanität und als Ort des Nazi-Horrors – das kennt man. Aber MacGregor überrascht mit einem Detail. Auf dem Tor zum Konzentrationslager Buchenwald steht der Spruch „Jedem das Seine“. Entworfen von Franz Ehrlich, einem Bauhaus-Künstler und Kommunisten. 1934 wurde er in Buchenwald interniert. 1939 kam er frei und arbeitete unter den Nationalsozialisten als Architekt. In der DDR war er für die Stasi tätig. Man kann nicht sagen, dass MacGregors Deutschland einfach und nur angenehm wäre. Auch wenn er den Deutschen – sehr erstaunlich für einen Briten – Humor attestiert, ausgerechnet bei der Gestaltung von Notgeld in den Zwanzigerjahren.

Wunderkammer Deutschland

Der Band, ein hübscher Wälzer (C. H. Beck, 640 Seiten, 39,95 Euro), eröffnet den Parcours mit Gerhard Richters „Betty“, einer jungen Frau, die, sich vom Betrachter abwendend, zurückschaut. Er schließt mit einer Figur, die nach vorn schaut: Paul Klees „Angelus Novus“. Dazwischen gut 1200 Jahre Geschichte mit fließenden Grenzen. Das macht das deutsche Staatswesen aus; stets neu auftgeteilt, zerschnippelt, ein Flickenteppich.

Wie das Buch: Es geht nicht chronologisch, vielmehr thematisch-perspektivisch durch Zeiten und Epochen. Artefakte sind repräsentativ, aber selbst dann auch nur ein Stück vom Ganzen namens Geschichte, die ja bekanntlich das ist, was (nicht) in den Geschichtsbüchern steht. MacGregors Methode ist das Ausstellen und Ausleuchten von Dingen und ihren Beziehungen – ein Bierkrug aus Bernstein, ein Kanaldeckel aus dem heutigen Kaliningrad, der den Schriftzug „Königsberg 1937“ trägt, Grimms Märchen und Brechts „Courage“. Wunderkammer Deutschland. Ein Kuriositätenkabinett, nicht ohne Sentimentalität. Ein VW-Käfer und die „Pietà“ der Käthe Kollwitz.

Die deutsche Geschichte muss jetzt nicht umgeschrieben werden. Es wird auch keinen Historikerstreit darüber geben, ob MacGregor uns zu vorteilhaft sieht. Das Buch spiegelt den Zeitgeist: Deutschland ist eigentlich sehr o. k. Und Berlin sowieso. Es war übrigens ein anderer Brite, der das Bild der Hauptstadt entscheidend prägte: der Architekt Norman Foster mit der Kuppel für den Reichstag.

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