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Abgeschottet: Jafir Panahi dreht "Pardé" während seines Hausarrests.
© Berlinale

"Pardé": Jafir Panahi und der geschlossene Vorhang

In eigener Sache, heimlich gedreht: Jafar Pahanis erschütternder Film „Pardé“ aus dem Iran ging am Dienstag in den Wettbewerb.

Jafar Panahi konnte nicht kommen. Vor dem Berlinale-Palast stehen Vertreter des Friedensfilmpreises mit einem Panahi aus Pappe. Mitglieder der Deutschen Filmakademie überbringen dem iranischen Botschafter vor der Weltpremiere von „Pardé“ ein Protestschreiben. Schon am Vortag hat die Bundesregierung den Iran aufgefordert, Panahi reisen zu lassen – vergeblich.

Jafar Panahi ist nicht da, weggesperrt im Gefängnis seines 20-jährigen Berufsverbots. „Melancholie geistert durch die Geschichte“, schreibt der 52-jährige Regisseur über seinen Film, „in dem sich jede Figur in der anderen spiegelt und die Grenze zwischen Fiktion und Realität verwischt“. „Pardé“ heißt „Geschlossener Vorhang“: ein Gefängnisfilm also, eine Selbsttherapie gegen die Melancholie, das stille, trotzige Manifest des prominentesten unter all den Filmschaffenden, Künstlern, Oppositionellen, die das iranische Regime mundtot machen will. „Es ist schwer, so zu arbeiten“, sagt Koregisseur Kambozyia Partovi in Berlin. „Noch schwerer ist es, nicht zu arbeiten.“ Deshalb sind der auch zu sechs Jahren Haft verurteilte Panahi, sein Freund Partovi, die Schauspielerin Maryam Moghadam und eine winzige Crew in ein abgelegenes Haus am Meer gefahren, haben die Vorhänge zugezogen und gedreht. Einen Film unter unmöglichen Bedingungen, einen unmöglichen Film, ähnlich wie Panahis Hausarrest-Etüde „This is not a Film“ von 2011.

Panahi ist nicht da, und er ist es doch, in jeder Szene. Er ist da, wenn sich zu Beginn nur die vergitterte Aussicht auf den Meeresstrand eröffnet, wenn ein Mann (Partovi) mit Koffer und Tasche auf der Uferstraße aus dem Taxi steigt und bald darauf die Villa mit dem Panoramafenster betritt. Er ist da, wenn der Mann einen fröhlichen kleinen Hund aus der Tasche holt, wenn er sämtliche Fenster verhängt und ein Hundeklo baut, denn auch für das Tier ist es draußen gefährlich. Hunde gelten im Iran als unrein und werden getötet, man kann sie nur heimlich halten. Panahi ist da, wenn der Mann ein Drehbuch schreibt und dabei von zwei Strandpartygängern gestört wird, die Zuflucht suchen: einer schönen, jungen, der Polizei in letzter Sekunde entkommenen Journalistin (Moghadam) und ihrem Bruder, der sie bald in der Villa zurücklässt. Passen Sie auf, sie denkt gerne an Selbstmord, ruft er dem Mann noch zu und verspricht, sie bald abzuholen.

Panahi ist da, wenn die Polizei an die Tür wummert, wenn von Ferne Musik, Partygeräusche und andere Lebenszeichen in die Stille des Hauses eindringen. Er ist da, wenn der Mann und der fröhliche Hund mit dem abgeknickten Ohr, der immer nur Ball spielen will, in einem fensterlosen Versteck kauern, als Einbrecher ein Fenster einschlagen. Wer sich derart verbergen muss, der kann kein Bild mehr machen: Die Leinwand ist schwarz. Noch eine Abwesenheit, in der Panahi präsent ist. Kein Wunder also, dass er irgendwann selber vor die Kamera tritt und sich die Rollen verkehren.

