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Früher musste Michael Wießler noch jedem Comic hinterherjagen. Mit seinem Geschäft macht er es den Fans von heute leichter.
© Mike Wolff

"Modern Graphics": Eine Comic-Institution feiert 25. Geburtstag

Als Michael Wießler seinen Laden in Berlin-Kreuzberg öffnete, wurde darin noch geraucht und der Kiez war etwas schmuddelig. Was sich seitdem geändert hat? Ein Rückblick.

Comics, Comics und noch mehr Comics: Bis unter die Decke stapeln sich die Alben, Hefte und Hardcover-Bände im „Modern Graphics“ in der Oranienstraße, jede noch so kleine Ecke ist von ihnen belegt. Mehrere Zehntausend Comics werden es wohl sein, schätzt Inhaber Michael Wießler.

Das 1991 gegründete Geschäft im Herzen von Kreuzberg ist ein Urgestein unter den Berliner Comicläden und ist seitdem nicht nur für die Comic-Szene an der Spree eine Institution: Neben lokalen Zeichnern wie Fil („Didi & Stulle“), Ol („Die Mütter vom Kollwitzplatz“) oder Flix („Münchhausen“) waren auch schon viele internationale Stars wie Daniel Clowes („Ghost World“), Don Rosa („Dagobert Duck“) oder Sergio Aragones („Mad“-Magazin) im Modern Graphics zu Gast.

Von Anfang an kamen auch viele weibliche Kunden

Jetzt wird Modern Graphics 25 Jahre alt und Michael Wießler erinnert sich an die Anfänge, an damals, zwei Jahre nach dem Mauerfall. „Kreuzberg war ein Stadtteil zwischen Schmuddelimage und Aufbruchsstimmung, ein Konkurrent erzählte gar herum, wir hätten ‚in der Gosse Berlins‘ eröffnet.“ Tatsächlich ist es zu Beginn wirtschaftlich schwierig gewesen. „Die Kaufkraft in Berlin war gering, und in Kreuzberg noch geringer.“

Statt Kaufkraft gab es etwas, das Wießler viel wichtiger war: ein offenes Publikum. „Wir haben schon damals viele Independent-Comics verkauft, also die Vorläufer der Graphic Novels, also längere Comics in Buchform“, sagt er. „Es gab gleich ein buntes Publikum im Laden, das sich dafür interessiert hat.“ So kamen – anders als in viele anderen Comic-Shops zu dieser Zeit – erstaunlich viele weibliche Kunden ins Modern Graphics . „Darunter waren zum Beispiel viele Punk-Girls, die Sachen wie ‚Tank Girl‘ gelesen haben“, erzählt Michael Wießler.

Für seine Eltern und Lehrer waren es "Schundheftchen"

Jamie Hewlett, Schöpfer der Kultreihe „Tank Girl“ sowie späterer Mitgründer und Zeichner der virtuellen Pop-Band Gorillaz, war zusammen mit Comic-Legende Neil Gaiman („Sandman“) sogar dabei, als das Modern Graphics am 9. November 1991 seine Türen öffnete. Zwei Jahre später stand Frank Miller im Laden und stellte seinen ersten „Sin City“-Comic vor.

„Wir haben schnell viele Stammkunden und Sammler gewonnen“, sagt Wießler, der selbst schon als Jugendlicher nicht genug von Comics kriegen konnte. 1964 in Süddeutschland geboren, musste er sich gegen seine Eltern und Lehrer behaupten, die von den „Schundheftchen“ nicht viel hielten. Wießler war trotzdem immer fieberhaft auf der Suche nach allem, was er in den 1970ern kriegen konnte – von Donald Duck bis zu den „Avengers“. „Es gab noch keine Comicläden, nur Kioske und ab und zu Flohmärkte. Wir übernachteten oft davor, um die besten Sachen zu bekommen.“

„Ich habe immer wieder überlegt, aufzuhören“

Ein Studienfreund von Wießler, Kai Witz, machte aus der Not eine Geschäftsidee und gründete das Vertriebsunternehmen Modern Graphics Distribution, das in den 1980er Jahren Westdeutschland im großen Stil mit Comics aus Übersee versorgte. Wießlers Berliner Wohnung musste kurzweilig sogar als Lager herhalten. „Ich hab im Hochbett zwischen den Kisten geschlafen.“ Schnell war Wießler klar, dass er einen Comicladen eröffnen wollte und dass er Modern Graphics heißen sollte. Durch die guten Kontakte zur amerikanischen Comic-Szene waren die Bedingungen ideal.

Dennoch war es lange Zeit schwierig, den Laden über Wasser zu halten. In den 1990er Jahren etwa machten Sammelkarten und Game Cards wie „Magic“ einen nicht unwesentlichen Teil des Umsatzes aus – nicht schön für einen Comic-Fan wie Michael Wießler. „Ich habe immer wieder überlegt, aufzuhören.“ Es ödete ihn an, als Händler ständig den neuesten Trends hinterherlaufen zu müssen. Die Welle der Graphic Novels war der Befreiungsschlag, denn genau das war schon immer eine Spezialität von Modern Graphics. Der Erfolg erlaubte die Expansion: 1997 wurde eine zweite Filiale in der Kurfürstenstraße eröffnet, 2016 folgte die dritte in der Kastanienallee.

"Zwischen den Comics standen immer volle Aschenbecher"

Auch die Kundschaft hat sich verändert: Früher begrüßte Wießler zum Großteil Sammler in seinem Geschäft, das Angebot von Modern Graphics war etwas für die Nische. Heute kommt viel mehr Laufkundschaft vorbei. Leute, die schon lange keinen Comic mehr in der Hand hatten und sich spontan dafür interessieren, was hinter den bunten Covern steckt.

Ganz verschwunden ist der spezielle Geruch, der in den ersten Jahren durch die Räume zog. In den ersten Jahren haben Kunden und Mitarbeiter im Modern Graphics noch ganz selbstverständlich geraucht. „Zwischen den Comics auf dem Tresen standen immer volle Aschenbecher“, erinnert sich Wießler. Nicht die besten Voraussetzungen für einen Laden voller Papier. Heute aber sind die Comics in jeder Hinsicht frisch.

Zum 25. Geburtstag lädt Modern Graphics am 11. November um 20 Uhr zu einer Doppellesung der Berliner Comicstars Mawil und Hamed Eshrat in die Galerie Knoth und Krüger (Oranienstraße 188, Kreuzberg) ein. Anschließend steigt, gleich um die Ecke, ab 21.30 Uhr eine Party im Südblock (Admiralstraße 1-2).

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