"Taxi Teheran" von Jafar Panahi: Einsteigen bitte!
"Taxi Teheran" ist Jafar Panahis dritter heimlich gedrehter Film - der iranische Regisseur hat seit 2010 Berufsverbot. Jetzt kommt der fabelhafte Berlinale-Siegerfilm ins Kino: eine Komödie über die Freiheit in Zeiten der Zensur.
Sie ist zehn, in der Schule gibt es gerade ein Filmprojekt, da lernt sie alles über Zensur. Wer Filme macht und sie veröffentlichen will, darf Frauen nur verschleiert zeigen, keinen Kontakt zwischen Männern und Frauen darstellen, keine Gewalt, keinen schnöden Realismus. Die Männer, wenn sie die good guys sind, dürfen keine Krawatten tragen und müssen nach islamischen Heiligen benannt sein. So steht es in ihrem Heft, die Lehrerin hat es diktiert. Hana seufzt. Der Alltag in Teheran, den ihre kleine Foto-Kamera festhält, hält sich nicht an die Regeln. Wie soll sie da einen Kurzfilm drehen.
Noch mehr ärgert sich Hana allerdings darüber, dass ihr Onkel sie mit dem falschen Auto abholt. Allen in der Klasse hat sie erzählt, er sei dieser berühmte Regisseur, und jetzt kommt er mit dem Taxi! Hana wirft sich auf den Beifahrersitz und schimpft.
Willkommen im Iran, in einer Komödie von Jafar Panahi, die pünktlich zum historischen Atomdeal ins Kino kommt – der Zufall macht’s möglich. „Taxi“ gewann dieses Jahr auf der Berlinale den Goldenen Bären, Hana Saeidi, auch im wirklichen Leben die Nichte des Regisseurs, nahm den Preis im Februar für ihn entgegen. Alle würdigten den Mut des Regisseurs und Regimekritikers, der seit Ende 2010 zu sechs Jahren Haft und 20-jährigem Berufs- und Reiseverbot verurteilt ist und seitdem drei Filme produziert hat. Mit hohem persönlichem Risiko: Er kann jederzeit ins Gefängnis kommen. Seine Mitstreiter bleiben anonym – es gibt keinen Abspann.
Vergesst die Politik, möchte man rufen. Geht einfach ins Kino und schaut euch Panahis Film an!
Der Goldene Bär für "Taxi"? Es wurde wieder viel diskutiert. Über Kunst und Diktatur und das Universalrecht auf Meinungsfreiheit. Über die prominenten Dissidenten, die auf den internationalen Festivals viel Aufmerksamkeit erfahren, während weniger bekannte Oppositionelle im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis ausharren müssen, in dem auch Panahi fast drei Monate saß. Über die Frage, ob sich die Menschenrechtslage nach Ahmadinedschad gebessert hat und welche Risiken die baldige Aufhebung der Sanktionen birgt. Und über die Gratis-Liebe zu dissidentischen Künstlern seitens der westlichen Welt.
Nun gebührt einem Jafar Panahi allemal höchster Respekt. Und der von Irans Offiziellen gern geschürte Verdacht, seine Werke würden nur aus politischen Gründen im Westen gefeiert, erledigt sich schnell, sobald man die fabelhaften Filme sieht, die der 55-Jährige den unmöglichen Arbeitsbedingungen abtrotzt. Vergesst die Politik, möchte man rufen, geht einfach ins Kino!
"Taxi Teheran" ist ein heiterer Film, der die großen, schweren Themen wie nebenbei verhandelt
„Taxi Teheran“ (so der Verleihtitel) ist die bislang beste von Panahis filmischen Guerilla-Aktionen – nach dem Videotagebuch „This Is Not A Film“ (2011), einer bestürzenden Selbstreflexion über die Kunst, sich das Filmemachen nicht verbieten zu lassen, und nach dem melancholischen semidokumentarischen Verwirrspiel „Pardé – Closed Curtain“ (Silberner Bär 2013), ebenfalls heimlich gefilmt in einer einsamen Villa am Meer. Jedes Mal trat Panahi persönlich auf, wurde hinter geschlossenen Vorhängen von seinen Figuren drangsaliert. Und von der Frage, ob sich die Fantasie am Ende selber einsperrt.
