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Neue Zeit: Immer wieder kommentiert OL die Veränderungen der Stadt, wie hier in einer Szene aus dem Mauerpark.
© OL

Cartoons: Großstädter mit Überbiss

Der Cartoonist OL hat einen gnadenlos komischen Blick aufs neue Berlin. Das illustrieren zwei neue Sammelbände. Diese Woche gibt er bei einer Signierstunde eine Kostprobe.

Manchmal schreibt das Leben die besten Pointen. Die Episode mit der Erzieherin Christine zum Beispiel. Die hat der Zeichner Olaf Schwarzbach alias OL von einer Bekannten erzählt bekommen. Eines Tages fragt ihr fünfjähriger Sohn die Erzieherin: „Hast du auch einen Busen?“ Die antwortet mit Ja. Nachfrage: „Kannst du den morgen mal mitbringen?“

Der Wortwechsel findet sich in OLs aktuellem Cartoon-Sammelband „Die Mütter vom Kollwitzplatz“ (Verlag Galerie Vevais, 24,90 Euro) – und der Zeichner beteuert im Gespräch, dass die Story authentisch ist. Wie auch manch andere Episode aus dem Mikrokosmos zwischen Prenzlauer und Schönhauser Allee - hier gibt es eine Auswahl von Cartoons. Wenngleich der 1965 geborene OL in letzter Zeit immer weniger eigene Feldforschung betreibt, vor allem nicht in seinem Kiez rund um den Wasserturm in Prenzlauer Berg. „Zu frustrierend“, sagt er. „Meine Lieblingsecken sind alle verschwunden oder überlaufen.“ Daher entstehen die meisten Pointen heute in seinem Kopf: „Ich denke mir Dialoge aus, wie sie auf dem Spielplatz am Kollwitzplatz stattfinden könnten – und, potzblitz, zwei Wochen später schnappe ich genau diese Themen auf der Straße wieder auf.“ Nun überlege er, eine Hellseherbude auf dem Wochenmarkt am Kollwitzplatz zu eröffnen: „Handlesen zehn Euro, mit Handkuss 50.“ Viele seiner Kollwitzplatz-Cartoons treffen den Nerv der Zeit. Ebenso wie etliche Episoden mit seinem stoischen Superhelden namens Cosmoprolet, die an markanten Orten quer durch Berlin spielen, regelmäßig in der Stadtzeitschrift „tip“ zu finden sind und nun ebenfalls als Sammelband veröffentlicht wurden („Cosmoprolet – der Mann aus hier“, Matrosenblau Verlag, 15 Euro).

„Ick bin einfach fett und hab ’nen Hexenschuss.“

OLs Witz schwankt zwischen Zynismus und liebevoller Zuneigung zu seinen Figuren, die sich optisch durch ungesunde Körperhaltung und Überbiss auszeichnen. Mit dem neuen Berlin, das wird bei der Lektüre schnell deutlich, hat sich der gebürtige Prenzlauer Berger, der zu DDR-Zeiten Drucker gelernt hat, nie anfreunden können. Die Mütter und Väter, die er mit Vorliebe in seinen Kollwitzplatz-Episoden vorführt, sind zugereiste Besserwisser oder möchtegerntrendige Spießer mit verwöhnten Quengelkindern, die ihren Nachwuchs mit Babystimme ansprechen und dabei auf verbitterte Kiez-Ureinwohner treffen. „Grüß Gott, bis Du von der Schwangeren-Yoga-Kursgruppe“, fragen da zwei adrette Schwangere eine Frau, die dickbäuchig und gebückt vorbeischlurft. Antwort: „Nee, ick bin einfach fett und hab ’nen Hexenschuss.“

Manche Pointen sind derb und platt, OLs offensichtliche Abneigung gegen Spätgebärende, Schwaben oder dogmatische Öko-Apostel grenzt an Fremdenfeindlichkeit. Viele Cartoons jedoch bringen aktuelle Diskurse der Stadt bemerkenswert komprimiert auf den Punkt. Wie die Szene mit der Mutter vom Kollwitzplatz, die ihren Kindern ein Märchen vorliest: „...so lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende, die böse Stiefmutter aber musste umziehen nach Neukölln“.

Die Kulissen für seine Cartoons sammelt OL mit Vorliebe auf langen Fahrradtouren durch die Stadt, da fotografiert er markante Plätze und Gebäude und schreibt sich Ideen ins Skizzenbuch. Das Ergebnis sind mit dynamischem Strich erfasste Miniaturen, die den Wandel Berlins in den vergangenen Jahrzehnten auf den Punkt bringen – und das Unbehagen ihrer Bewohner. Wie bei den zwei Rentnern im Mauerpark. „Zu meiner Zeit wurde hier nicht jetrommelt“, sagt der eine. „Da jab’s n ordentlichen Wachschutz und fünf Mal am Tach wurden die Weje jeharkt.“

Signierstunde bei Modern Graphics, Oranienstraße 22, Kreuzberg, Sa 12.11., 15 Uhr

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