Gitter, Vorhänge, Holztüren, furchtsame Blicke, die Zwangsgemeinschaft der Flüchtlinge: Die erste Hälfte von „Pardé“ versammelt Momentaufnahmen vom Eingeschlossen- und vom Ausgeschlossensein, ein Thema auch in Panahis früheren Filmen: In „Offside“ (Silberner Bär, Berlinale 2006) versuchen junge Frauen, als Männer verkleidet ins Fußballstadion zu kommen. Sie werden erwischt und lauschen dem Spiel, draußen vor den Stadiontoren, gemeinsam mit ihren Bewachern. „Der Kreis“ (Goldener Löwe, Venedig 2000) erzählt von sieben unfreien, drangsalierten Frauen in einer männerdominierten Gesellschaft. Und in „Der Spiegel“ (Goldener Leopard, Locarno 1997) protestiert die Kinderdarstellerin gegen ihre Rolle als Sechsjährige, die sich im Verkehrschaos von Teheran verirrt. So blöd ist sie nicht, außerdem schon sieben, sie fühlt sich gefangen in der falschen Fiktion. Genauso sprengen die Schauspieler von „Pardé“ den Rahmen und rebellieren gegen die Story, deren Protagonisten sie sind.

Heimsuchung des Autors durch seine Gestalten: Die Frau reißt die Verdunklungen ab, lässt die Außenwelt hinein, worauf Panahi die Frau ins Wasser schickt. Prompt sitzt sie wieder auf dem Sofa – und Panahi geht ins Wasser. Aber was einmal gefilmt ist, kann auch rückwärts ablaufen. „Ich verkörpere seine dunkle Seite, der Teil von ihm, der keine Hoffnung mehr hat“, sagt Maryam Moghadam auf dem Podium in Berlin.

Der Nachbar, der Lichter sah, die nette Nachbarin, die Essen bringt, Handwerker, die ein neues Fenster einsetzen: Fiktion oder Realität? Ist das ein Spielfilm, ein Dokumentarfilm in eigener Sache? Die Genres verschlingen sich zur Möbiusschleife: Der Mann in „Pardé“ macht sich – wie Panahi bei der eigenen Arbeit – Videonotizen mit dem Smartphone, was wiederum von Panahi gefilmt und von Partovi gespielt wird. Das Team musste heimlich drehen, das Aufreißen der Vorhänge bedeutet eine reale Gefahr.

Man erschrickt. Schon zu etwas so Einfachem wie dem Aufziehen von Vorhängen gehört mitunter großer Mut. Aber kann ein Filmemacher der Wirklichkeit beikommen – und diesen Anspruch hat Panahi – , wenn ihm das Filmen außerhalb der eigenen vier Wände verwehrt ist und die Welt ausgeschlossen bleibt? Sperrt die Fantasie sich unter der Bedingung der Zensur am Ende selber ein? Deshalb gibt es im Film Verwirrung um einen Schlüssel, erklärt Partovi: „Habe ich mich vielleicht selber eingesperrt?“ Eine quälendere, radikalere Selbstbefragung ist kaum denkbar. „Pardé“ erzählt davon, wie die Kunst verkümmert, wenn man sie ihrer Freiheit beraubt. Notgedrungen dreht sich alles um den Filmemacher und seine solidarischen Freunde; andere möchten sie nicht gefährden. Aber das Klandestine kann jederzeit ins Überdeutliche kippen, in die Banalität. Auch daraus macht „Pardé“ keinen Hehl.

Ob sie Repressalien fürchten, wollte ein Journalist wissen. „Noch ist nichts geschehen“, sagt Partovi auf der leider lieblos moderierten Pressekonferenz, „wir warten.“ Dass „Pardé“ im Wettbewerb läuft und nicht außer Konkurrenz, ist übrigens eine kluge Geste: So bleibt er in der Gemeinschaft des Weltkinos. Noch schöner wäre es gewesen, wenn Festivalchef Dieter Kosslick bei diesem Ausnahmefilm eine Ausnahme von der Wettbewerbsfairnessregel gemacht und die Gäste aus dem Iran vor den Journalisten persönlich begrüßt hätte.

13.2., 9.30 (Friedrichstadt-Palast) und 10 Uhr (HdBF), 17.2., 18 Uhr (Cubix 8)

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