Jetzt reißt Panahi den Vorhang weit auf. „Taxi Teheran“ ist das heitere Manifest einer Selbstbefreiung. Bei aller Schärfe in der Sache, einen derart gelassenen Ton schlagen politische Filme selten an. Die großen Themen seines Landes wie des Kinos verhandelt Panahi en passant mit. Verblüffend, wie leicht das Schwere sein kann.
Jafar Panahi verbeugt sich vor den iranischen Frauen, vor ihrer Vitalität und Unbeugsamkeit
Der Plot ist jedenfalls schlicht: Jafar Panahi fährt Taxi und kutschiert außer seiner Nichte auch etliche andere Teheraner durch die Stadt. Erst einen Todesstrafen-Befürworter und eine Lehrerin, die die Argumente des Hardliners in der Luft zerpflückt. Dann einen fliegenden DVD-Händler, der verbotene Autorenfilmer-Ware vertickt, Woody Allen, „Once upon a time in Anatolia“ von Nuri Bilge Ceylan, die fünfte Staffel von „The Walking Dead“. Ein Unfallverletzter, der sein Video-Testament auf Panahis Smartphone aufnehmen lässt, damit die männliche Verwandtschaft die Ehefrau im Fall seines Todes nicht über den Tisch zieht. Folgen zwei abergläubische alte Frauen mit Goldfischglas, die die Fische bis zwölf Uhr mittags in einer heiligen Quelle aussetzen müssen. Schnell schnell, sonst droht schlimmes Unglück. Panahi lächelt dazu, ein wenig scheu, linkisch, amüsiert. Anders als echte Taxifahrer kennt er die Strecken nicht sonderlich gut.
Schutzraum und Beobachtungsposten: Panahi greift die Tradition des iranischen Auto-Films auf
Schließlich die Nichte. Ein Hochzeitspaar läuft ihr samt Fotograf vor die Kamera, tolle Szene für den Schulfilm. Dummerweise taucht auch noch ein Junge auf, der eine Münze stibitzt. Hana besteht darauf, dass er das Geld zurückgibt, ihr Film wäre sonst ruiniert. Die Szene ginge nie im Leben durch die Zensur. Justiz, Todesstrafe, Bildung, Religion, Aberglaube, Zensur, die Unterdrückung der Frau – Panahi macht Tempo. So einfach das mit ein paar im Wagen installierten Digikameras gefilmte 82-Minuten-Werk auch konstruiert sein mag, so komplex ist das Panorama, das sich dabei entrollt. Als Bild einer Gesellschaft, dessen Unrechtsregime es nicht verhindern kann, dass Teheran eine weltoffene Stadt ist, in der leidenschaftlich gestritten wird und sich viele ihre Zivilcourage nicht abkaufen lassen.
Jedenfalls nicht im Schutzraum eines Autos. Panahis Roadmovie greift die Tradition der iranischen Auto-Filme auf, ein Genre, das sich seit „Ten“ und „Der Geschmack der Kirsche“ von Abbas Kiarostami bewährt hat. Neben „Taxi“ lief auf der Berlinale 2015 ein weiterer Teheran-Undergroundfilm, „Atom Heart Mother“, der fast vollständig im Pkw spielt. Ein Auto ist beides, draußen und drinnen, Freiraum und Sicherheitszone. Ein Gefährt mitten im öffentlichen Raum, dessen Passagiere sich ihm doch entziehen, ein urbaner Beobachtungsposten, Intimsphäre und mobiles Gefängnis, in dem man zusammengepfercht hockt, aber das Kopftuch schon mal lockern kann. Das Auto eröffnet im iranischen Kino einen Transitraum, angesiedelt zwischen Realität und Sehnsucht nach einer besseren Welt.
Wie transportiert man Fische, wenn das Glas zu Bruch geht? Komik ist bekanntlich eine Frage des Stolperns, und „Taxi Teheran“ wird zum Trip, zur Heimsuchung im Slapstick-Rhythmus. Alle paar Minuten ein neuer Fahrgast, alle paar Minuten ein neuer Blickwinkel, eine neue Unmöglichkeit, ein neuer Übermut der Verzweiflung, ein neues, schier absurdes Stück Freiheit.
Zuletzt steigt eine Freundin ins Taxi. Die Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotoudeh ist eine Leidens- und Kampfgefährtin des Regisseurs. Auch sie wurde 2010 verurteilt, auch sie saß im Evin-Gefängnis und hat Berufsverbot. Eine umwerfende Frau mit einem Blumenstrauß in der Hand, die voller Lebensfreude erzählt, dass sie politische Gefangene und deren Angehörige betreut und auf dem Weg zu Ghoncheh Ghavami sei. Noch so ein Fall, der kurz für internationale Empörung sorgte und schnell vergessen wurde. Ghavami saß ebenfalls im Gefängnis, der Grund: Sie besuchte ein Volleyballspiel. Frauen dürfen im Iran nicht ins Stadion, Panahis Fußballfilm „Offside“ (Silberner Bär 2006) erzählt davon. Seit Ende November ist Ghavami auf Kaution wieder frei.
Die rechtlose Ehefrau des Unfallopfers, die neunmalkluge Nichte, die energisch-fröhliche Anwältin: Einmal mehr verbeugt sich Panahi vor den Frauen in seinem Land, ihrem Gerechtigkeitssinn, ihrer Unbeugsamkeit und Vitalität.
Nebenbei spielt er auch noch mit dem Fiktionsvertrag des Kinos. Ist „Taxi Teheran“ nun ein Dokumentar- oder ein Spielfilm? Der ausgebuffte DVD-Dealer erkennt den Regisseur jedenfalls gleich, mokiert sich über dessen „Verkleidung“ mit Brille und Schiebermütze, möchte wissen, ob die Leute, die sich eben über die Todesstrafe gestritten haben, nicht doch Schauspieler sind, und will Panahi auf der Stelle zu seinem Kompagnon machen. Die Kunst wird zur Schmuggelware, mit der sich Profit machen lässt, solange Panahi nur mitspielt – als er selbst. Ein virtuoses Verwirrspiel über das Starsystem der Dissidenz, wie man es auch von den Installationen des Chinesen Ai Weiwei kennt.
Am Ende steigt Nasrin Sotoudeh ins Taxi, ein Freundin und Menschenrechtsaktivistin
„Wenn sie dich entlassen“, sagt Nasrin Sotoudeh, „gerätst du draußen in ein noch größeres Gefängnis. Deine besten Freunde wenden sich gegen dich. Also verlässt du das Land oder hoffst darauf, bald wieder ins Gefängnis zu kommen.“ Ein Satz, der die solidarische Freude über internationale Preise für große Regisseure wie Asghar Farhadi und Jafar Panahi beschämt. Allzu genau wollen wir westlichen Zuschauer nämlich lieber doch nicht wissen, was es heißt, in einer Diktatur Filme zu drehen. Die Anwältin legt eine Rose aufs Armaturenbrett. Ein Bild von schlichter, entwaffnender Schönheit.
Ab Donnerstag in 17 Berliner Kinos. OmU: Acud, b-ware! ladenkino, Brotfabrik, Delphi, Eva-Lichtspiele, fsk am Oranienplatz (auch OmenglU), Hackesche Höfe, International, Moviemento. OmenglU: Neues Off
Christiane Peitz
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